Mutter spendet an Tochter Ein zweites Mal geboren
Helene Fuchs
Für Nierenkranke kommt das rettende Organ oft aus der eigenen Familie. Christa Nöckel hat ihrer Tochter eine Nieren gespendet. Warum das lange ein Geheimnis war, hat die Mutter unserer Autorin Helene erzählt.
Schock beim Arzt
1989: In der 30. Schwangerschaftswoche steht für Christa Nöckel eine Routineuntersuchung beim Arzt an. Ihre zwei älteren Töchter, damals fünf und acht, sind bei ihr und wollen ihr Geschwisterkind zum ersten Mal per Ultraschall sehen. Gemeinsam blicken sie auf das verschwommene Bild des Untersuchungs-Bildschirms. "Ich habe damals schon am Blick des Arztes gemerkt, dass etwas ist", erzählt Nöckel. Die heute 66-jährige Rentnerin berichtet gefasst, aber nicht beschönigend von dem lange zurückliegenden Termin.
Als die beiden Kinder abgelenkt sind, fragt sie ihren Arzt, der die Befürchtung bestätigt: Etwas ist anders. Er kann nur eine Niere ihrer ungeborenen Tochter auf dem Ultraschall finden. Ein unerwarteter Schock. Weder sie selbst, noch ihr Mann haben Vorbelastungen, die älteren Kinder sind völlig gesund mit zwei Nieren zur Welt gekommen.
Probleme bei beiden Nieren
Christa Nöckel wird an einen Spezialisten verwiesen. Der kann die zweite Niere zwar finden, bestätigt aber den Verdacht: Die Organe ihrer ungeborenen Tochter sind nicht richtig entwickelt. Auf der einen Seite besitzt sie eine Niere, die nur aus Hohlräumen besteht und nicht arbeitet. Die Niere auf der anderen Seite erfüllt nur 10 Prozent der eigentlichen Funktion. "Wir hatten damals Glück, dass der Arzt ein so gutes Ultraschallgerät hatte und das erkennen konnte", berichtet Nöckel. In den 80ern waren die medizinischen Geräte noch nicht so weit wie heute.
Schleichendes Gift
Solange sich das Kind im Mutterleib befindet, wird die Nierenfunktion von der Mutter erfüllt, alle anderen Organe können sich weiter entwickeln. Erst nach der Geburt muss die fehlende Nierenleistung ausgeglichen werden. Wenn die Nieren nicht oder schlecht funktionieren, sammeln sich giftige Stoffe und Wasser im Körper an. Daher verbringt Familie Nöckel das erste Lebensjahr der Jüngsten vor allem in Krankenhäusern. Die letzte Station ist schließlich eine Spezialklinik in Hannover. Auf der Kinder-Intensivstation wird sie mit Medikamenten und Bluttransfusion behandelt. Jetzt gibt es für die Familie zwei Optionen: Transplantation eines Spenderorgans oder lebenslange Dialyse.
Geräte übernehmen
Eine schwierige Entscheidung. Denn Dialyse ist aufwändig: Geräte übernehmen den Job der Nieren, sie reinigen das Blut. Ohne dieses Verfahren käme es letztlich zu einem Kreislaufzusammenbruch, zu einer Art Vergiftung. Dialyse-Patienten müssen den Prozess deshalb sehr regelmäßig durchlaufen.
"Ein Bild habe ich heute noch vor Augen: mein kleines Kind, für die Dialyse am Bett festgebunden", erinnert sich Nöckel an ihre Horrorvorstellung. Und die Mutter möchte ihrer Tochter ein Leben voller Arztbesuche, Medikamente und Krankenhausaufenthalte ersparen.
Mit ihrem damaligen Mann entscheidet sie, ihre Tochter auf die Transplantationsliste für eine Spenderniere zu setzen. Diese Liste ist lang. Auf 8.000 Menschen, die eine Niere brauchen, kommen jedes Jahr etwa 2.000 Transplantationen.
