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Corona-Maßnahmen Wie geht es jetzt weiter?

Bund und Länder haben sich auf erste Schritte aus dem Lockdown geeinigt. Was bedeuten die Pläne für Schüler und Studenten? Wie steht Deutschland da? Wo gibt es die größten Probleme? mitmischen.de hat sechs Gesundheits-Experten des Bundestages gefragt.

CDU/CSU
Porträt des Abgeordneten Michael Hennrich

Michael Hennrich, 55, ist Jurist und sitzt seit 2002 für die CDU/CSU im Bundestag. Im Gesundheitsausschuss ist er Obmann seiner Fraktion. Sein Wahlkreis liegt in Nürtingen, Baden-Württemberg. © CDU/CSU

Am Mittwoch haben die Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise beraten. Was sagen Sie zu den Ergebnissen?

Die vergangenen Wochen haben deutlich gemacht, dass der Kampf gegen die Corona-Epidemie ein Marathon wird. Unser Ziel bleibt es, die Epidemie langfristig einzudämmen. Die jetzt beschlossenen, vorsichtigen Lockerungen sind richtig, wir müssen aber genau hinschauen, damit wir keinen neuen Ausbruch erleben. Und dafür trägt auch weiterhin jeder von uns Verantwortung.

Was bedeuten die Pläne speziell für Schüler und Studenten?

Auch für Schüler und Studenten wird es wie in allen Bereichen nur schrittweise wieder losgehen können. Und das Lernen in Schulen und Universitäten wird anders aussehen, da kann es leider keine Ausnahme geben. Positiv sehe ich, dass jetzt mehr als zuvor digitale Lösungen zum Einsatz kommen, auch wenn das natürlich nicht das gemeinsame Leben ersetzen kann. Und auch unter den jungen Menschen gibt es viele gute Initiativen und Engagement, um anderen zu helfen, das finde ich wunderbar.

Wie gut ist uns in Deutschland die Eindämmung des Coronavirus bisher gelungen – wie ist Ihre Einschätzung?

Eine Krise des Gesundheitssystems, wie wir sie in anderen Staaten derzeit erleben, konnten wir immerhin bislang vermeiden. Das werte ich als Erfolg der Maßnahmen. Als sehr wichtigen Zwischenerfolg werte ich auch, dass die Mehrheit der Menschen in unserem Land den Ernst der Lage anerkennt und mit viel Disziplin, Ausdauer und großer Hilfsbereitschaft reagiert. Darauf können wir auch mal stolz sein. Für ein endgültiges Fazit ist es aber leider noch viel zu früh. Wir dürfen uns hier keine trügerische Sicherheit vormachen.

Haben sich die Maßnahmen, die der Bundestag in der Sitzungswoche vor Ostern beschlossen hat, als sinnvoll erwiesen? Muss an irgendeiner Stelle noch nachgebessert werden?

So hart diese Maßnahmen waren, so wichtig und richtig waren sie. Ich möchte mir nicht vorstellen, in welcher Situation wir jetzt wären, wenn zu Ostern die ganze Nation auf den Beinen gewesen wäre, ganze Familien sich getroffen hätten. Und natürlich gilt auch weiterhin: Die Pandemie und der Umgang bleiben ein echter Lernprozess – Nachbesserungen inklusive.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen in Arztpraxen und Krankenhäusern?

Ausreichende Schutzkleidung, generell der Schutz der Pfleger und Ärzte, damit die Versorgung gewährleistet bleibt, das Aufrechterhalten von Lieferketten, Koordination der verschiedenen Maßnahmen – viele andere Punkte müsste man hier noch nennen. Die Probleme und Fragen sind sehr vielfältig und sie treten nahezu zur gleichen Zeit auf. Das macht die eigentliche Herausforderung in einer Krise aus.

Mein Dank und Respekt gilt dem medizinischen Personal, aber auch den Beamten und Experten an den verschiedenen Stellen. Ohne ihr besonderes Engagement würden wir nicht vorankommen.

Welche Lehren sollten wir aus der Corona-Krise ziehen?

