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Kükengeschlecht im Ei bestimmen „Wie ein Schwangerschaftstest“

Laura Heyer

Um das Töten von männlichen Küken zu vermeiden, soll schon im Ei das Geschlecht der Hühner bestimmt werden. Warum man dazu Hühner-Pippi braucht und was mit den Küken passiert, erklärt Carmen Uphoff vom Start-up Seleggt im Interview.

Maschine

Mit der Maschine „SELEGGT Circulus“ kann bestimmt werden, ob es sich um ein männliches oder weibliches Embryo im Ei handelt. © Seleggt

Frau Uphoff, wie kam es zu der Idee, das Seleggt-Verfahren zu entwickeln?

Der Ursprung der Idee liegt bei der Universität Leipzig und Frau Prof. Dr. Einspanier. Sie ist Veterinärin und arbeitet seit über zehn Jahren im Bereich der Hormonforschung. Dort hatte sie die Überlegung, ob es nicht möglich ist, über eine Hormonanalyse schon vor dem Schlüpfen eines Kükens herauszufinden, was für ein Geschlecht im Brutei entsteht. Dazu hat sie einen entsprechenden Test entwickelt.

Man kann sich das Ganze vorstellen wie einen Schwangerschaftstest: Man entnimmt einen Tropfen Flüssigkeit aus dem Brutei, gibt ihn auf eine Art Teststreifen und kann dann durch einen Farbwechsel sehen, ob ein bestimmtes weibliches Geschlechtshormon in der Flüssigkeit enthalten ist. Dieser Vorgang ist am neunten von 21 Bruttagen möglich. Da eine Uni eine Forschungseinrichtung ist, suchte sie Industriepartner, um ihr Projekt für die Wirtschaft umzusetzen …

… und da kommt jetzt die Firma Seleggt ins Spiel?

Richtig, mein Vorgesetzter und SELEGGT-Gründer Dr. Ludger Breloh ist auf die Forschung von Frau Prof. Einspanier aufmerksam geworden. Er war damals Manager bei der Rewe Group im Bereich Innovation und Strategie und wollte nachhaltige Projekte vorantreiben. Dann wurde ein sogenanntes Joint Venture gegründet aus der Rewe Group und Hatch Tech, einem Unternehmen aus den Niederlanden, das Brutschränke herstellt. Das heißt, wir haben quasi die entsprechende Maschine zur Forschung von Frau Prof. Einspanier gebaut.

Wie funktioniert das Verfahren genau?

Die Bruteier, aus denen neue Küken schlüpfen sollen, kommen bei uns im Geschlechtsbestimmungszentrum an. Dort werden sie erst einmal neun Tage gebrütet. Dann wird geschaut, ob die Eier überhaupt befruchtet sind. Bei all diesen Bruteiern kommt dann unsere Maschine „SELEGGT Circulus“ zum Einsatz. Dort werden die Bruteier automatisch eingelegt, dann wird mit einem Laser ein 0,3 Millimeter großes Loch in das Brutei gebrannt und mit einer Pipette ein kleines bisschen Flüssigkeit aus dem Brutei gesogen. Diese Flüssigkeit nennt sich Allantois-Flüssigkeit – es ist quasi Pippi vom Embryo, in dem die Geschlechtshormone enthalten sind.

Die Pipette gibt diese Flüssigkeit auf eine kleine Platte, auf der sich der Marker zur Geschlechtsbestimmung befindet. Dort entsteht ein Farbwechsel – wenn das Plättchen blau wird, ist das Brutei männlich. Die männlichen Bruteier werden dann aussortiert und die weiblichen zurück in die Brütereien geschickt. Dort schlüpfen nach 21 Tagen nur weibliche Küken, die später ab einem Alter von circa 20 Wochen unbefruchtete Eier legen, die im Supermarkt verkauft werden.

Woher kommt mein Frühstücks-Ei?

Hühner legen Eier – aber nicht jedes Ei landet dann auf dem Frühstückstisch. Denn bei Hühnern gibt es zwei Genetiken: sogenannte Mastrassen zur Fleischerzeugung und Legerassen für die Eierproduktion. Bei Mastrassen leben männliche und weibliche Tiere zusammen, werden gemästet und geschlachtet. Bei Legehennen ist das etwas komplizierter: In sogenannten Elterntierfarmen leben Hähne und Hennen zusammen. Die Legehennen legen befruchtete Bruteier, die in eine Brüterei geliefert werden. In dieser Brüterei schlüpfen aus den Bruteiern Küken.

Die männlichen Küken werden nach dem Schlupf direkt getötet, da sie keine Eier legen können und nur sehr wenig Fleisch ansetzen. Die weiblichen Küken gelangen in einen Aufzuchtbetrieb und werden groß gezogen bis sie circa 18 Wochen alt sind. Dann kommen die Junghennen in einen Legehennenbetrieb und beginnen Eier zu legen. Da dort nur Hennen eingestallt sind, sind diese Eier unbefruchtet und gelangen über den Supermarkt als Frühstücksei zu uns.

Das Brutei wird bis zum 9. Tag angebrütet und dann getestet. Das heißt, es befindet sich schon ein lebender Embryo dort drin. Spürt das Küken etwas davon?