Auch Lebende können spenden
Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit: Eine Lebendspende. Etwa 500 der jährlich transplantierten Nieren stammen nicht von Toten. "Ich wurde dann in Hannover von den Ärzten darauf angesprochen", erinnert sich Nöckel. Obwohl Menschen gut mit nur einer funktionierenden Niere leben können, sind Lebendspenden in Deutschland nur unter strengen Regeln erlaubt. Denn eigentlich erfolgen Organtransplantationen nach dem Tod des Spenders. Nur wenn dadurch keine geeignete Niere zur Verfügung steht, dürfen Verwandte ersten und zweiten Grades oder Nahestehende spenden. Mehr als die Hälfte der Lebendspenden stammt von Blutsverwandten, der Rest von Ehe-, Lebenspartner oder Freunden.
Sind wir geeignet?
Der Vater und Nöckel lassen sich also testen: Die Niere der Mutter ist zur Transplantation geeignet. Die Entscheidung hatte sie schon so gut wie getroffen, trotzdem bestärken sie Gespräche mit der psychologischen Beratung des Krankenhauses, ihrem damaligen Mann und den Ärzten ihrer Tochter. "Mir war damals klar, dass ich alles Menschenmögliche dafür tun würde, meiner Tochter ein gutes Leben zu ermöglichen". Sie und ihr Kind werden fast gleichzeitig operiert, beide Eingriffe verlaufen unproblematisch.
Eine neue Chance
Nöckels Genesung geht schnell voran und auch der Körper ihrer Tochter nimmt die Niere sofort an. Ein Glücksfall, denn lange nicht alle Lebendspenden funktionieren so gut. Manchmal müssen auch Spender nach einigen Jahren zur Dialyse, das Risiko besteht. Christa Nöckel führt auch danach ein ganz normales Leben: Ein halbes Jahr nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ist sie noch einmal zu einem Kontrolltermin in die Kinderklinik: alles in Ordnung.
Durch die Scheidung von ihrem ersten Mann zieht sie ihre drei Kinder inzwischen allein auf, arbeitet parallel in der Haus- und Familienhilfe. Dass sie ihrer jüngsten Tochter eine Niere gespendet hat, erfährt diese lange Zeit nicht. "Ich wollte nicht, dass sie sich dadurch zu irgendwas verpflichtet fühlt", erklärt sie schlicht. Irgendwann sei es aber durch Zufall herausgekommen. Ihrem Verhältnis habe das aber nicht geschadet, die beiden seien bis heute eng verbunden.
Ein zweites Mal geboren
Die Entscheidung bereut habe sie nie. "Meine Tochter ist nach der Transplantation ein zweites Mal geboren worden", so sieht es Nöckel. Die Operation ermöglicht ihr ein selbstständiges Leben, sie erlernt einen Beruf und lebt allein.
27 Jahre lang funktionierte das Organ wie eine eigene Niere. Doch seit zwei Jahren ist Nöckels Tochter wieder dialysepflichtig. Auch das ist bei Organtransplantationen keine Seltenheit. Niemand kann voraussagen, wie lange ein Spenderorgan seine Funktion erfüllt. Christa Nöckel selbst hatte durch ihre Operation oder das Fehlen einer ihrer Nieren nie gesundheitliche Schwierigkeiten.
"Entschädigung genug"
Organspende ist für die Ruheständlerin bis heute Thema: Nach wie vor wohnt sie in Giffhorn, einem kleinen Ort in Niedersachsen und leitet hier die Regionalgruppe des Bundesverbands Niere. Seit 22 Jahren engagiert sie sich dort im Vorstand. Die Arbeit ist vielfältig, ob Veranstaltungen organisieren oder Vorträge halten: Aufklärung ist Nöckel ein wichtiges Anliegen. Dabei stellt sie ihre eigene Rolle als Spenderin eher in den Hintergrund: "Wenn man sieht, dass es anderen gut geht, ist das schon Entschädigung genug."
Helene Fuchs
Helene Fuchs
studiert Recht und Politik