Sepp Müller (CDU/CSU) „Es ziehen wieder mehr Junge her“
Aktuell tourt Sepp Müller, 32, mit dem Fahrrad durch seinen Wahlkreis Dessau-Wittenberg. Unsere Autorin Julia hat ihn telefonisch an seinem Lieblingsort erreicht und mit ihm über Soziale Medien, Partys und seine Wunsch-Regierung nach der Wahl gesprochen.
Eigentlich waren wir für den 25. August im Wörlitzer Park in Dessau verabredet. Sepp Müllers Lieblingsort in seinem Wahlkreis in Sachsen-Anhalt. Doch dann kam die Sondersitzung dazwischen. Trotz parlamentarischer Sommerpause kam der Bundestag am 25. August zusammen, um drängende Themen wie die Krise in Afghanistan, die Flutkatastrophe in Westdeutschland und die aktuelle Corona-Lage zu besprechen.
Also telefonieren wir einfach. Sepp Müller in Dessau und ich in Dresden, denn spontane Terminverschiebungen ist der 32-Jährige gewohnt. „Klar, das gehört dazu“, sagt er. Immerhin sitzt er schon seit vier Jahren im Bundestag. 2017 wurde er in seinem Wahlkreis Dessau-Wittenberg direkt gewählt.
16 Tage, 500 Kilometer, 70 Ortschaften
Das will er am 26. September wieder schaffen. Deshalb ist er gerade mit dem Fahrrad in seinem Wahlkreis unterwegs, erzählt er mir im Gespräch: 16 Tage, 500 Kilometer, 70 Ortschaften, über 70 Termine. Die Idee ist im letzten Lockdown aus der Not geboren: „Mein Team und ich haben freiwillig beim Gesundheitsamt ausgeholfen. Wir wussten, es ist schwer abzusehen, welche Art von Wahlkampf-Veranstaltungen die Corona-Situation zulassen würde.“ Da Sepp Müller ein leidenschaftlicher Radfahrer ist, dachte er sich: „Dann fährst du eben einfach zu den Ortsbürgermeistern, schaust dir die Orte an und sprichst mit den Menschen, die dir dabei begegnen.“
Jetzt kommt er gerade von einer Spirituosen-Manufaktur in Wörlitz, wo er von deren Erweiterungsplänen und eventuellen Problemen mit dem Denkmalsschutz erfuhr. Heute Abend steht noch eine Runde mit Vereinsvertretern an. Müller hat aber auch Gespräche mit der Feuerwehr geführt, saß zum Kaffeekränzchen mit Senioren zusammen und besuchte verschiedene Religionsgemeinschaften in seinem Landkreis.
250 Jahre alt
Der Ort, an dem ich ihn heute am Rande seiner Tour erwische, ist der Wörlitzer Park – Müllers Lieblingsort in seinem Wahlkreis. Die riesige Anlage wurde vor 250 Jahren von Fürst Leopold III. Friedrich Franz angelegt. Und der beeindruckt Sepp Müller: „Fürst Franz war ein Aufklärer. Er ist viel gereist und hat seiner Bevölkerung die Welt nach Wörlitz gebracht.“
Heute ist der Park Weltkulturerbe – nicht das einzige im Wahlkreis Dessau-Wittenberg. Auch die Lutherstadt Wittenberg und die Bauhaus-Stadt Dessau gehören dazu. Die Pflege dieser Kultur ist Sepp Müller wichtig. Er findet: „Es gibt keine schönere Region in Deutschland als diese.“ Deshalb hat er den Vorsitz des regionalen Tourismus-Verbands übernommen.
Das Thema Abwanderung ist durch
Was macht den Wahlkreis noch aus? Es gibt viele landwirtschaftliche Betriebe, aber auch große Unternehmen, die zum Beispiel Impfstoffe herstellen oder Batterien für den Bereich Energiespeicherung. Mit dem Umweltbundesamt hat Dessau außerdem eine große Bundesbehörde als Arbeitgeber.
