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Pro und Contra Unterscheiden sich Ost und West noch?

Unterscheidet sich das Leben der Menschen aus Westdeutschland von denen aus Ostdeutschland? Jona findet schon, Joscha hält dagegen.

Collage der Autoren: links Jona, rechts Joscha

Wie sehr gibt es Ost-West-Denken noch heute? mitmischen-Autoren diskutieren. © privat

Jona

Jona, 17: „Ich sehe immer noch große Unterschiede“

Mehr als 30 Jahren nach der Wiedervereinigung gibt es meiner Meinung nach noch immer große Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, die oft nur von Wahlforschern an Wahltagen diskutiert werden. Das sind Unterschiede, die doch eigentlich schon hätten beseitigt werden können. Sie betreffen die Menschen aus Ostdeutschland jeden Tag und kaum einer interessiert sich dafür.

Ich bin zwar im heutigen Westen geboren und aufgewachsen, erlebe aber täglich durch meine Verwandten, die aus der ehemaligen DDR kommen, dass es immer noch keine vollständige Angleichung der Lebensverhältnisse gibt, obwohl das schon 1990 versprochen wurde.

Nicht anerkannte Bildungsabschlüsse

Ein gutes Beispiel hierfür sind Bildungsabschlüsse: Meine Mama hat 1983 die Schule in der DDR mit einem Abschluss beendet, der heute mit einem Realschulabschluss vergleichbar wäre. Anschließend hat sie auf dem zweiten Bildungsweg, in der Abendschule, ihr Abitur nachgeholt. Ihr Abitur wird aber heute in Deutschland nicht anerkannt. Dann hat sie eine Ausbildung zur examinierten Krankenschwester gemacht. Aber auch ihre Ausbildungszeit in der DDR wird nicht auf die Rente angerechnet. Warum? Weil das so im Einigungsvertrag geregelt wurde.

Kleine Renten für ehemalige DDR-Bürger

Nach wie vor gibt es teilweise große Rentenunterschiede für Menschen, die aus der DDR stammen. Und diese Ungleichheit wird wohl noch viele Jahre andauern, weil ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR jahrelang Kurzarbeitergeld durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des Arbeitsamtes (ABM) erhielt oder schlicht durch Arbeitslosigkeit kein Geld verdiente. Dementsprechend konnten diese Menschen wenig oder nichts in die Rentenkasse einzahlen und bekommen kleine Renten.

Ein anderes Problem war die hohe Jugendarbeitslosigkeit im Osten: Durch den Einbruch der ostdeutschen Wirtschaft wurden viele Mitarbeiter zwischen 1990 und 1992 in die Frührente geschickt. Gleichzeitig wurde kein Nachwuchs mehr benötigt. Viele Jahre wurde also kaum noch ausgebildet. Die Jugendlichen erhielten über Bildungsträger zwar verschiedenste Angebote und auch schulische Ausbildungen, aber auch sie haben viele Jahre lang nicht in die Rentenkasse eingezahlt.

Lebenswirklichkeiten nicht genug beachtet

Dass sich also noch heute einige Menschen in Ostdeutschland benachteiligt und als „Bürger oder Bürgerinnen zweiter Klasse“ fühlen, finde ich verständlich. Oftmals wird die DDR in der öffentlichen Debatte und im Geschichtsunterricht allein auf den DDR-Geheimdienst, die Staatssicherheit (Stasi), reduziert. Das hilft den Betroffenen dieser politischen Verfolgung wenig.

Und diejenigen, die mit der Stasi nichts zu tun hatten, fühlen sich mit ihren Erfahrungen, die teilweise auch einschneidend waren, nicht gesehen. Lebenswirklichkeiten der ehemaligen DDR-Bürgerinnen und Bürger sind in der Öffentlichkeit unterrepräsentiert. Selten sitzen in Talk- oder Quizshows ehemalige DDR-Persönlichkeiten aus Kultur und Sport. Und so nehmen auch politische Entscheidungsträgerinnen und -träger die Unterschiede nicht wahr und beseitigen sie deshalb auch nicht.

