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Heidi Reichinnek (Die Linke) „Nicht dem ‚Höher, Schneller, Weiter‘ verfallen“

Madelina Pipping

Als Mitglied der kleinsten Oppositionsfraktion will Heidi Reichinnek mehr Perspektiven in den Bundestag einbringen und sich vor allem für Kinder und Jugendliche einsetzen. Madelina hat sie in Osnabrück am Rathausplatz getroffen, wo ihre politische Laufbahn begann.

Portrait der Abgeordneten Heidi Reichinnek

Sie will etwas verändern, gesellschaftliche Probleme angehen – deshalb, sagt Heidi Reichinnek, sei sie in die Politik gegangen. © Die Linke/Felix S. Schulz

Die Sonne strahlt auf das Dach der Marienkirche, im Hintergrund ist Gelächter von den umliegenden Cafés zu hören und man sieht viele Familien, bepackt mit Büchern und Spielen, aus der Stadtbibliothek kommen. Hier, im Zentrum von Osnabrück, treffe ich Heidi Reichinnek, Landesvorsitzende Die Linke Niedersachsen und seit 2021 Bundestagsabgeordnete. Schon vor der ersten Begegnung hat sie mir das „Du“ angeboten und ihre Nachrichten beendet sie oft mit einem Smiley. Sie wirkt ziemlich locker, und dieser Eindruck bestätigt sich auch im Gespräch über ihren „wunderschönsten“ Wahlkreis, wie sie sagt, und ihre Arbeit in der Politik.

Obwohl die 34-Jährige in Sachsen-Anhalt geboren ist, liebe sie die Stadt und die umliegenden Gemeinden sehr, erzählt sie. Der Wahlkreis 39 Osnabrück Stadt umfasst die Stadt selbst und die Gemeinden Belm, Georgsmarienhütte, Hasbergen, Hagen und Wallenhorst. Insgesamt gibt es rund 196.000 Wahlberechtigte dort und der Wahlkreis umfasst einen großen Anteil an Personen im Alter von 20 bis 30 Jahren, was sich durch die vielen Studierenden an der Universität Osnabrück erklärt.

Rathaus und Stadtbibliothek – ein Lieblingsplatz in Osnabrück

„Ich liebe es, dass Osnabrück viel Abwechslung bietet“, sagt Heidi Reichinnek. „Einerseits viel Natur sowohl in der Stadt als auch in der Umgebung, andererseits aber auch schöne Cafés, Geschäfte und Freizeitangebote, besonders auch für Jugendliche.“ Am liebsten aber mag sie den Rathausplatz zwischen Stadtbibliothek, Rathaus und Kirche, wo wir jetzt sitzen. Die Stadtbibliothek liegt ihr dabei besonders am Herzen – für sie ein Zeichen dafür, wie wichtig es ist, Kindern und Jugendlichen niedrigschwellig Zugang zu tollen Freizeitaktivitäten zu ermöglichen. Es werden oft Führungen und Aktivitäten angeboten, die sie selbst auch oft in ihrer Arbeit mit Geflüchteten wahrgenommen hat.

Der Platz hat aber noch eine andere wichtige Bedeutung für Heidi Reichinnek, denn das Rathaus gegenüber der Bibliothek war der Ort, an dem sie selbst fünf Jahre lang ehrenamtlich Kommunalpolitik im Stadtrat gemacht und wo sie einen ersten Eindruck von der „formellen Politik“ bekommen hat.

Starker Zusammenhalt, bunte Zivilgesellschaft

An ihrem Wahlkreis gefällt ihr besonders, „dass es dort eine bunte und aktive Zivilgesellschaft gibt und der Zusammenhalt und das Engagement sehr stark sind.“ Diesen Zusammenhalt hat sie selbst auch oft erfahren, denn nach ihrem Studium hat sie unter anderem als Sprach- und Kulturfachkraft für unbegleitete minderjährige Ausländer gearbeitet und anschließend als pädagogische Mitarbeiterin in der Jugendhilfe. „Die Osnabrücker können da wirklich sehr stolz auf sich sein, dass für Menschen mit Migrationshintergrund so viel Bereitschaft zur Unterstützung vorhanden ist“, so Heidi Reichinnek.

Collage: oben links Rathaus und Kirche, oben rechts die Abgeordnete Heidi Reichinnek mit der Autorin, unten links Blick auf den Marktplatz, unten rechts die Stadtbibliothek

Madelina traf Heidi Reichinnek auf dem Rathausplatz in Osnabrück, zwischen Stadtbibliothek, Rathaus und Kirche. © Madelina Pipping

Nahverkehr, Mieten, Jugendarbeit: Herausforderungen der Region

Aber auch in ihrem Wahlkreis gebe es viele Herausforderungen, besonders auch für Kinder und Jugendliche. Neben dem aus ihrer Sicht schleppenden Ausbau des Nahverkehrs und dem Mangel an bezahlbaren Wohnungen unterstreicht sie besonders die fehlenden finanziellen Mittel für die Jugend- und Sozialarbeit. Ein großes Problem sei, dass die Angebote oft nur über einen begrenzten Zeitraum hinweg geplant würden: „Es besteht immer das Risiko, dass Gelder gestrichen werden und gute Projekte somit beendet werden müssen.“ Als Beispiel nennt die Abgeordnete die „Sprach-Kitas“, ein Bundesprogramm für die Förderung der Sprachentwicklung in den Kitas durch die Bereitstellung einer zusätzlichen Fachkraft. „Ein super Projekt“, so Heidi Reichinnek, „das nun leider gestrichen wurde“.