Ich finde die Herangehensweise von Bundesgesundheitsminister Spahn richtig: Jetzt kümmern wir uns um die Bewältigung der Krise, richten unsere Energie hierauf und danach ziehen wir ein ordentliches Fazit. Von kleinen bis großen Punkten wächst auch meine Liste mit möglichen Verbesserungen jeden Tag ein Stück.

Bei allen kritischen Punkten finde ich es aber auch wichtig, dass wir uns unsere Zuversicht erhalten, die Dinge anzupacken und zwar gemeinsam. Das hat bislang im Großen und Ganzen geklappt und dabei soll es bleiben.

SPD
Portrait der Abgeordneten Sabine Dittmar

Sabine Dittmar, 55, hat eine Ausbildung zur Kinderpflegerin gemacht und dann Medizin studiert. Sie arbeitete als Hausärztin, bevor sie für die SPD in den Bundestag einzog, wo sie heute Obfrau im Gesundheitsausschuss ist. Ihr Wahlkreis Bad Kissingen liegt in Bayern. Foto: Benno Kraehahn

Am Mittwoch haben die Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise beraten. Was sagen Sie zu den Ergebnissen?

Es ist richtig, die Kontaktsperren aufrechtzuerhalten und nur Stück für Stück zu lockern. Nur so können wir das Infektionsgeschehen weiterhin im Griff halten. Klar ist aber auch, dass es ohne Impfstoff und Therapie noch lange dauern wird, bis der Alltag in allen Bereichen wieder erreicht werden kann. Das erfordert viel Geduld und flankierende Maßnahmen.

Was bedeuten die Pläne speziell für Schüler und Studenten?

Ich weiß, viele warten darauf, endlich in Kita, Schule oder Uni zurückkehren zu können. Die Einschränkungen bleiben aber erst einmal bestehen. Beschlossen wurde aber auch, dass ab dem 4. Mai Schüler schrittweise wieder in die Schulen zurückkehren sollen, wenn entsprechende Hygiene- und Schutzmaßnahmen eingehalten werden können und das Infektionsgeschehen es zulässt. Wie diese Maßnahmen im Einzelfall aussehen sollen und umgesetzt werden können, werden wir erst am 29. April wissen, wenn sich die Kultusministerkonferenz damit befasst hat.

Wie gut ist uns in Deutschland die Eindämmung des Coronavirus bisher gelungen – wie ist Ihre Einschätzung?

Wir hatten quasi Glück, dass wir frühzeitig erkannt haben, dass der Erreger im Land ist und wir somit frühzeitig die notwendigen Schritte ergreifen konnten, um unser Gesundheitssystem hochzufahren. Die Infektionszahlen zeigen, dass die Maßnahmen notwendig und richtig waren, wenngleich sie natürlich einen starken Einschnitt in unser aller Leben darstellen. Bislang ist es gelungen, eine unkontrollierte Verbreitung zu verhindern. Die Arbeit ist damit aber nicht erledigt, wir werden das Infektionsgeschehen kontinuierlich weiter beobachten müssen und daraus die notwendigen Schritte ableiten.

Haben sich die Maßnahmen, die der Bundestag in der Sitzungswoche vor Ostern beschlossen hat, als sinnvoll erwiesen? Muss an irgendeiner Stelle noch nachgebessert werden?

Die Gesetze waren richtig, um Kompetenzen und Zuständigkeiten während einer Epidemie von nationaler Tragweite klar zu regeln und um die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Es waren und werden aber weitere Gesetze und Verordnungen notwendig sein. Corona hat unseren Alltag komplett aus dem Gleichgewicht gebracht, die Folgen für unsere Bevölkerung und unseren Wirtschaftsraum sind noch gar nicht absehbar. Unsere Aufgabe als Gesetzgeber wird es sein, mit Förder- und Schutzschildmaßnahmen weitere Verwerfungen abzumildern.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen in Arztpraxen und Krankenhäusern?