Was Sepp Müller besonders freut: Es kommen wieder mehr junge Familien in die Region, sagt er. „Das Thema Landflucht war viele Jahre lang ein Problem. Inzwischen kehrt sich das aber langsam um.“ Warum? „Weil die Mieten etwa in Berlin extrem ansteigen und unsere Region im Vergleich dazu sehr günstig ist. Wir haben außerdem eine gute Verkehrsanbindung. Von Wittenberg ist man in unter 40 Minuten mit dem ICE in Berlin.“
Für junge Familien – auch Sepp Müller gehört mit seinem 8-jährigen Sohn in diese Kategorie – seien Bahn- und Autobahn-Anbindung wichtige Kriterien. Die steigenden Löhne seien ein Pluspunkt, auch die Kinderbetreuung: „Da sind wir top.“
„Die Jugendarbeit ist unterversorgt“
Und die Jugend? Da sieht der Abgeordnete noch deutlichen Handlungsbedarf: „Die Jugendarbeit ist – auch aus finanziellen Gründen – mehr als unterversorgt.“ Sein Lösungsvorschlag: „Wir müssen Unternehmen dazu befähigen, auch in ländlicheren Gegenden zum Beispiel eine Disco zu betreiben. Das geht natürlich nicht auf Anordnung. Dafür muss man attraktive Rahmenbedingungen schaffen.“
Der Spagat zwischen Wahlkreis und Bundestag
Die Menschen, die Müller auf seiner Rad-Tour trifft, sprechen ihn vor allem auf kommunale Themen an, erzählt er. Das kommt ihm durchaus entgegen. Auf seiner Internetseite steht der Satz: „Mein Herz schlägt für die Kommunalpolitik, denn vor Ort lassen sich viele Probleme schneller und besser lösen als in Berlin.“
Aber wie kriegt man diesen Spagat hin: die Interessen eines Wahlkreises – einer von 299 – vertreten und gleichzeitig im Bundestag Politik für das ganze Land machen? „Man kann viel tun“, meint Müller. In den vergangenen vier Jahren habe er für seine Region viele Förderungen ermöglicht: Sanierungen von Schulen und Turnhallen, Renaturierungen von Parks und Seen, Reaktivierungen von Kulturstätten.
Müller ist Mitglied im Finanzausschuss des Bundestages. Bevor er ins Parlament gewählt wurde, arbeitete der gelernte Bankbetriebswirt bei der Sparkasse. Das Thema liegt ihm also. Wer über Finanzen entscheidet, kann mitgestalten: „Ich freue mich, wenn solche Projekte vor Ort umgesetzt werden, weil der Haushaltsausschuss es durch Fördermittel ermöglicht hat.“
Was nervt: „die (a)sozialen Medien“
Das macht Müller Spaß am Abgeordnetendasein: die Gestaltungsmöglichkeiten. „Man ist zwar nur einer von 709 Abgeordneten im Bundestag, aber der eine ist manchmal die entscheidende Stimme“, sagt er.
Anstrengend sei dagegen mitunter die Kompromissfindung – „aber das ist die demokratische Idee, insofern ist das eine positive Anstrengung“. Um einen Kompromiss zu finden, müsse man immer wieder die eigenen Argumente hinterfragen, das findet Müller gut.
„Anstrengend können mittlerweile die sozialen Medien sein – ich setze gerne in Klammern ein ‚a‘ davor, weil manche Nutzer sich leider oft wirklich asozial benehmen beim Kommentieren. Dennoch ist die niedrigschwellige Kontaktaufnahme über die sozialen Netzwerke wichtig: Kritik ist da, um besser zu werden“, sagt der 32- Jährige.
Ein Blick in die Zukunft
Als ich Sepp Müller frage, welche Themen ihm wichtig wären für die kommende Wahlperiode, sofern er wieder in den Bundestag gewählt wird, kommen die Antworten wie aus der Pistole geschossen: „Das sind drei Dinge. Ich möchte den Staat modernisieren, so dass er schneller und handlungsfähiger wird. Ich möchte die Innere Sicherheit stärken – das fängt bei der richtigen Ausstattung von Polizistinnen und Zöllnern an. Und ich möchte gut bezahlte Arbeitsplätze erhalten und gleichzeitig die Klimaschutzziele spätestens 2045 erreichen.“
In Sachsen-Anhalt regiert die CDU derzeit mit SPD und Grünen zusammen. Auf die Frage, ob er sich das für den Bund auch vorstellen kann, kommt sofort ein klares „Nein!“ Eigentlich wolle er ja nicht über mögliche Koalitionen nach der Bundestagswahl diskutieren, aber sein persönlicher Favorit wäre Schwarz-Gelb.
Ob das so klappt, wird sich am 26. September zeigen. Sepp Müller weiß jedenfalls schon, wie er den Tag verbringen wird: „Sofern das Corona-technisch möglich ist, werden wir eine Wahlfeier in einem größeren Gutshof machen.“ Und dann fügt er noch hinzu: „Ich hoffe, es wird eine Feier.“
(jk)