Klimaaktivistin „Ziviler Widerstand ist letzte Option“
Die Klimaaktivistin Lea ist Teil der „Letzten Generation“. Im Interview hat sie mit mitmischen über die Forderungen ihrer Gruppe gesprochen und erklärt, warum sie überzeugt ist, dass ziviler Widerstand notwendig ist.
Wir fordern Maßnahmen, die sofort umsetzbar wären. Und das sind Maßnahmen, die erste Schritte in Richtung Klimaschutz und Klimagerechtigkeit darstellen. Ganz konkret: Ein 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr, ein Tempo-Limit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen und einen Gesellschaftsrat.
Der Gesellschaftsrat würde von der Politik einberufen werden und ähnlich funktionieren wie Bürger- und Bürgerinnenräte. In diesem Gesellschaftsrat würden zufällig ausgeloste Personen zusammenkommen, Personen, die Deutschland im Kleinen repräsentieren. Da träfe also etwa der Fischer von der Nordsee auf die Motorradfahrerin aus Köln. Verschiedene Menschen mit unterschiedlichsten Backgrounds würden in so einem Gesellschaftsrat diskutieren. Dabei wäre die Leitfrage: Wie kann Deutschland es schaffen, bis zum Jahr 2030 von fossilen Energien wegzukommen?
Ganz entscheidend für dieses Gremium wäre, dass die Menschen in dem Rat von der Wissenschaft begleitet und beraten werden. Und es wäre eine Voraussetzung für einen funktionierenden Gesellschaftsrat, dass er ständig eine hohe mediale Aufmerksamkeit bekäme, sodass alle darüber Bescheid wissen, dass es ihn gibt und welche Themen und Vorschläge dort besprochen werden.
Und die Politiker und Politikerinnen sollen sich unserer Auffassung nach öffentlich dazu verpflichten, die Maßnahmen, die in dem Gremium erarbeitet werden, in angemessener Ernsthaftigkeit und Geschwindigkeit ins Parlament zu tragen und dort darüber abstimmen zu lassen.
Ich finde, wir sollten uns gar nicht erst die Frage stellen, ob wir das schaffen können. Für uns steht fest: Wir müssen das schaffen. Wir haben keine andere Wahl. Wir haben uns 2015 in Paris völkerrechtlich darauf geeinigt, die Erderwärmung deutlich unter 2 Grad Celsius zu halten. Und schon damals stand eigentlich fest, dass mit dieser Grenze nur das Schlimmste verhindert werden würde.
Aktuell haben wir bereits eine Erderwärmung von 1,2 Grad Celsius und sehen deshalb auch aktuell schon dramatische Folgen. Wir können uns vorstellen, was passiert, wenn wir auf eine zwei, drei oder vier Grad heißere Welt zusteuern: Die Folgen würden noch viel drastischer.
Hier sehen wir wieder eine zentrale Aufgabe des Gesellschaftsrates: Uns ist sehr wichtig, dass die Menschen mitgenommen werden, dass die Politik für alle Menschen und nicht nur für einzelne gemacht wird. Wir glauben, dass der Gesellschaftsrat dazu beitragen kann, eine Lösung für diese Probleme zu finden, die für alle möglichst gerecht ist.
Ich bin überzeugt, dass wir der Klimabewegung gar nicht schaden können. Schon so viele Menschen stehen hinter der Bewegung und sind davon überzeugt, dass wir mehr Klimaschutz und mehr Klimagerechtigkeit brauchen. Wir haben das beispielsweise 2019 gesehen: Ich war damals auch schon mit „Fridays for Future“ auf den Straßen, zusammen mit 1,4 Millionen Menschen.
Mit unseren Protesten haben wir eine Bundesregierung gefordert, die sich an die Verfassung hält. Aber unsere Regierung bricht im Moment täglich Grundsätze der Verfassung, indem sie nicht unser aller Leben und Lebensgrundlage schützt, obwohl es so im Grundgesetz steht. Wir versuchen darauf aufmerksam zu machen und schaden der Klimabewegung deshalb unserer Meinung nach nicht.
Ich finde, wir haben auch gar kein anderes Mittel mehr, als jetzt auf zivilen Widerstand zu setzen. Alle anderen Mittel haben wir ausgeschöpft. Wir haben angemeldete Demonstrationen organisiert und wir haben Petitionen unterschrieben. Mit Blick auf die Geschichte kann man auch sagen, dass ziviler Widerstand das Mittel der Wahl war, wenn soziale Konflikte geklärt werden mussten. Ein Beispiel dafür sind die „Suffragetten“, die Anfang des 20. Jahrhunderts in England und den Vereinigten Staaten den Kampf für das Wahlrecht der Frauen aufnahmen. Sie leisteten zivilen Widerstand: durch Hungerstreiks, Demonstrationen, Festketten vor bestimmten Institutionen und durch Rauchen in der Öffentlichkeit, das bis dahin nur Männern gestattet war und große Empörung auslöste. So störten die Suffragetten den Alltag und protestierten für das Frauenwahlrecht, das 1920 in den USA und 1928 in England eingeführt wurde. Die Ziele der Bewegung wurden somit erreicht.
Solche Äußerungen sehe ich sehr kritisch. Politiker und Politikerinnen wissen sehr genau, welche Kraft Worte haben. Ich finde es deshalb leichtfertig, wenn Politiker Worte wie „Terroristen“ oder „Verfassungswidrigkeit“ im Zusammenhang mit der „Letzten Generation“ verwenden. Oder wenn sie uns „Verbrecher“ nennen. Diese Begriffe wiegen schwer, prägen die Stimmung in der Bevölkerung und hetzten sicherlich auch Menschen gegen uns auf.
Letztendlich sind es nicht Politiker oder Politikerinnen, die diese Worte verwenden sollten. Es sind die Gerichte, die über uns entscheiden müssen.
Bei den Hausdurchsuchungen, die im Mai bei Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ stattgefunden haben, haben wir gesehen, dass das Landeskriminalamt Bayern von einer „kriminellen Vereinigung“ gesprochen hat. Und das, obwohl nie ein Gericht bestätigt hat, dass es gerechtfertigt ist, uns so zu nennen. Ich finde das schlimm und auch gruselig, denn es muss sich natürlich auch in dieser Situation an die Rechtsstaatlichkeit gehalten werden.
Lea-Maria Rhein
Lea ist 22 Jahre und arbeitet als Sozialarbeiterin in einer Flüchtlingsunterkunft in Lüneburg. Seit Dezember 2022 ist sie bei der „Letzten Generation“ aktiv und dort hauptsächlich für die Hamburger Gruppe zuständig. Zu ihren Aufgaben gehören unter anderem Presse- und Vernetzungsarbeit sowie die Koordination der Hamburger Gruppe.