Joscha

Joscha, 19: „Unterschiede? Das sind doch nur Klischees“

Die Ossis, die sprechen komisch. Die Ossis, die haben Böhse-Onkelz-Sticker auf ihren Autos. Und die fahren doch noch heute mit Trabbis rum. Die Ossis, die sind vielleicht auch alle ein bisschen rechts und trinken uns den ganzen Tag an der Tanke die Kohle weg, die wir ihnen von unseren hart erarbeiteten Steuergeldern geschenkt haben.

All das sind verbreitete Klischees – die höchstens ansatzweise auf Wahrheit beruhen. Es gibt Statistiken, die zeigen, dass Rassismus in den Bundesländern der ehemaligen DDR ein größeres Problem ist. Und statistisch gesehen gibt es dort auch eine höhere Arbeitslosigkeit. Nun könnte man sagen: Hey, damit ist die Debatte doch schon verloren. Aber so kurz will ich nicht denken.

Welche Unterschiede sind dir schon begegnet?

Statistiken sind wichtig, denn anhand von Statistiken lassen sich gefühlte Wahrheiten überprüfen. Allerdings können Statistiken auch unterschiedlich interpretiert werden und sie bilden oft nur einen Teil der Realität ab. Zum Beispiel existieren natürlich nicht nur Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, sondern auch zwischen dem Norden und dem Süden oder zwischen der Bevölkerung in den Städten und auf dem Land. Das geht in diesen Debatten oft etwas unter.

Auf der anderen Seite der Statistiken stehen unsere persönlichen Erfahrungen. Und da kann ich sagen, dass ich keines dieser Klischees über Ostdeutschland bestätigen kann. Vielleicht stehe ich nicht für die Mehrheit, aber für mich existiert Ost-West-Denken nur noch in Klischees. Man könnte kritisieren, dass ich das nicht beurteilen kann, da ich im Westen in einem Lehrerhaushalt aufgewachsen bin und jetzt eine staatliche Universität besuche. Ich: eigentlich ja schon wieder das perfekte Wessi-Klischee. Und ich bin vor allem umgeben von Wessis in ähnlichen Situationen und, wenn man noch weitergehen möchte, kenne ich vielleicht nur jene Ossis, „die’s geschafft haben“. Aber ich glaube nicht, dass nur ich so empfinde.

Denk doch mal nach: Welche Ost-West-Unterschiede fallen dir ein? Wie viele davon haben sich in deinem Leben bestätigt? Und von welchen hast du eigentlich nur gehört oder in der Schule darüber gelesen? Wie viele der angeblichen Unterschiede sind letztlich auch nur Vorurteile?

Vorurteile werden nicht weniger, wenn wir sie wiederholen

Klischees können sehr gefährlich sein, weil wir sie irgendwann immer schlechter von der Realität unterscheiden können. Insbesondere dann, wenn wir selbst noch keine Möglichkeit hatten, Wahrheit und Klischee miteinander abzugleichen. Wenn wir Vorurteile stets wiederholen, prägen sie sich immer stärker ein. Und wir tragen nicht dazu bei, dass sich etwas ändert. Klischees sind auch deshalb gefährlich, weil sich Menschen dadurch unverstanden, nicht gesehen und vorverurteilt fühlen. So verhindern sie schlimmstenfalls, dass man sich offen und neugierig begegnet.

Abschließend möchte ich klarstellen, dass ich keinesfalls sage, dass es keine Unterschiede zwischen Ost und West mehr gibt. Aber ich behaupte, dass sie doch viel weniger Einfluss auf unser Leben haben, als wir vielleicht denken – und dass die Kluft noch viel kleiner werden könnte, wenn wir aufhören, sie durch Klischees zu füttern.

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