Planspiel im Bundestag Gestern Schulbank, heute Plenarsaal
Naomi Webster-Grundl
Beim Planspiel „Jugend und Parlament“ schlüpfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Rolle von Abgeordneten und erleben den politischen Alltag hautnah. In fiktiven Fraktionen diskutieren sie über Gesetzentwürfe, verhandeln Kompromisse und erfahren, wie herausfordernd Politik sein kann. Zwischen Nervosität, Debatten und dem Spannungsfeld von Regierung und Opposition wird klar: Demokratie lebt vom Austausch – und vom Mitmachen.
Als Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz (SPD) den Plenarsaal des Deutschen Bundestages betritt, herrscht fast andächtige Stille. „Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen“, begrüßt sie die Abgeordneten. Ihr schauen heute aber andere Gesichter als die der Abgeordneten des 20. Deutschen Bundestages von den blauen Stuhlreihen entgegen, heute sind sie nämlich alle zwischen 17 und 20 Jahren alt und Teilnehmer des Planspiels „Jugend und Parlament“. Vor vier Tagen bekam jede und jeder von ihnen das Profil von fiktiven Abgeordneten zugeteilt, anhand deren Positionen sie unermüdlich an fiktiven Gesetzentwürfen und Änderungsanträgen gearbeitet haben. Nun steht der Höhepunkt des Planspiels auf dem Programm: die Beratung der Gesetzentwürfe im Plenum des Deutschen Bundestages.
Während die Sitzung von den echten Präsidiumsmitgliedern Aydan Özoğuz (SPD), Yvonne Magwas (CDU/CSU), Wolfgang Kubicki (FDP) und Petra Pau (Die Linke) geleitet wird, gehören die Abgeordneten des Planspiels drei fiktiven Fraktionen an. Dabei bilden die Gerechtigkeitspartei (GP) und die Partei für Engagement und Verantwortung (PEV) die Regierungskoalition und die Bewahrungs-Partei (BP) die Opposition. Auch die Schriftführer, die neben der Bundestagsvizepräsidentin sitzen, sind Teilnehmer des Planspiels.
Der erste Gesetzentwurf, der debattiert wird, trägt den Titel „Ausländische Investitionen in kritische Infrastruktur“: Die Koalitionsfraktionen wollen ausländische Investitionen beschränken, wenn durch diese die kritische Infrastruktur Deutschlands gefährdet werden könnte. Die Oppositionsfraktion hält das Gesetz für reinen Aktionismus, aus dem keine relevanten Konsequenzen folgen würden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wirken beeindruckend selbstsicher, wenn sie sich hinter das Pult stellen und ihre Reden vor den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, den Gästen im Plenarsaal und Medienvertretern halten. Was hilft da bei Lampenfieber? Der Fakt, dass man nicht als man selbst, sondern in einer Rolle vor dem vollen Plenarsaal steht?
Von Aufregung und keiner Zeit für Zwischenfragen
Im Nachhinein erklärt eine Teilnehmerin im Gespräch: „Ich war total nervös – eine Rede im Deutschen Bundestag zu halten ist etwas, das man sich vorher gar nicht richtig vorstellen kann. Ich bin super dankbar, dass meine Kolleginnen und Kollegen unter anderem mich ausgewählt haben, eine Rede zu halten.“ Denn auch wenn bei einer Redezeit von je zwei Minuten einige die Gelegenheit haben, ans Mikrofon zu treten, kommen natürlich bei Weitem nicht alle der gut 300 Teilnehmer zum Zug.
Auch bei der Debatte zum nächsten Gesetzentwurf zur Klarnamenpflicht in digitalen Medien sind alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer voll dabei: Sie verfolgen die Beiträge, reagieren erfreut oder empört, applaudieren und lachen. Viele wollen Zwischenfragen stellen, doch vermutlich wegen der knappen Redezeit lassen viele der Rednerinnen und Redner diese nicht zu. Wenn dann doch jemand eine Zwischenfrage stellen darf, muss er vom Präsidium meist ermahnt werden, für die Dauer der Antwort stehen zu bleiben. Komplette Abgeordneten-Vollprofis sind sie also noch nicht.
Und auch während der Debatten zu den Gesetzentwürfen zu verpflichtender Installation von Solarzellen auf Dächern und der Änderung des Grundgesetzes „Wahlrecht auf Bundesebene für Unions-Bürger/innen“ geht es lebhaft zu. Die Rednerinnen und Redner gehen voll in ihren Rollen auf, die ersten drei Gesetzentwürfe werden durch die Mehrheit der Koalition angenommen, die Opposition verhindert jedoch die Änderung des Grundgesetzes, da hierfür eine Zweidrittelmehrheit notwendig wäre.