Am Anfang war die größte Herausforderung, die Patientenströme sinnvoll zu leiten und die notwendige Schutzausstattung zur Verfügung zu stellen. Mittlerweile ist mein Eindruck, dass die Versorgung in Krankenhäusern, Arztpraxen und durch den öffentlichen Gesundheitsdienst gut läuft.

Welche Lehren sollten wir aus der Corona-Krise ziehen?

Es ist noch zu früh, um Bilanz ziehen zu können. Aber ich denke, allen ist klar geworden, dass wir funktionierende Pandemiepläne brauchen und auch die notwendigen Schutzmaterialen und Mittel vorhalten müssen.

In erster Linie brauchen wir aber genügend Personal, um unsere Patienten gut zu versorgen und unsere Gesellschaft am Laufen zu halten. Ich hoffe, dass sich die Wertschätzung gerade für Pflegekräfte und andere systemrelevante Berufsgruppen auch über die Krise hinweg manifestiert und in entsprechenden Tarifabschlüssen widerspiegeln wird.

AfD
Porträt Detlev Spangenberg

Detlev Spangenberg, 76, ist Diplom-Betriebswirt und sitzt seit 2017 für die AfD im Bundestag. Er ist Obmann seiner Fraktion im Gesundheitsaussschuss. Sein Wahlkreis liegt in Sachsen. © Detlev Spangenberg

Am Mittwoch haben die Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise beraten. Was sagen Sie zu den Ergebnissen?

Die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Dauer der Maßnahmen dürfen nicht zu einer unbefristeten Einschränkung der Grundrechte der Bürger führen. In einer Demokratie darf es nicht sein, dass die Legislative nicht mehr an der politischen Willensbildung beteiligt ist. Die Bundeskanzlerin hat leider keine Aussage zu der medizinischen Notwendigkeit getroffen, dass Corona-Verstorbene auf wissenschaftlicher Grundlage obduziert werden sollen, um eindeutig die Todesursache zu definieren.

Ich darf Sie auch darauf hinweisen, dass wir schon seit längerer Zeit einige der erst jetzt durch die Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen, wie die Rückholung der Herstellung von Arzneimitteln und medizinischen Schutzausrüstungen zurück nach Europa, fordern.

Die Maßnahmen, die getroffen wurden, sind unausgewogen und zeigen, dass die Regierung nicht entscheidungsfähig ist. Wir sind sehr enttäuscht über die zögerlichen Lockerungen. Das Aussetzen von Gottesdiensten bis auf Weiteres, das partielle Öffnen von Bildungseinrichtungen sowie die weiterhin fortbestehende Schließung von Kitas stellen eine enorme Belastung für berufstätige Eltern dar und werden sich letztlich auch in Bildungslücken der Kinder niederschlagen.

Denn faktisch gesehen sind wir weit weg von einer Überbelastung des Gesundheitssystems. Ganz im Gegenteil, Krankenhäuser und Arztpraxen stehen vor großen wirtschaftlichen Problemen, da sie leer stehen und andere dringende Operationen auf unbestimmte Zeit verschieben müssen.

Was bedeuten die Pläne speziell für Schüler und Studenten?

Die Schulschließungen basierten von Anfang an auf schwacher wissenschaftlicher Basis. Schüler, Studenten, Lehrkräfte und Angehörige stehen vor einer in der Bundesrepublik Deutschland bisher nie dagewesenen Herausforderung. Deutschland ist in Sachen Digitalisierung leider nicht auf dem Stand, auf dem es als eine der führenden Industrienationen hätte sein können und sein sollen. Die Folgen werden jetzt auch durch die Corona-Krise deutlich.

Man hatte nun genug Zeit, um Schulen und Universitäten auf die Corona-Risiken vorzubereiten und dementsprechend zu organisieren. Das bedeutet: kleinere Klassen, teilweise Umstellung auf Online-Inhalte und die Bereitstellung von Hygienespendern und Papierhandtüchern.

Schüler und Studenten sollten nun so schnell wie möglich zum Normalbetrieb zurückkehren, Prüfungen ablegen können. Selbstverständlich begrüßen wir es auch, dass Bibliotheken wieder öffnen und unser Nachwuchs den ausgefallenen Stoff nachholen kann.

