Rolf Mützenich (SPD) und Anke Hennig (SPD) „Hellwach bleiben“
Ratin Sazedul und Iven Schwerdtfeger
Demokratie bedeutet, sich einzumischen. Doch wie macht man das genau und warum ist die Initiative von einzelnen so wichtig? Rolf Mützenich und Anke Hennig haben früh mit ihrem politischen Engagement angefangen und sitzen beide für die SPD im Bundestag. Die mitmischen-Autoren Ratin und Iven wollten von den beiden wissen, wie Jugendliche sich konkret einbringen können, damit ihre Anliegen von der Politik wahr- und ernstgenommen werden.
Rolf Mützenich: Ich bin in einem Arbeiterhaushalt groß geworden. Aufgrund unserer finanziellen Situation konnte meine Familie sich keinen Urlaub leisten. Deswegen haben mich meine Eltern in den Jugendverband „Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken“, der der Arbeiterbewegung nahestand, geschickt. Unter anderem durch Veranstaltungen des Verbandes und Jugendzeltlager habe ich begonnen, in der politischen Bildung mitzuwirken. Denn meine Kindheit und Jugend waren durchweg politisiert: Ich bin in Westdeutschland aufgewachsen, zu einer Zeit, in der unser Land noch geteilt war. Viele Bürgerinnen und Bürger haben sich damals durch Streiks oder auch durch die Studentenbewegung politisch Gehör verschafft. Und nicht zuletzt der sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt hat für eine politische Aufbruchsstimmung im Land gesorgt. 2002 wurde ich dann, zu meiner eigenen Überraschung, für die Kölner SPD in den Bundestag gewählt. Ich versuche seitdem meine Expertise in der Außenpolitik einzubringen und seit mittlerweile fünf Jahren vertrete ich die SPD-Bundestagsfraktion als Vorsitzender.
Anke Hennig: Meine politische Motivation war schon immer davon geprägt, dass ich mich für Menschenrechte einsetze. Dies hat sich schon in meiner Kindheit entwickelt und durch ein Ehrenamt habe ich mich dann speziell für Jugendliche und ihre Rechte eingesetzt. Aufgrund der Erfahrungen, die ich durch mein Ehrenamt und politisches Engagement bisher gemacht habe, bin ich auch für die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz. Denn ich finde, dass Kinderrechte in unsere Verfassung gehören, um jungen Stimmen und Perspektiven mehr Gehör zu verschaffen. Das zu erreichen, ist für mich ein riesengroßer Ansporn.
Rolf Mützenich (SPD) ist seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2019 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Er selbst hat sich in seiner Kindheit und Jugend politisiert und ist überzeugt: Für die Zukunft der Demokratie braucht es junge Stimmen.
Rolf Mützenich: Ohne junge Menschen können wir keine Zukunft gestalten! Daher appelliere ich daran, eigentlich egal welchen Alters, wach zu bleiben! Das heißt, in welcher Form auch immer, unsere Demokratie, der wir unsere Freiheit verdanken, zu verteidigen. Dazu bedarf es des demokratischen Engagements von jungen Menschen, ganz egal ob in Vereinen, Parteien, Gewerkschaften oder im Individuellen. Denn wir allein, als Bundestag und als Fraktion, schaffen das nicht.
Anke Hennig: Für mich ist gerade für die Verteidigung unserer Werte und der Demokratie die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in politischen Prozessen wichtig. Kinder und Jugendliche sind Expertinnen und Experten ihrer eigenen Lebensrealität. Deswegen brauchen wir auch ihre Sichtweise, beispielsweise wenn es um Gesetzgebungsprozesse geht, die sie betreffen. Auch diese Beteiligungsrechte im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention gehören in unser Grundgesetz und werden aus meiner Sicht zu wenig beachtet. Ich finde, wir müssen in unserer Politik und unserem Verhalten dafür sorgen, dass Jugendliche und Kinder gehört werden. Ich jedenfalls möchte euch zuhören und mich mit den Sorgen und Nöten beschäftigen, die junge Menschen umtreiben, um ihnen durch mein politisches Handeln eine Stimme zu geben. Das ist das Wichtigste, was ich hier in Berlin tun kann. Denn ihr seid die Zukunft, und diese Zukunft müsst ihr mitgestalten können.
