Matthias Seestern-Pauly (FDP) „Ich wollte als junger Erwachsener gehört werden“
Luisa Kaiser
Demokratie bedeutet, sich einzumischen. Doch wie macht man das genau und warum ist die Initiative von einzelnen so wichtig? Matthias Seestern-Pauly sitzt als Abgeordneter für die FDP-Fraktion im Bundestag, doch sein politisches Engagement hat schon viel früher begonnen. mitmischen-Autorin Luisa wollte von ihm wissen, wie er die politische Teilhabe von Jugendlichen stärken will und warum es wichtig ist, sich als junger Mensch politisch zu engagieren.
Das war ein Entwicklungsprozess. Damals an meiner Schule war ich Teil des Schülergremiums, weil es mir gefallen hat, dass man versucht hat, Probleme anzupacken und zu lösen, anstatt immer nur zu sagen, was einem nicht passt. Politisch aktiv geworden bin ich, indem ich mit einigen Freunden einen Ortsverband der Jungen Liberalen gegründet habe. Ich war Ortsvorsitzender, Kreisvorsitzender und schlussendlich auch Landesvorsitzender der Jungen Liberalen in Niedersachsen. Parallel dazu wurde ich 2006 bei den Kommunalwahlen in den Rat meiner Heimatstadt Bad Iburg gewählt. Dann folgte der Kreistag und seit sieben Jahren bin ich Mitglied des Bundestages. Während meiner 18 Jahre als Politiker habe ich bemerkt, dass sich im Laufe des Lebens die Prioritäten, die wir setzen, immens verändern. Während mir mit Anfang 20 Dinge wie Nachtbusverbindungen und Freizeitmöglichkeiten wichtig waren, sind es heute eher Sachen wie die verlässliche Kinderbetreuung. Und in 20 Jahren werde ich wahrscheinlich wieder andere Prioritäten setzen als heute. Und das ist auch ein Grund dafür, warum ich junge Menschen zum Beispiel bei Bundestagsbesuchen immer dazu ermutige, sich politisch zu engagieren.
Konkret heißt das, dass es notwendig ist, dass auch junge Menschen in den Gremien vertreten sind, da eine Priorität nicht weniger bedeutsam ist als die andere und diese durch fehlende Repräsentation der jungen Menschen in der Politik sonst häufig weniger stattfinden. Meine politische Motivation war zu Beginn also auch, dass ich als junger Erwachsener etwas verändern und gehört werden wollte. Außerdem denke ich, dass es junge Menschen auch braucht, weil sie andere Perspektiven und oft auch mutigere Lösungsvorschläge in die Debatte mit einfließen lassen. Außerdem wird ihnen so die Selbstwirksamkeit nahegebracht, da sie merken, dass sie etwas verändern können, was wiederum die Akzeptanz unserer Demokratie fördert.
Matthias Seestern-Pauly (FDP) ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und familienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Vorher hat er als Lehrer an einem Gymnasium gearbeitet. Er ist seit seiner Schulzeit politisch aktiv.
Ich glaube, das Allerwichtigste dabei wäre, dass man die größte Stellschraube bei diesem Thema ändert, also die Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre vornimmt. Genau das haben wir uns im Koalitionsvertrag auch vorgenommen und haben es geschafft, das für die Europawahlen tatsächlich zu verändern. Ich glaube, das war ein ganz wichtiger Schritt, und da ich selbst ausgebildeter Lehrer bin und deshalb nach wie vor häufig Schulen besuche, höre ich in ganz vielen Gesprächen, die ich mit Schülerinnen und Schülern dort führe, dass diese Veränderung sehr positiv wahrgenommen wird. Was das Wahlalter zur Bundestagswahl angeht, würden wir auch dieses sehr gerne senken, jedoch besteht die Herausforderung darin, dass man an dieser Stelle das Grundgesetz, in dem das Wahlalter von 18 Jahren festgeschrieben ist, verändern müsste. Dafür bräuchten wir allerdings eine 2/3 Mehrheit im Bundestag und die Problematik ist dabei, dass die CDU/CSU-Fraktion nicht bereit ist, den jungen Menschen hier mehr Einflussmöglichkeit zu übertragen. Ich bedauere das, da es sich mir nicht erschließt. Man kann zum Beispiel bereits im Alter von 14 Jahren in eine politische Jugendorganisation eintreten. Zudem kann man ab 16 Jahren in den meisten Parteien Mitglied werden, also scheinen junge Menschen ab 16 Jahren auch nach der Auffassung der Parteienstrukturen, in der Lage dazu zu sein, sich selbst in Parteien aktiv einzubringen. Sie sind dann auch in der Lage dazu, an Parteiprogrammen mitzuwirken, diese mit zu schreiben oder Delegierter bzw. Delegierte zu werden. Dann sollten sie am Ende auch in der Lage dazu sein, das Kreuz bei der Wahl setzen zu können. Dementsprechend verstehe ich die Besorgnis der CDU/CSU-Fraktion dabei nicht.