Wie gut ist uns in Deutschland die Eindämmung des Coronavirus bisher gelungen – wie ist Ihre Einschätzung?

Nach unserer Einschätzung hat die Bundesrepublik zu spät und dann zu heftig reagiert. Die prognostizierten Befürchtungen haben sich nicht erfüllt, da das Virus und die Mortalitätsraten heillos überschätzt wurden. Das ist aber kein Verdienst der Regierung!

Trotzdem möchte ich sagen, dass wir sehr stolz auf unsere Bürger sind. Die Solidarität und der Zusammenhalt sowie die Rücksichtnahme auf Risikogruppen waren vorbildlich und zeigen wieder einmal wie fortschrittlich Deutschland auf allen Ebenen ist. Es ist in der Bundesrepublik Deutschland gelungen, einen Engpass an Intensivbetten und Beatmungsgeräten zu verhindern. Damit trat ein Zustand der Überlastung des Gesundheitssystems, wie er in anderen Ländern herrscht, bisher noch nicht ein.

Die jeweiligen Einrichtungen im Gesundheitswesen und deren Mitarbeiter stehen vor zahlreichen Problemen, manche gab es schon lange vor der Krise, andere wurden durch diese erst forciert. Zu kritisieren ist, dass keine ausreichende Vorsorge mit Schutzausrüstungen getroffen wurde, und nur die Einsicht und Solidarität der Bevölkerung hat diesen Mangel in gewissem Maße kompensieren können.

Haben sich die Maßnahmen, die der Bundestag in der Sitzungswoche vor Ostern beschlossen hat, als sinnvoll erwiesen? Muss an irgendeiner Stelle noch nachgebessert werden?

Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Einige der Maßnahmen waren sicherlich zum damaligen Zeitpunkt sinnvoll. Hierzu gehören die vorübergehende Einschränkung von Kontakten und der Schutz der vulnerablen älteren Bevölkerung mit relevanten Vorerkrankungen. Schließungen von Betrieben, Gaststätten, Gehaltsausfälle, Kurzarbeit. All das belastet die Menschen psychisch ungemein. Die Fristen müssen verkürzt werden, denn ein so lange andauernder Ausnahmezustand ist weder rechtlich, wirtschaftlich noch medizinisch begründet. Man sollte hier auch nicht Erfahrungen anderer Länder außer Acht lassen, welche die Corona Krise ebenfalls verhältnismäßig gut gemeistert haben, wie zum Beispiel Südkorea.

Wir kritisieren, dass viele Maßnahmen die Grundrechte außer Kraft setzen und diese zeitlich nicht klar begrenzt wurden. Es besteht immer eine Gefahr für die Demokratie, wenn die Legislative kein ausreichendes Mitspracherecht mehr hat.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen in Arztpraxen und Krankenhäusern?

Eine der sicherlich größten Herausforderungen war und ist der Mangel an medizinischer Schutzkleidung. Das betrifft neben Krankenhäusern und Arztpraxen alle Einrichtungen im Gesundheitswesen, zum Beispiel Altenpflegeeinrichtungen und die Praxen der Heilmittelerbringer. Ein weiteres großes Problem ist die Überlastung des Personals durch den akuten Personalmangel in den Gesundheitseinrichtungen.

Dringend notwendige Operationen werden verschoben, da Krankenhäuser Kapazitäten freihalten sollen für Corona-Patienten, die nie erschienen sind und andererseits werden tatsächlich kranke und hilfsbedürftige Menschen auf einen unbestimmten Zeitraum vertröstet.

Wir betonen auch sehr stark die benötigte Unterstützung der niedergelassenen Ärzte in dieser Situation und appellieren an die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Regresse auszusetzen und nicht noch zu verschärfen in dieser misslichen Lage!

Welche Lehren sollten wir aus der Corona-Krise ziehen?

Ich als Abgeordneter betone nochmals, dass politische Entscheidungen auf der Basis von Fakten getroffen werden sollten. Die Rolle der WHO (World Health Organisation) ist hier sehr kritisch zu betrachten. Die Leistung, die Deutschland als zweitgrößter Beitragszahler jedes Jahr an diese Organisation zahlt, schlagen wir vor, auszusetzen beziehungsweise generell zu überdenken.