Eine Simulation nah an der Realität
Während dieser letzten Abstimmung kochen die Emotionen bei einigen Teilnehmern hoch – so viel Arbeit dafür, dass der Entwurf dann abgelehnt wird. Die Koalitionsfraktionen mussten Kompromisse finden, die ihre Abgeordneten mittragen, während die Oppositionsfraktion versuchte, die vorgelegten Entwürfe nach ihren Vorstellungen zu verändern und dabei die Arbeit der Regierungskoalition kritisierte. Beides ist nicht nur kognitiv, sondern auch emotional eine Herausforderung. Ein Teilnehmer, der im Planspiel Teil der Opposition war, resümiert: „In der Koalition muss man mit dem Koalitionspartner Kompromisse finden und als Opposition ist es natürlich leicht, auf seiner Maximalposition zu verharren. Ich würde aber sagen, dass es etwas erfüllender ist, in der Regierungsrolle zu sein, weil man am Ende Erfolge sieht bei den eigenen Gesetzentwürfen. Wir in der Rolle der Opposition haben versucht, Dinge mit Änderungsanträgen zu verändern, aber wir haben keine Mehrheit dafür. Wie in der echten Politik halt auch.“
„Durch das Planspiel habe ich schon nochmal gemerkt, dass man sich das Politik machen, wenn man zu Hause mit Freunden und der Familie darüber redet, doch sehr viel einfacher vorstellt, als es dann hier tatsächlich ist, Kompromisse zu finden und andere zu überzeugen“, findet auch eine andere Teilnehmerin. Die Teilnehmer sind sich auch darüber einig, dass es nicht immer leicht ist, die eigenen Überzeugungen aus der Rolle, die man im Planspiel einnimmt, herauszuhalten und nur als fiktive Abgeordnete zu agieren. Ein Teilnehmer berichtet: „Für mich war es schon eine Herausforderung, denn ich war Teil der recht konservativen Oppositionspartei und gerade bei Themen wie der Klarnamenpflicht oder dem Wahlrecht für Unionsbürger sehe ich das persönlich sehr anders, als ich in meiner Rolle jetzt argumentieren musste. Aber man lernt auch viel dabei, sich in so eine andere Perspektive hineinzuversetzen.“
Die Zukunft der Demokratie im Plenarsaal
Eine Teilnahme an dem Planspiel „Jugend und Parlament“ würden die befragten Teilnehmerinnen und Teilnehmer der diesjährigen Simulation uneingeschränkt empfehlen: Wer die Möglichkeit hat, sollte auf jeden Fall mitmachen! „Es wäre nur toll, wenn noch viel mehr Leute bei dem Planspiel mitmachen könnten. Und aktuell sind hier schon vor allem Leute vertreten, die politisch sehr engagiert sind. Ich würde mir wünschen, dass auch verstärkt Leute teilnehmen, die noch nicht so stark politisch verankert sind“, so ein Teilnehmer, der selbst Mitglied einer Partei ist.
Nach diesen vier intensiven Tagen blickt man rund um in vielleicht ein wenig erschöpfte, aber zumeist zufriedene Gesichter. Auch die Präsidiumsmitglieder zeigen sich sehr beeindruckt von der Leistung der Teilnehmenden. Wolfgang Kubicki meint sogar, dass er bei dieser „Jugend und Parlament“-Debatte mehr Inhalt und Engagement mitbekommen habe, als er sonst oft im Plenarsaal erlebe. „Bleiben Sie bitte dabei! Dann ist mir um die Demokratie in Deutschland nicht bange.“ Petra Pau betont, wie wichtig die Kunst des Kompromisses in der politischen Arbeit ist und dass nicht nur das Ergebnis zählt, sondern auch der Weg der Gesetzgebung in einer Demokratie sehr wichtig ist: Dass unterschiedliche Perspektiven einfließen. „Ich hoffe, dass sie alle dafür einstehen, dass wir fruchtbar, aber immer mit Respekt in unserer Demokratie miteinander streiten“, gibt Pau den jungen Leuten mit auf den Weg. „Reden Sie über Ihre Erfahrungen, die Sie hier gemacht haben und bringen Sie sich weiterhin ein!“