Bundeskanzler „Wir lassen uns nicht einschüchtern“
Bevor Bundeskanzler Olaf Scholz zum Treffen des Europäischen Rats in Brüssel aufbrach, diskutierte er mit den Abgeordneten im Bundestag darüber, wie Deutschland und die EU mit dem Krieg in der Ukraine und der Energiekrise umgehen wollen.
Der Europäische Rat bestimmt, in welche Richtung die Politik der EU gehen soll und welche Ziele verfolgt werden. Er setzt sich zusammen aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, dem Präsidenten des Europäischen Rates und der Präsidentin der EU-Kommission. Am 20. und 21. Oktober kommt der Europäische Rat in Brüssel zusammen, um vor allem über den Krieg in der Ukraine und die europaweite Energiekrise zu sprechen.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Vorfeld in einer Regierungserklärung Stellung zu dem Treffen genommen. Es folgte eine Aussprache, in der alle Fraktionen zu Wort kamen.
Bundeskanzler: „Putin wird seine Kriegsziele nicht erreichen“
Europa stehe vor „Bewährungsproben, wie wir sie seit Jahren nicht erlebt haben“, sagte der Kanzler zu Beginn seiner Rede. Putin drohe „vollkommen verantwortungslos“ mit dem Einsatz von Nuklearwaffen, begehe mit bewussten Angriffen auf die ukrainische Bevölkerung Kriegsverbrechen und setze zudem „Hunger und Energie als Waffe“ ein.
Der russische Präsident spekuliere auf die Schwäche der Europäischen Union, so Scholz. „Aber er irrt sich. Wir sind nicht schwach.“ Europa stehe zusammen und werde die Ukraine weiterhin unterstützen. „Putin wird seine Kriegsziele nicht erreichen“, versicherte der Bundeskanzler.
Es sei wichtig, schon heute an die Zeit nach dem Krieg zu denken. Deshalb habe Deutschland als aktueller G7-Vorsitz gemeinsam mit der EU-Kommission internationale Experten zu einer Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine eingeladen, die am 25. Oktober in Berlin stattfinden werde.
Auch in der aktuellen Energie- und Versorgungskrise agiere die EU geschlossen. „Gemein kommen wir durch diesen Winter“, versprach der Kanzler. Es gehe unter anderem darum, genug Gas einzukaufen und zu speichern, die Energiepreise zu deckeln und die kritische Infrastruktur zu schützen. „Wir sorgen vor“, sagte der Kanzler, „und vor allem: Wir lassen uns nicht einschüchtern.“
Die EU-Länder würden weiter miteinander „um den besten Weg ringen“, in freien, kritischen Debatten – „darin liegt die Kraft der Demokratie“, die Putin unterschätzt habe. „Deutschland und Europa werden gestärkt aus diesen Bewährungsproben hervorgehen, geeinter und stärker als zuvor“, zeigte Scholz sich optimistisch.
Union: „Kein gutes Vorbild“
Friedrich Merz, Fraktionsführer der CDU/CSU-Fraktion, räumte ein, die EU stehe „möglicherweise vor der größten Bewährungsprobe ihrer Geschichte“. Er wünsche den Regierungschefs beim Europäischen Rat „jeden möglichen Erfolg“. Denn die Menschen und Unternehmen in Deutschland bräuchten „schnelle und wirksame Hilfen“. Leider habe der Bundeskanzler, kritisierte Merz, in seiner Regierungserklärung wenig konkrete Informationen geliefert, wann den Menschen tatsächlich geholfen werde.
Es sei richtig, so Merz, dass Sanktionen gegen Russland und humanitäre Hilfen für die Ukraine in der EU nur gemeinsam umzusetzen seien. Allerdings wäre es aus seiner Sicht wünschenswert gewesen, wenn auch die militärischen Hilfen für die Ukraine europäisch besser abgestimmt worden wären. „Dieser Krieg wäre dann möglicherweise schneller zu Ende gewesen“, erklärte Merz.
Die Bundesregierung sei kein gutes Vorbild innerhalb der EU, kritisierte der Oppositionsführer. Denn sie habe in den letzten Wochen viel gestritten und wenig erreicht.
