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Regierungserklärung „Wir bewegen uns auf dünnem Eis“

Kanzlerin Angela Merkel warnte vor zu forschen Lockerungen in der Corona-Krise. Die Pandemie schränke existentielle Rechte und Bedürfnisse der Menschen ein und sei eine "demokratische Zumutung". Viel Kritik kam von der Opposition.

Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rednerpult des Deutschen Bundestages

Kaum eine Entscheidung sei ihr in ihrer Zeit als Bundeskanzlerin so schwergefallen wie die harten Einschränkungen aufgrund der Pandemie, sagte Angela Merkel im Bundestag. © picture alliance/Bernd von Jutrczenka/dpa

Es war Angela Merkels (CDU) erste Regierungserklärung zur Corona-Krise. Eine knappe halbe Stunde sprach sie im Bundestag vor weit auseinander sitzenden Abgeordneten über die Pandemie und die belastenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens.

Von einer Bewährungsprobe, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben habe, sprach zu Beginn ihrer Regierungserklärung am Donnerstag. „Ich verstehe, dass dieses Leben unter Corona-Bedingungen den Menschen schon sehr lange vorkommt“, sagte sie.

Dennoch sei es wichtig, die Corona-Einschränkungen größtenteils aufrecht zu erhalten. Denn die Infektionszahlen seien zwar zurückgegangen, doch Deutschland sei noch nicht über den Berg. „Wir bewegen uns auf dünnem Eis“, mahnte die Kanzlerin. „Lassen Sie uns jetzt das Erreichte nicht verspielen!“ Die Wirtschaft dürfe nicht zu schnell wieder hochgefahren werden. Das Tempo der Bundesländer bereite ihr mitunter Sorge.

Wann Erholung für die Wirtschaft eintreten werde, „können wir heute nicht seriös sagen“, bedauerte die Kanzlerin. Sie war sich indes sicher: „Jahre solider Politik helfen uns jetzt.“ Davon hätten schon Millionen von Menschen und Unternehmen profitiert, die Corona-Hilfen beantragt und bekommen hätten.

„Eine demokratische Zumutung“

Merkel gab zu, die Corona-Maßnahmen schränkten genau das ein, was „unsere existenziellen Rechte und Bedürfnisse sind“. Insofern sei „diese Pandemie eine demokratische Zumutung“. Umso wichtiger sei es, die Einschränkungen gut und transparent zu erklären und auch Kritik daran zuzulassen. „Kaum eine Entscheidung ist mir in meiner Amtszeit als Bundeskanzlerinso schwergefallen, wie die Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte“, versicherte die Kanzlerin.

„Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft“

Mit Blick auf die Tagung des Europäischen Rates, der ebenfalls am Donnerstag per Video-Konferenz zusammenkommt, betonte Merkel: „Deutschland kann es nur gut gehen, wenn es auch Europa gut geht.“ Europa sei „eine Schicksalsgemeinschaft“. Dennoch lehnte sie europäische Gemeinschaftsschulden in der Corona-Krise ab. Andere Länder wie Frankreich und Italien hatten genau das in den letzten Tagen gefordert.

AfD: Bevormundung des Staates

Im Anschluss kam als stärkste Oppositionsfraktion zuerst die AfD zu Wort. Fraktionschef Alexander Gauland kritisierte, der Staat bevormunde die Bürger, obwohl diese sich in der Krise vorbildlich verhielten. Der Staat sei bei der Bekämpfung des Virus „weitgehend überflüssig“, sagte Gauland.

Die Beschränkungen müssten endlich gelockert werden. Sein Fraktionskollege Sebastian Münzenmaier warf der Kanzlerin „Beschwichtigungen und Beschönigugnen“ vor. Er sagte, Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sei nicht für seinen Beruf „geeignet“ und befand: „Der absolute Shutdown wäre vermeidbar gewesen.“

FDP: Entscheidungen nicht nachvollziehbar

Auch FPD-Fraktionsvorsitzender Christian Lindner äußerte die Ansicht, die Regierung schränke die Freiheit der Menschen ein, obwohl der Nutzen dieser Einschränkungen nicht immer wissenschaftlich bewiesen sei. Als Beispiel nannte er die Gesichtsmasken, die erst als unnötig bezeichnet worden seien und nun verpflichtend würden. Lindner kritisierte, die Regeln für die Lockerungen der Corona-Maßnahmen seien teils nicht nachvollziehbar.

Die Linke: Bundesregierung hat zu spät gehandelt

Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken, gestand zu, die Krisenbewältigung laufe „weitgehend passabel“. Er kritisierte allerdings, die Bundesregierung wäre zu spät tätig geworden. „Im Januar hätten die Alarmglocken schrillen müssen“, meinte Bartsch. Den Pandemie-Plan des Robert-Koch-Instituts habe die Regierung weitgehend ignoriert. In der aktuellen Situation warnte er vor einem „Kommunikationswirrwarr“ neuer Regelungen und mahnte: „Harte Einschränkungen müssen immer wieder diskutiert werden.“

Die Grünen: Hilfe für die „Ärmsten der Ärmsten“

Für die Grünen betonte Fraktionschef Anton Hofreiter die „sozialen Kosten“ der Krise: „Kinder drohen den Anschluss zu verlieren, weil sie nicht mehr zur Schule gehen können. Familien sind am Limit.“ Er kritisierte, dass im Rahmen der Corona-Hilfen weder das Arbeitslosengeld II erhöht noch Eltern, die ihre Kinder derzeit zuhause betreuen müssen, ein „Corona-Elterngeld“ ausgezahlt werde. Es „unverantwortlich“, in diesen Zeiten nicht „die Ärmsten der Ärmsten angemessen zu unterstützen“. Außerdem mahnte Hofreiter, die Klimakrise nicht aus den Augen zu verlieren.

Koalition: "Verantwortbar und angemessen"

Die Fraktionsvorsitzenden der Koalitionsfraktionen verteidigten die Maßnahmen der Bundesregierung. Rolf Mützenich (SPD) nannte die schrittweise Lockerung der Einschränkungen „verantwortbar und angemessen“.

Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) sagte in Richtung Christian Lindner (FDP): „Es ist mir zu eindimensional, immer nur das große Lied der individuellen Freiheit zu singen.“ Rücksichtnahme auf die Freiheit der anderen sei das Gebot der Stunde.

Brinkhaus betonte aber auch, das Parlament sei der Ort, wo diskutiert und auch gestritten werden soll. Insofern sei es gut und richtig, dass über die Corona-Maßnahmen kontrovers debattiert werde. „Wir werden in den nächsten Wochen zeigen, dass wir die Regierung kontrollieren und dass wir sie auch kritisieren“, versprach er.

Im Video seht ihr die komplette Regierungserklärung und die anschließende Debatte:

(DBT/jk)

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