Anke Hennig (SPD) ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Als Fachpolitikerin für Jugendbeteiligung weiß sie: Politisches Engagement bedeutet nicht automatisch den Parteieintritt.
Anke Hennig: Anfang dieses Jahres hat der Bürgerrat für Ernährung seine Beratungen beendet und großartige Forderungen an uns gerichtet. Ich könnte mir gut vorstellen, auch einen Bürgerrat für Kinder und Jugendliche einzurichten, der aber auch wirklich aus Kindern und Jugendlichen besteht. Man könnte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Beispiel über ein niedrigschwelliges Bewerbungsverfahren an Grund- und Oberschulen erreichen. Dieser Bürgerrat würde Kinder und Jugendliche befähigen, sich zu beteiligen und vor allem beratend an Gesetzgebungsprozessen teilzuhaben. Gleichzeitig lernen junge Menschen dadurch, wie Politik gemacht wird und man etwas im Sinne seiner Interessen erreichen kann. Im kommunalen Bereich haben wir schon ganz viele Jugendparlamente, leider aber meiner Meinung nach noch immer viel zu wenig.
Rolf Mützenich: Die Ideen unterstütze ich vollkommen, gleichzeitig will ich aber auch betonen, dass ich befürchte, dass wir das in dieser Wahlperiode einfach nicht mehr realisiert bekommen werden. Aber wir sollten vorsichtig sein, „Jung“ und „Alt“ grundsätzlich getrennt zu betrachten. Junge Menschen werden älter, sprechen also langfristig auch für eine ältere Generation, weswegen ihre Themen gesamtgesellschaftliche Themen sind und nicht nur Themen für junge Leute. Die Bewegung „FridaysForFuture“ zum Beispiel besteht hauptsächlich aus Vertreterinnen und Vertretern einer aktuell jungen Generation, doch ihr Handeln kommt auch älteren Menschen zugute. Ich finde, die Generationen müssen im gegenseitigen Respekt miteinander umgehen, denn wenn man sich spalten lässt, hat man schon verloren.
Anke Hennig: Wir haben uns in der Ampel-Koalition dafür eingesetzt, das Wahlalter zur EU-Wahl auf 16 zu senken. Außerdem setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion seit Jahren dafür ein, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Denn mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention haben wir uns ja auch dazu verpflichtet, die Rechte von Kindern und Jugendlichen hochzuhalten. Darüber hinaus fördern wir Jugendbeteiligung über Jugendgremien und auch der Nationale Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung, den wir im Koalitionsvertrag mit Bündnis 90/Die Grünen und FDP vereinbart haben, ist uns ein wichtiges Anliegen. Ich setzte mich auch explizit als Bundestagsabgeordnete und Kommunalpolitikerin dafür ein, Jugendparlamente noch weiter auf der kommunalen Ebene zu stärken.
Rolf Mützenich: Ich bin auch sehr stolz darauf, dass wir uns als SPD-Bundestagsfraktion für das Recht auf Ausbildung eingesetzt haben. Zudem versuchen wir im Gesundheitssystem, aber auch im sozialpolitischen Bereich noch eine Menge voranzubringen. Wenn wir jetzt versuchen wollen, die Rente zu stabilisieren, dann mag das vielleicht für junge Menschen erstmal nicht interessant sein, weil sie ohnehin nicht daran glauben, eine gute Rente zu bekommen, aber das wurde auch mir vor 40 Jahren schon gesagt. Dass am Ende nicht genug für alle übrig bleibt, ist ein Narrativ, an das ich nicht glaube. Wir sind uns unserer Verantwortung gegenüber der Zukunft und den kommenden Generationen bewusst. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir einen Kontinent hinterlassen, auf dem Frieden herrscht. Dass nur wenige hundert Kilometer von uns der größte Landkrieg in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wütet, sollte uns wachrütteln. Denn wir müssen den jungen Menschen Hoffnung vermitteln, dass dieser Krieg ein Ende findet.