Auch die „Kindergrundsicherung“ ist ihr ein wichtiges Anliegen. Im Bundestag setzt sie sich als Mitglied des Familienausschusses und der Kinderkommission dafür ein. Neben der Kinder- und Jugendpolitik ist Heidi Reichinnek auch aktiv in der Frauenpolitik, etwa beim Thema Gewalt gegen Frauen.

Wunsch nach Veränderung – der Weg in die Politik

Ihre Fraktion, Die Linke, ist im Bundestag in der Opposition. Sie stellt nur 39 von 735 Abgeordneten. Deshalb sei es mitunter schwer, Ziele durchzusetzen, erzählt Heidi Reichinnek. Das schreckt sie aber nicht ab: „Ich sehe es als meinen und unseren Auftrag als Linke, mehr Perspektiven in den Bundestag einzubringen und den Wählerinnen und Wählern zu zeigen: Wir hören euch und bringen eure Probleme mit ein!“ Sie möchte Politik zugänglich machen, vor allem auch für Jugendliche, deshalb teilt sie seit einiger Zeit auch Beiträge über die Video-Plattform TikTok.

Für Heidi Reichinnek war nicht immer klar, dass sie einmal in die Politik gehen würde, sagt sie. Aber je mehr sie über gesellschaftliche Probleme gelesen habe, desto mehr sei der Wunsch entstanden, selbst etwas zu verändern. Seit 2015 ist sie Parteimitglied der Linken, von 2016 bis 2021 war sie Mitglied der Linksfraktion im Stadtrat Osnabrück, seit 2019 ist sie Landesvorsitzende Die Linke Niedersachsen und zudem seit 2021 Abgeordnete im Bundestag. Sie ist also recht schnell aufgestiegen innerhalb ihrer Partei: „Wenn man Lust hat, politisch etwas zu bewirken, und sich reinhängt in die Arbeit, dann bietet Die Linke viele Möglichkeiten“, so Heidi Reichinnek.

„Mensch bleiben“ im Politikalltag

Die Arbeit als Abgeordnete mache ihr sehr viel Spaß, sie sei froh über diese Chance und ihr „tolles Team“, das sie überall unterstütze, sei es in der Öffentlichkeitsarbeit oder bei der Organisation von Terminen. Besonders gefalle es ihr, so viele neue Leute kennenzulernen und immer wieder Neues dazuzulernen. Trotzdem sei es für sie wichtig zu wissen, dass sie auch wieder in ihren Job als pädagogische Mitarbeiterin zurückkehren kann.

Natürlich sei die Arbeit in der Politik auch stressig, sagt Heidi Reichinnek. Als Ausgleich versuche sie, sich einen Tag in der Woche freizuhalten, um Freunde zu treffen und Essen zu gehen. Außerdem sei sie eine leidenschaftliche Leserin. „Trotzdem muss ich mich manchmal selbst ermahnen, nicht dem ‚Höher, Schneller, Weiter‘ zu verfallen“, gibt sie zu. Deshalb gefalle ihr ein Zitat von Rosa Luxemburg: „Dann sieh, dass du Mensch bleibst: Mensch sein ist vor allem die Hauptsache. Und das heißt: fest und klar und heiter sein, ja heiter trotz alledem.“

Zur Person

Heidi Reichinnek, 1988 in Merseburg in Sachsen-Anhalt geboren, hat einen Master in Politik und Wirtschaft des Nahen und Mittleren Ostens. Sie hat zuletzt in der Jugendhilfe gearbeitet, bevor sie 2021 für Die Linke in den Bundestag einzog. Dort ist sie Mitglied im Familienausschuss und in der Kinderkommission sowie Sprecherin für Frauen-, Senioren-, Kinder- und Jugendpolitik ihrer Fraktion. Mehr erfahrt ihr auf ihrem Profil auf bundestag.de.

Mitmischen-Autorin

Madelina Pipping

..studiert Public Governance across Borders (eine Mischung aus Internationale Politikwisschenschaften und Management) in Münster und Enschede. Sie liebt es mit Freunden rauszugehen, Sport zu machen und ganz viel Kaffee zu trinken. Ihr tägliches Highlight sind lustige Hunde-Videos im Internet anzuschauen.

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