Jugendbegegnung 2024 Im Gespräch mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Eva Szepesi und Marcel Reif
Nicole Tepasse
„Sej a Mensch!", so lautet die wichtigste Lehre, die Marcel Reif von seinem Vater, der den Holocaust knapp überlebte, verinnerlicht hat. Während einer Podiumsdiskussion sprachen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der diesjährigen Jugendbegegnung mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Marcel Reif und der Shoah-Überlebenden Eva Szepesi unter anderem darüber, was es bedeutet, menschlich zu sein.
„Ihr werdet euch nicht rausreden können“ – Marcel Reif hat in der Podiumsdiskussion mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages am Mittwochnachmittag, 31. Januar 2024, keine Zeit zu verlieren, um seine Mahnung loszuwerden. „Ihr werdet euch nicht damit rausreden können, wenn es irgendwann keine Zeitzeugen mehr gibt“, erklärt er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Jugendbegegnung, die jedes Jahr aus Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag stattfindet. Die Berichte der Zeitzeugen des Holocaust seien zahlreich und dokumentiert.
Erst am Morgen hatte Sportjournalist Marcel Reif als Sohn eines jüdischen Vaters, der den Holocaust erlebt hatte, und damit als Vertreter der zweiten Generation in der Gedenkstunde des Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus gesprochen – genau wie Eva Szepesi, die als Kind im Konzentrationslager Auschwitz gewesen war, und in ihrer Gedenkrede daran erinnert hatte, dass die Shoa mit dem Wegschauen der Gesellschaft begonnen habe. Die Podiumsdiskussion mit den Gastrednern der Gedenkstunde bildet traditionell den Schlusspunkt der mehrtägigen Jugendbegegnung.
„Ihr tragt Verantwortung“
Am Nachmittag sitzen 66 junge Menschen vor Eva Szepesi, ihrer Tochter Anita Schwarz, Marcel Reif und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, um miteinander über Formen des Erinnerns und Lehren für Gegenwart und Zukunft zu sprechen. Für Reif und Szepesi ist es eine Lebensaufgabe, ihre Familiengeschichten zu erzählen. „Ihr tragt nicht die Schuld an dem, was damals passiert ist“, richtet sich Szepesi an die Jugendlichen. „Aber ihr tragt die Verantwortung, Ungerechtigkeiten entgegenzutreten.“
Das betont auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas: „Erinnerungsarbeit ist wichtig. Wir dürfen nicht zulassen, dass in Frage gestellt wird, was passiert ist.“ Entscheidend sei gleichzeitig, in der Gegenwart für eine Demokratie in Vielfalt einzutreten, auch wenn dies nicht immer leicht sei.
Aufruf zur Vernetzung
Auf ihre Frage, ob die Jugendlichen bei ihrem Engagement Anfeindungen erlebten, berichtet ein junger Mann, dass er erst am vergangenen Samstag bei einer Aktion, die an die Opfer des Holocaust erinnern sollte, von einem Mann angepöbelt worden sei, was „dieser Dreck“ solle. Auch den Hitlergruß habe er gezeigt. Dieser Geschichtsrevisionismus habe ihn geschockt.
Bärbel Bas ermutigt daraufhin die Jugendlichen, die in Gedenkstätten, Stiftungen und Bildungsstätten aktiv sind: „Ich rate Ihnen: Helfen Sie sich untereinander! Vernetzen Sie sich! Greifen Sie zum Telefon, um über solche Dinge zu sprechen.“
Aufstehen und eingreifen
Nicht wegsehen, aufstehen und eingreifen, wenn Gespräche am Nebentisch rassistisch, antisemitisch, fremdenfeindlich sind: Das sind auch für Marcel Reif die Schlüssel, um etwas zu verändern. Die deutschlandweiten Demonstrationen als Reaktion auf die Konferenz Rechtsextremer in Potsdam empfindet er als ermutigend.
Auf die Frage einer Teilnehmerin der Jugendbegegnung, wie sich die Maxime seines Vaters „Sei ein Mensch“ in die Tat umsetzen lasse, antwortet er dann auch: „Was in den vergangenen Wochen und Tagen auf den Straßen passiert, das ist Menschsein. Und wenn Menschen damals Menschen gewesen wären, wären Eva Szepesis Leben und das meines Vaters anders verlaufen.“
Die komplette Podiumsdiskussion
Dieser Text erschien zuerst auf Bundestag.de.