Rolf Mützenich: Ich möchte, dass junge Menschen beispielsweise für den Deutschen Bundestag kandidieren. Konkret in meinem Wahlkreis setze ich mich für einen Verein ein, der Kinder und Jugendliche vor Ort im Stadtteil Chorweiler unterstützt, die große Schwierigkeiten in ihrer Familie haben. Engagement muss also nicht unbedingt in einem Parlament stattfinden. Man muss vor Ort die Augen aufmachen, um zu sehen, ob man dort gesellschaftliches Engagement unterstützen kann, um Kindern und Jugendlichen eine bessere Perspektive zu geben. Politisch hoffe ich noch immer, dass wir es schaffen, eine sogenannte Kindergrundsicherung auf den Weg zu bringen. Dann müssen nämlich Kinder, die in ärmeren Verhältnissen leben, nicht als Bittsteller auftreten, sondern bekommen automatisch das, was ihnen gesetzlich auch zusteht.
Anke Hennig: So ein Interview-Format wie heute ist ja auch eine Form der Jugendbeteiligung. Wir tauschen uns aus. Das tue ich in allen politischen Fachbereichen, die ich betreue, so gut ich kann. Ich fordere auch immer wieder dazu auf, sich bei mir zu melden, Termine mit mir abzusprechen. Ich gehe in Schulen, tausche mich aus und höre mir die Sorgen vor Ort an. Ich sage immer „ich lasse mich dann grillen“, denn dort werden manchmal auch sehr kontroverse Diskussionen gestartet, mit sehr schwierigen oder provokanten Fragen, denen ich mich gerne stelle. Ich höre zu, um die Sorgen mit in meine Arbeit nach Berlin zu nehmen, um daran zu arbeiten, etwas vor Ort zu verbessern. Dafür ist gerade die Arbeit im Wahlkreis unheimlich wertvoll. Ich fordere in solchen Gesprächen auch immer wieder dazu auf, wählen zu gehen.
Rolf Mützenich: Ich scheue mich immer, Ratschläge zu geben, weil ich selbst ungern Ratschläge bekomme. Wenn ich das einfach so sagen darf: Hellwach bleiben, Gefahren erkennen und letztlich auch optimistisch bleiben und über den eigenen Tellerrand hinausschauen, anstatt sich nur in den gewohnten Kreisen aufzuhalten. Natürlich Freundschaften zu pflegen, aber zum anderen auch immer wieder offen sein für Neues. Davon habe ich sehr profitiert.
Anke Hennig: Ich möchte alle jungen Leute bitten: Nutzt eure Stimme für den demokratischen Prozess und setzt ein Kreuz bei den Wahlen, die jetzt folgen. Und da spreche ich jetzt über alle Wahlen. Setzt euch ein für die Demokratie! Nutzt die Möglichkeiten, die ihr habt, euch zu beteiligen. Seid laut, seid immer laut. Seid immer wachsam.
Ratin Sazedul und Iven Schwerdtfeger
Ratin Sazedul, Jahrgang 2004, ist in Heidelberg geboren und aufgewachsen. Er ist Student der Volkswirtschaftslehre und engagiert sich seit mehreren Jahren auf Bundesebene und im Bereich der internationalen Politik, mit besonderem Fokus auf Kinder- und Menschenrechtspolitik.
Iven Schwerdtfeger, Jahrgang 2003, ist in Mannheim geboren. Er studiert Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg und engagiert sich seit der Pandemie für menschenrechtliche Themen, mit besonderem Fokus auf die internationale Dimension.