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Neues Gesetz Menschen mit Behinderung sollen es leichter haben

Laura Heyer

Besserer Schutz vor Gewalt, mehr Jobs, neue Regeln für Assistenzhunde: Der Bundestag beschloss im April das Teilhabestärkungsgesetz. Ein guter Ansatz, finden alle Fraktionen – aber es gab auch Kritik.

Mann im Rollstuhl im Büro

Vielfältige Teams: Jedes Unternehmen soll fünf Prozent Menschen mit Behinderung einstellen. © shutterstock/wavebreakmedia

„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“, so steht es in Artikel drei des Grundgesetzes. Aber wie kann es gelingen, dass Menschen mit Behinderung im privaten Umfeld, aber auch auf dem Arbeitsmarkt, gleichberechtigt teilhaben können an unserer Gesellschaft?

Darüber hat der Bundestag im März und April beraten und am 22. April dem Gesetzentwurf zum Teilhabestärkungsgesetz der Bundesregierung zugestimmt. Zuvor hatten die Abgeordneten im Ausschuss für Arbeit und Soziales noch einige Änderungen beschlossen.

Nicht mehr „krank“

Mit dem Gesetz setzt der Bundestag Teile der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen um. Dieses Schriftstück ist ein Abkommen von 182 Staaten, das die Lebenssituation von behinderten Menschen konkretisiert und Grundsätze bestimmt, wie Menschen mit Behinderungen ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft sein können. Dazu gehören Selbstbestimmung, Chancengleichheit und auch Zugänglichkeit im Alltag.

Der Begriff „Menschen mit Behinderungen“ bezieht sich dabei auf Menschen, die „langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben“, die sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der „vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft“ hindern können. Früher wurden Menschen mit Behinderung oft als „krank“ bezeichnet, was ihrer Situation aus Sicht der Vereinten Nationen nicht gerecht wird.

Schutz vor Gewalt, Hunde erlaubt

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht viele Änderungen in den Sozialgesetzbüchern vor. Dort ist die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geregelt. Eine Änderung dient dem Zweck, besonders Frauen vor Gewalt zu schützen. Zudem sollen Menschen, die einen sogenannten Assistenzhund haben, zum Bespiel Blinde, an mehr Orten Zutritt bekommen. Bisher mussten sie häufig, wie jeder Hundehalter ohne Behinderung, mit ihrem Hund draußen bleiben, wenn Hunde in Geschäften oder Gebäuden nicht erlaubt waren.

Zudem haben die Abgeordneten viele Änderungen im Bereich der Arbeitswelt beschlossen. Künftig sollen auch Menschen, die schon in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten, über das Budget für Ausbildung gefördert werden können. Für Firmen soll es eine Beratungsstelle geben, damit sie sich informieren können, um Menschen mit Behinderungen in ihre Teams zu integrieren; denn bisher findet nur jeder dritte Mensch mit Behinderung einen Arbeitsplatz.

Außerdem soll jedes Unternehmen fünf Prozent Menschen mit Behinderungen einstellen. Bei 20 Beschäftigten muss somit ein Arbeitsplatz mit einem Menschen mit Schwerbehinderung besetzt werden. Betriebe, die das nicht schaffen, müssen zahlen: Die sogenannte Ausgleichsabgabe wird fällig. Gestaffelt geht es um Beträge zwischen 125 bis 360 Euro monatlich.

Experten überwiegend positiv

Wie häufig bei neuen Gesetzen hatten sich auch externe Experten zu den Plänen der Politiker geäußert. In diesem Fall hatte der Ausschuss für Arbeit und Soziales unter Leitung von Dr. Matthias Bartke (SPD) Mitte April Fachleute geladen. Diese bewerteten das Teilhabestärkungsgesetz überwiegend positiv – forderten allerdings auch Nachbesserungen, unter anderem bei den Regelungen zu Assistenzhunden, beim Budget für Ausbildung oder der Hilfe für Werkstätten während der Pandemie.

Thomas Hansen vom Verein Associata-Assistenzhunde schlug zum Beispiel vor, das Teams aus Menschen mit Assistenzhunden in einer Liste geführt werden. So soll die neue Regelung nicht dazu führen, dass jeder überall einfach seinen Hund mitnehmen kann.

Träger grundsätzlich zu verpflichten, Gewaltschutzkonzepte vorzulegen, sei ein sehr guter Ansatz. Man solle dies jedoch ergänzen durch eine bundesweite Beschwerdestelle und ein eigenes Qualitätsmerkmal im SGB IX (Neuntes Buch Sozialgesetzbuch), schlug Antje Welke von der Bundesvereinigung Lebenshilfe vor.

Das sagt die Regierung

„Wir haben einen guten Gesetzentwurf noch besser gemacht“, sagte Wilfried Oellers von der CDU/CSU, in der Debatte. Er hob vor allem die Entwicklungen im Bereich der Arbeit hervor wie eine „Ansprechstelle für Arbeitgeber“ und „die Betreuung von Rehabilitanden in Jobcentern“.

Seine Kollegin Kerstin Tack von der SPD-Fraktion betonte zudem das erweiterte Budget für Menschen mit Behinderung in der Ausbildung und die Verpflichtung für Betriebe, inklusive Teams zu fördern.

AfD: „Fingerspitzengefühl benötigt“

Uwe Witt von der AfD-Fraktion, die dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ebenfalls zustimmte, sagte, man habe mit dem Gesetzentwurf endlich „einmal den Fuß von der Bremse genommen“. Trotzdem warnte er davor, in der Debatte und vor der Bundestagswahl im Herbst „parteipolitisches Taktieren“ zu nutzen, statt sachlich zu diskutieren.

FDP und Grüne: Coronapandemie bedenken

„Mit Stärken hat das herzlich wenig zu tun“, kritisierte Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen) den Gesetzentwurf. Es gebe einen Rattenschwanz an Änderungsanträgen für das Gesetz, so die Abgeordnete. Auch Experten und besonders Betroffene seien mit den Regelungen nicht zufrieden.

Ebenso wie ihr Kollege Jens Beck von der FDP wies sie zudem auf die Problematik der Coronapandemie hin, die für Menschen mit Behinderungen zusätzlich eine besondere Belastung darstelle. „Menschen in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe waren nicht selten isoliert von ihren Lieben; Eltern konnten ihre Kinder in der Anfangszeit nicht besuchen. Das waren sehr schwierige Situationen“, sagte Beck. Daher gelte es jetzt besonders, passende Lösungen zu finden.

„Gesetzchen“ satt Gesetz

„Nach Auffassung der Linken handelt es sich eher um ein Gesetzchen“, sagte Sören Pellmann von der Linksfraktion in der Debatte. Teilhabe werde vor allem gestärkt, indem man gute Arbeit für Menschen mit Behinderung ermögliche, so seine Forderung. Das leiste das Gesetz bisher nicht.

Die Infos über die Debatte und alle Anträge der Opposition findet ihr auf bundestag.de. Das Video der abschließenden Debatte seht ihr hier:

(lh)

Mitmischen-Autorin

Laura Heyer

hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.

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