Weiterhin ist evident, dass wir unsere Abhängigkeit in der Arzneimittelproduktion grundsätzlich vom Ausland insbesondere von China und Indien umgehend rückgängig machen müssen. 49 für Deutschland wichtige Arzneimittelwirkstoffe werden zum Beispiel in China (Wuhan) produziert und konnten zeitweise aufgrund der Situation nicht nach Deutschland und Europa geliefert werden.

FDP
Portrait des Abgeordneten Andrew Ullmann

Andrew Ullmann, 57, war als Facharzt für Innere Medizin und als Universitätsprofessor an der Uniklinik Würzburg tätig, bevor er für die FDP in den Bundestag einzog. Er ist Obmann seiner Fraktion im Gesundheitsausschuss und stellvertretender Vorsitzender des Unterausschusses Globale Gesundheit. © Andrew Ullmann

Am Mittwoch haben die Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise beraten. Was sagen Sie zu den Ergebnissen?

Meiner Ansicht nach ist es richtig, dass leichte Lockerungen geschaffen wurden. Diese dürfen jedoch nur im Hinblick auf wichtige hygienische Standards geschehen, um einen Anstieg an Infektionszahlen zu verhindern. Mich stört jedoch die Undifferenziertheit. Bei der Öffnung von Außengastronomie, großen Warenhäusern oder Individualsportanlagen gibt es unter Einhaltung der Hygienestandards keinen Unterschied zu einer Öffnung des Einzelhandels bis 800 Quadratmeter Verkaufsfläche.

Was bedeuten die Pläne speziell für Schüler und Studenten?

Eine schrittweise Schulöffnung darf nur nach der Ausarbeitung eines überzeugenden Konzeptes geschehen. Bereits jetzt müssen Lehrkräfte vorbereitet und ausgebildet werden, um hygienische Standards einhalten zu können. Dazu kommen bauliche Maßnahmen: Die Länder und Kommunen müssen dringend die Sanitäranlagen der Schulen in Ordnung bringen und renovieren, wo es notwendig ist.

Wie gut ist uns in Deutschland die Eindämmung des Coronavirus bisher gelungen – wie ist Ihre Einschätzung?

Die Zahlen zeigen ja, dass wir bisher besser als andere Staaten durch die Krise gekommen sind. Das ist jedoch nur eine Momentaufnahme, eine Analyse lässt sich erst nach der Pandemie feststellen. Wir dürfen daher auch nicht unvorsichtig agieren. Ein erneuter starker Anstieg der Infektionszahlen muss unbedingt verhindert werden.

Haben sich die Maßnahmen, die der Bundestag in der Sitzungswoche vor Ostern beschlossen hat, als sinnvoll erwiesen? Muss an irgendeiner Stelle noch nachgebessert werden?

Die Maßnahmen in der letzten Sitzungswoche waren zu dem Zeitpunkt richtig und wichtig. Sie stellten einen Schutzschirm für unser Gesundheitssystem dar, um die Kapazitäten für Kranke zu schaffen und die Finanzierung zu sichern. Nachbesserungen gibt es an vielen Stellen.

Wir Freie Demokraten im Bundestag haben die sitzungsfreie Zeit genutzt, um Vorschläge zu erarbeiten. Einer davon ist die Einführung einer allgemeinen Empfehlung für die Grippeschutzimpfung im Herbst 2020, um die Kapazitäten in den Krankenhäusern von vermeidbaren Influenza-Fällen freizuhalten.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen in Arztpraxen und Krankenhäusern?

Die Arztpraxen und Krankenhäuser stehen derzeit vor einer Vielzahl an Herausforderungen, die ich gar nicht in eine Reihenfolge bringen kann. Viele Herausforderungen entstehen dadurch, dass man sich auf die Corona-Patienten vorbereitet, aber gleichzeitig die Regelversorgung sicherstellen muss. Zusätzlich schwingt die tägliche Angst mit, dass man sich selbst infizieren kann.