Grüne: „Wir dürfen nicht nachlassen in unserem Engagement“
Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende der Grünenfraktion, sagte, die Geschlossenheit von EU, G7 und Nato sei „in dieser Krise das wichtigste Pfund, das wir haben“. Die neuesten Entwicklungen des Krieges in der Ukraine seien besorgniserregend: Die „Angriffe auf so viele unschuldige Menschen“ zeigten „die wahnsinnige Irrationalität“ Putins. „Die Zivilbevölkerung soll in Angst und Schrecken versetzt werden“, so Haßelmann. „Deshalb dürfen wir nicht nachlassen in unserem Engagement.“ Das schließe zivile Hilfe ein, aber auch EU-Beitrittsperspektiven für die Ukraine und Waffenlieferungen.
Scharfe Kritik äußerte sie an Friedrich Merz, der in einem Interview im September im Zusammenhang mit Geflüchteten aus der Ukraine den Begriff „Sozialtourismus“ verwendet habe. Das sei „Populismus“, warf Haßelmann ihm vor, und habe „sehr weh getan“.
Zudem wehrte die Grünen-Abgeordnete sich entschieden gegen den Vorwurf der Union, die Bundesregierung handele nicht, um die Menschen zu entlasten. Sie habe zahlreiche Gesetze und Entlastungspakete auf den Weg gebracht „und es wirkt“.
AfD: „Totengräber der deutschen Wirtschaft“
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla fragte: „Kann die Energie- und Versorgungssicherheit in Deutschland garantiert werden?“ Darauf habe der Kanzler keine klare Antwort gegeben.
„Der Kontinent Europa verfügt über genug Energie“, so Chrupalla. Deutschland müsse sich alle Optionen offen halten, statt den Dialog mit Russland und anderen Ländern ganz abzubrechen. Die Ursachen der Energiekrise lägen in den Augen der AfD „in der Politik der Sanktionen“. Damit würde die Bundesregierung zum „Totengräber der deutschen Wirtschaft“. „Wir brauchen einen gesunden Energie-Mix, der bezahlbar ist“, forderte Chrupalla. Erneuerbare Energien reichten nicht aus. Deshalb plädiere die AfD unter anderem dafür, die drei Atomkraftwerke in Deutschland auch über den April 2023 hinaus laufen zu lassen.
FDP: „Heute schon an morgen denken“
Christian Dürr, Fraktionsvorsitzender der FDP, warf der AfD daraufhin „Täter-Opfer-Umkehr“ vor. Putin sei der Aggressor und derjenige, der einen Friedensdialog verweigere. „Was Sie anempfehlen ist, dass sich Deutschland aus der Weltgemeinschaft verabschiedet“, sagte Dürr in Richtung Chrupalla.
Es sei völlig richtig, dass Deutschland die Ukraine weiter unterstütze und Russland sanktioniere. Außerdem müsse man „heute schon an morgen denken“. Deshalb begrüßte Dürr die geplante Wiederaufbau-Konferenz: „Wir wollen die Ukraine beim Wiederaufbau und bei ihrem Weg in die EU unterstützen.“
Das Motto gelte auch für die Energiekrise. Um niemanden mit den hohen Energiepreisen alleine zu lassen, setze die Bundesregierung Maßnahmen um. Es sei aber auch wichtig, sich parallel dazu energiepolitisch international neu aufzustellen und etwa über eine Energie-Partnerschaft mit Afrika nachzudenken. Außerdem müsse man schon jetzt auf die nächste sich andeutende Krise reagieren: den Arbeitskräftemangel in Deutschland. Fachkräfte aus dem Ausland zu holen werde „Deutschlands Wohlstand in Zukunft stärken“ und das Land krisenfester machen.
Linke: „Chaos und Murks“
Die Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion Amira Mohamed Ali warf dem Kanzler vor, in seiner Regierung herrsche „Chaos und Murks“. Sie sprach von „lächerlichen Entlastungspäckchen“, die die Menschen nicht ausreichend entlasteten. Dabei sei genug Geld da, wenn die „Superreichen“ höhere Steuern zahlen würden. „Besteuern Sie endlich die perversen Gewinne der Energiekonzerne!“, forderte Mohamed Ali Scholz auf.
Auch die außenpolitische Bilanz der Bundesregierung sei „ernüchternd“. Der Krieg in der Ukraine dürfe nicht weiter eskalieren, es brauche „Diplomatie statt Waffenlieferungen“. Im Gegensatz zur AfD, die dieses Argument nur instrumentalisierten, sei ihre Fraktion schon immer konsequent gegen Aufrüstung gewesen.
Hier seht ihr die Regierungserklärung und die anschließende Aussprache im Video:
(jk)