Iraner Hemin Khaki „Ich kämpfe für ein normales Leben“
Alexia Lautenschläger
Hemin Khaki (33) musste 2015 vor dem Geheimdienst aus dem Iran fliehen. Jetzt lebt er in Leipzig und kämpft weiter für Frauenrechte und Freiheit im Iran.
Mit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini sind im Iran vor kurzem Proteste entfacht, gegen die das Regime brutal vorgeht. Du bist selbst im Iran großgeworden. Als Student warst du politisch aktiv. Wofür hast du dich engagiert?
Ich habe im Iran an der staatlichen Universität Täbris Landwirtschaft studiert. Schon vor meinem Studium habe ich mir viele Gedanken über die herrschenden Normen gemacht. In der Uni habe ich sie verstärkt hinterfragt. Ich bin in der Gruppe „Zagros“ aktiv geworden – benannt nach dem Gebirge im Iran, das an der Grenze zur Türkei liegt, im Gebiet Kurdistan. Die Gruppe bestand vor allem aus kurdischen Studenten.
Wir haben verschiedene Veranstaltungen organisiert, beispielsweise haben wir verbotene Bücher vertrieben. Mit solchen Aktionen haben wir uns oberflächlich beschäftigt, aber im Untergrund haben wir uns organisiert, gestreikt und für Frauenrechte und Freiheit demonstriert. Nach zweieinhalb Jahren ist die Polizei auf mich aufmerksam geworden. Der Festnahme konnte ich glücklicherweise entkommen.
Wie haben die Menschen im Iran auf eure Aktionen reagiert?
Es gab ganz unterschiedliche Reaktionen. Im Iran gibt es eine sehr lebendige Gesellschaft und so gibt es auch viele verschiedene Meinungen. Es gibt die Konservativen, die Radikalen, die Rechten und Linken. Von den Menschen, die gegen die islamische Regierung kämpfen, haben wir sehr positives Feedback bekommen. Sie haben uns bestärkt und uns ermutigt weiterzumachen, als viele meiner Freunde ins Gefängnis kamen.
Auf der anderen Seite gab es die islamische Regierung, die gegen uns war. Die Regierung hat uns so stark unter Druck gesetzt, dass wir unsere Aktivitäten nicht mehr fortführen konnten.
Für mich persönlich spielte die Meinung meiner Familie eine große Rolle. Die Familie hat für uns Iraner einen sehr hohen Stellenwert. Meine Familie war nicht glücklich über mein Engagement. Sie hatten immer Sorge, dass ich irgendwann Probleme bekommen würde. Damit hatte sie ja auch nicht Unrecht, wir haben schließlich gegen einen Diktator gekämpft. Meine Mutter konnte mich besser verstehen als mein Vater. Er hat immer wieder gesagt, ich solle mich auf mein Studium konzentrieren und aufhören, mich politisch zu engagieren.
Ich habe aber nie aufgegeben, denn ich konnte nicht ignorieren, dass es für Frauen in meinem Land keine Freiheit und Gleichberechtigung gibt. Ich habe immer wieder gesagt: Ich mache keine Politik. Ich kämpfe für Menschenrechte. Ich kämpfe für Freiheit. Ich kämpfe dafür, dass Menschen ein besseres Leben haben. Das ist keine Politik. Das ist ein Kampf für normales Leben!
Nachdem das iranische Regime auf dich aufmerksam geworden war, musstest du fliehen. Wie verlief deine Flucht?
Ich bin 2015 aus dem Iran geflohen, nachdem ich bei einem Freund übernachtet hatte und morgens einen Anruf bekam: Ein anderer Freund warnte mich, ich solle nicht zurück ins Studentenwohnheim kommen, der Geheimdienst suche schon nach mir. Ich bin in eine andere Stadt gegangen und von dort aus ein paar Wochen später in die Türkei aufgebrochen. Über das Schwarze Meer bin ich mit einem Boot nach Griechenland gelangt. Anschließend bin ich ungefähr zwei Monate zu Fuß durch Osteuropa gegangen. Ich hatte dabei so viel Angst, weil ich nicht wusste, was passieren wird.
Frau, Leben, Freiheit – das ist der Leitspruch der iranischen Proteste. Was genau bedeutet er?
Die Proteste in Saqqez, einer Stadt in der iranischen Provinz Kurdistan, haben schon drei Monate vor dem Tod von Mahsa Amini angefangen und die Parole der Proteste lautete: „Frau, Leben, Freiheit“.
„Frau“ steht für die Gleichberechtigung der Frauen, die gefordert wird und dafür, dass sie keinen Hijab mehr tragen müssen. Frauen sollen ohne Unterdrückung ein menschenwürdiges Leben führen können.
„Leben“ bedeutet, dass die Menschen mehr Wohlstand und ein besseres, lebenswerteres Leben wollen. Im Iran ist alles sehr teuer. Außerdem passiert es, dass die Menschen manchmal sechs Monate lang keinen Lohn bekommen. Die Bevölkerung braucht dringend Arbeitnehmerrechte.
„Freiheit“ bedeutet, dass die Menschen frei ihre Meinung äußern können und frei über ihren Körper oder ihre Kleidung bestimmen können.
In Leipzig organisierst du jetzt Protestaktionen. Wie kam die erste Demonstration zustande?
Als die Proteste im Iran begannen, wollte ich auch etwas unternehmen. Und ich war nicht der Einzige. Schnell hat sich eine kleine Gruppe zusammengefunden. Wir haben eine Demonstration in Leipzig organisiert und wollten, dass so viele Deutsche wie möglich teilnehmen, damit die deutsche Gesellschaft erfährt, was im Iran los ist.
Wir wollten so die Solidarität der Leipziger gewinnen und die Stimme der Iraner in Deutschland sein. Wir haben dazu aufgerufen, nicht zu akzeptieren, was im Iran passiert, auch indem der Handel mit dem Iran eingestellt und die iranische Regierung unter Druck gesetzt wird.
Welche Hoffnungen verbindest du mit den Protesten? Was wünscht du dir für den Iran?
Ich hoffe, dass die islamische Regierung verschwindet und Iran ein Land wird, in dem die Menschen ihre Meinung frei äußern können und Gleichberechtigung und Menschenrechte herrschen. Ich glaube, dass das im Iran möglich ist.
Ich hoffe, dass sich das Leben der Menschen im Iran verbessert und wir irgendwann auf diese schwierige Zeit zurückblicken und sagen können: „Jetzt ist die islamische Regierung zum Glück nicht mehr an der Macht!“
Alexia Lautenschläger
... hat in Potsdam ihr Abitur gemacht und studiert jetzt Arabistik und Islamwissenschaften an der Universität Leipzig. Am liebsten liest sie Bücher, macht Sport oder schaut sich Katzen-Videos auf YouTube an.