Wir haben beispielsweise auch den nationalen Aktionsplan für Kinder und Jugendliche begleitet, der noch bis 2025 läuft und bei dem auch ganz explizit Empfehlungen für eine wirksame Kinder- und Jugendbeteiligung formuliert werden sollen, und das auch unter Einbeziehung junger Menschen. Darüber hinaus befinden sich sehr viele von uns in einem stetigen Austausch mit Gruppen von Schülerinnen und Schülern oder mit jenen aus dem eigenen Wahlkreis, um Politik greifbarer zu gestalten. Dazu gehört auch, dass man im Austausch bleibt, um damit deutlich zu machen, dass man die Meinung und Überzeugung von jungen Menschen hören möchte und sie auch aufnehmen will. Das bedeutet, und das ist ein sehr wichtiger Punkt, dass man nicht immer zu demselben Ergebnis kommt, sondern zeigt: Wir hören euch zu und wägen das, was ihr denkt, mit ab und vielleicht übernehmen wir es letztlich. In einem demokratischen Prozess ist das völlig normal. Es geht allerdings auch darum, dass man sich respektvoll zuhört und zeigt, man nimmt diese Meinungen mit auf und sie spielen auch im Gesamtprozess und in der Abwägung eine Rolle.
Neben den genannten Punkten finde ich zum Beispiel das Projekt der Juniorwahlen super, weil die Schülerinnen und Schüler nicht nur ihr Kreuz setzen können, sondern gleichzeitig wichtige Informationen über die Wahl vermittelt werden. Dadurch kann man auch ganz gut nachvollziehen, wie unser Parteien-System und unsere Demokratie funktioniert. Das Ganze wird dadurch erleb- und greifbar gestaltet. Das zweite ist, dass ich eigentlich kein Gespräch mit jungen Menschen, sei es im Bundestag oder wenn ich zu Besuch in Schulen bin, verlasse, ohne dass ich diese dazu ermutige, sich aktiv einzubringen. Ich erinnere mich noch, dass damals, als ich in den Rat gewählt wurde, nur ein anderes Mitglied, das ungefähr so alt war wie ich, zugegen war. Zwischen uns und dem nächst älteren Mitglied lagen, in meiner Erinnerung, Jahrzehnte. Sowas ist, denke ich, erst mal etwas, was abschreckend auf junge Menschen wirkt. Deswegen glaube ich, dass man betonen muss: Bringt euch mit ein, denn jeder hat diese unterschiedlichen, jedoch genau so berechtigten Anliegen, die ihr nur auf diese Art und Weise nach vorne bringen könnt. Damit vermittelt man auch, dass man den jungen Menschen das zutraut. Ich traue das jungen Menschen zu, weil ich auch selber die Erfahrung damit gemacht habe, und deswegen finde ich es problematisch, dass in den Debatten um das Wahlalter jungen Menschen im Alter von 16 oder 17 abgesprochen wird, dass sie in der Lage dazu sind, ein abgewogenes Urteil und schließlich eine Wahlentscheidung zu treffen. Das, denke ich, verunsichert und ich halte das für kein gutes Signal.
Als Abgeordneter hat man ja die Möglichkeit, Schulklassen in den Bundestag einzuladen, die dann meistens die Chance bekommen, an einer Plenardebatte teilzunehmen. Auch ein Gespräch mit dem Abgeordneten gehört dazu. Heute hatte ich zwei Gruppen zu Besuch, mit denen ich mich jeweils eine Stunde ausgetauscht habe, was ich klasse finde, weil man dort auf sehr viele unterschiedliche Themen zu sprechen kommt. Des Weiteren bin ich auch häufig in Schulen innerhalb meines Wahlkreises unterwegs, wo ich vor wenigen Wochen einen Workshop leiten durfte, der von Demokratie und Populismus gehandelt hat und bei dem vor allem erörtert wurde, inwieweit Letzterer die Demokratie gefährden kann. Dabei waren auch andere Kollegen vor Ort, welche wiederum andere Workshops geleitet haben. Dazu gab es danach eine gemeinsame Präsentation. Ansonsten bin ich auch oft in Politikkursen zu Besuch, um mich über viel diskutierte Themen mit den Schülerinnen und Schülern zu unterhalten. Das empfinde ich immer als ziemlich gewinnbringend, weil man eben die Perspektiven von jungen Erwachsenen mit aufnehmen kann.
Absolut. Sich zu beteiligen, um etwas zu verändern, sich selbst etwas zuzutrauen, wozu auch gehört, dass nicht jedes Vorhaben immer auf Anhieb gelingt. Das ist völlig normal, was wir auch deutlich machen müssen, da es nunmal ein Prozess ist, bei dem man dazulernt und vielleicht auch mal Entscheidungen trifft, die man zwei Jahre später anders sehen würde. So geht es aber nicht nur jüngeren Menschen, sondern auch Menschen, die sich schon in späteren Lebensabschnitten befinden. Aber durch das Engagement gestaltet man auch seine eigene Lebenswirklichkeit mit. Zudem geht es darum, dass Demokratie durch uns alle gelebt wird, weswegen es auch auf uns alle ankommt. Indem sich alle für das demokratische Gemeinwesen einsetzen, wird dieses immens gestärkt. Das kann beispielsweise durch kommunalpolitische Ziele geschehen, durch Politik in Gänze oder auch durch den Einsatz in anderen Vereinen, wie bei einem Freiwilligendienst zum Beispiel. All das sind Faktoren, die darauf einzahlen, unser Gemeinwesen zu stärken und auch selbst wichtige Erfahrungen zu sammeln und daher kann ich immer nur dazu ermutigen, solche Schritte zu gehen.
Luisa Kaiser
wurde 2007 in Nordrhein-Westfalen geboren und ist dort aufgewachsen. Ihr Interesse für Journalismus entwickelte sie durch die Schülerzeitung und Praktika bei lokalen Medien. Sie interessiert sich für Politik und den Bundestag und wurde so auf mitmischen.de aufmerksam.