Nein, das Küken spürt nichts davon. Die ersten Maschinen, die entwickelt wurden, hatten eine Nadel, die in das Brutei pikste. Es hat sich aber schnell gezeigt, dass dieses Vorgehen die Küken beeinträchtigt hat und weniger geschlüpft sind. Der Laser brennt nur ein kleines Loch in die Schale und die Pipette saugt dann die Flüssigkeit heraus – das heißt, es gibt keinen Kontakt zum Inneren des Bruteis.

Über das Schmerzempfinden eines Embryos gibt es sehr wenige Studien. Bisher weiß man, dass ab dem siebten Bruttag das Nervensystem des Kükens entsteht. Es ist aber nicht sicher, wie viel Empfinden im Gehirn des Kükens ankommt. Ab dem 10. bis 13. Tag kann man davon ausgehen, dass es erste Reizwahrnehmungen gibt, ab dem 15. Tag ist dann ein Schmerzempfinden möglich.

Was passiert mit den aussortierten „männlichen“ Bruteiern, die nicht ausgebrütet werden?

Die männlichen Bruteier werden direkt gemust und gekühlt; damit wird der Brutvorgang sehr schnell beendet. Aus ihnen wird dann ein Futtermittel zum Beispiel für Schweine hergestellt.

Wie arbeiten Sie konkret mit den Brütereien zusammen?

Wir haben zwei Modelle der Zusammenarbeit: Entweder die Brüterein beziehen die weiblichen Bruteier über uns oder wir kommen direkt zu ihnen. Bei der ersten Variante bestellen die Brütereien die weiblichen Bruteier der entsprechenden Rasse bei uns. Wir bekommen die Bruteier von den Elterntierfarmen geliefert, machen die Vorbrut, bestimmen das Geschlecht und liefern die weiblichen Bruteier an die Brüterei.

Bei der zweiten Variante gehen wir mit unserer Technik in bestehende Brütereien und führen vor Ort den Prozess durch. Das heißt, wir müssen die Bruteier nicht bei uns vorbrüten und auch nicht mehrfach transportieren.

Wer trägt dann die Kosten?

Grundsätzlich ist es so, dass die Brüterei für die Geschlechtsbestimmung der Bruteier kein Geld zahlen muss. Stattdessen nehmen wir eine Lizenz bei den Eierpackstellen. So vermeiden wir, dass die Landwirte pro Huhn mehr bezahlen müssen und dann womöglich aus Kostengründen auf die Geschlechtsbestimmung verzichten.

Deshalb zahlt am Ende der Verbraucher ein bis zwei Cent mehr pro Ei im Supermarkt und gleicht so die höheren Preise bei den Packstellen aus. Die entsprechenden Eier sind dann mit einem kleinen Logo mit der Aufschrift „respeggt“ gekennzeichnet.

Der Bundestag hat kürzlich einen Gesetzentwurf verabschiedet, nachdem ab 2024 auch Eingriffe in das Hühnerei und der Abbruch des Brutvorgangs ab dem 7. Bruttag verboten werden sollen. Was bedeutet das dann für Ihr Verfahren?

Wir sind über die Entscheidung, diese Regelung mit in das Gesetz aufzunehmen, sehr überrascht. Unser Verfahren funktioniert heute am 9. Bruttag, da es leider bisher technisch nicht möglich ist, an einem früheren Bruttag zu analysieren. Es gibt keine eindeutigen Studien, wann das Schmerzempfinden eines Kükens beginnt. Wird unser Verfahren nicht zugelassen, bliebe dann nur die Bruderhahnmast – das heißt, dass man die männlichen Küken aufzieht und versucht zu mästen. Aber diese Tiere benötigen viel mehr Futter als klassische Masthähnchen. Aktuell gibt es kein Verfahren, dass vor dem sechsten Bruttag die Geschlechtsbestimmung durchführen kann.

Somit hat die Entscheidung für uns weitreichende Konsequenzen. Wir werden unsere Kapazitäten in Deutschland erst einmal nicht weiter ausbauen, weil es ab 2024 keine Planungssicherheit gibt. Das stoppt natürlich auch die Weiterentwicklung von neuen Verfahren. Wir forschen weiter, aber es ist recht unwahrscheinlich, in dieser kurzen Zeit neue Methoden zu erfinden.

Soll das Seleggt-Verfahren in Zukunft dennoch weiterentwickelt werden?

Wir arbeiten schon jetzt in den Niederlanden und werden uns auch in Zukunft mehr im Ausland orientieren. Denn hier lässt die Gesetzeslage unsere Arbeit zu. Es wird also wahrscheinlich so sein, dass die Küken in Zukunft in den Niederlanden schlüpfen und dann nach Deutschland transportiert werden. Insgesamt wollen wir natürlich schneller und effizienter werden.

Mehr über Carmen Uphoff

Carmen Uphoff arbeitet seit drei Jahren bei „SELEGGT“. Die 31-Jährige hat Agrarökonomie studiert und leitet die Presseabteilung. Dort betreut sie besonders die politischen Prozesse.

(lh)

Mitmischen-Autorin

Laura Heyer

hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.

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