Neben diesen Herausforderungen dürfen wir aber auch nicht weitere Gesundheitsberufe vergessen, die derzeit kaum Patienten haben und dadurch in finanzielle Schwierigkeiten kommen, wie die Zahnärzte.

Welche Lehren sollten wir aus der Corona-Krise ziehen?

Wir werden sicher nach der Krise noch eine genaue Analyse vornehmen. Aber ohne vorschnell zu agieren, können wir uns bereits heute auf die nächste Pandemie vorbereiten. Wir müssen eine zentrale medizinische Koordinierungsstelle, einen Chief Medical Officer, im Kanzleramt integrieren. Weiterhin müssen wir den öffentlichen Gesundheitsdienst personell und finanziell stärken und dafür sorgen, dass die Meldewege digitalisiert werden. Es kann nicht sein, dass in der heutigen Zeit keine Echtzeitmeldung an das Robert-Koch-Institut vollzogen werden kann.

Die Linke
Porträt Achim Kessler

Achim Kessler, 55, sitzt für Die Linke im Bundestag. Er ist im Gesundheitsausschuss der Obmann seiner Fraktion. Sein Wahlkreis liegt in Frankfurt am Main. Foto: Ben Gross

Am Mittwoch haben die Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise beraten. Was sagen Sie zu den Ergebnissen?

Ich halte es einerseits für sinnvoll, dass die Lockdown-Maßnahmen jetzt in kleinen Schritten gelockert werden. Es stimmt, dass wir ansonsten riskieren, die Infektionsraten fahrlässig in die Höhe zu treiben, denn die Epidemie ist keinesfalls vorbei. Allerdings darf nicht übersehen werden, je länger dieser Zustand andauert, umso mehr sind die Menschen mit den hohen Kosten konfrontiert, Jobverlust, Insolvenz, Schulden. Hier muss sorgfältig abgewogen werden.

Was bedeuten die Pläne speziell für Schüler und Studenten?

Es ist richtig, dass der Zustand der Schul- und Kitaschließungen möglichst nicht in die Länge gezogen wird, da er die soziale Ungleichheit verstärkt. Ein großer Teil der Schülerinnen und Schüler hat zuhause keine guten Bedingungen zum Lernen, die eigene Arbeit und Kinderbetreuung sind für Eltern nur schwer leistbar.

Allerdings können Abstands- und Hygieneregeln in den Schulen nur bedingt eingehalten werden. Dies ist aber Voraussetzung, um die Infektionsraten gering zu halten. Der Gesundheitsschutz muss oberste Priorität haben. Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder in schwierigen Situationen müssen unbedingt wieder anlaufen.

Wie gut ist uns in Deutschland die Eindämmung des Coronavirus bisher gelungen – wie ist Ihre Einschätzung?

Auch wenn ich anhand der Zahl der Infizierten in Deutschland den Eindruck habe, dass wir in Deutschland verhältnismäßig erfolgreich das Virus eindämmen, hätte die Bundesregierung schneller und weitsichtiger reagieren müssen. So ergab eine Risikoanalyse „Pandemie“ aus dem Jahr 2012, dass es in Deutschland an Krankenhausbetten und Schutzmaterial mangelt. Die Bundesregierung schien aus der Risikoanalyse leider keine vernünftigen Schlussfolgerungen gezogen zu haben, denn der Mangel an Krankenhausbetten und Schutzmaterialien wurde nicht behoben. Eine abschließende Bewertung sollten wir nach Corona vornehmen.

Haben sich die Maßnahmen, die der Bundestag in der Sitzungswoche vor Ostern beschlossen hat, als sinnvoll erwiesen? Muss an irgendeiner Stelle noch nachgebessert werden?

Auch wenn es gut war, dass Bundesregierung und Opposition vor Ostern an einem Strang gezogen haben und Rettungsschirme für die Gesundheitsversorgung und Wirtschaft auf den Weg gebracht wurden, gibt es natürlich Nachbesserungsbedarf. Sehen Sie sich allein den immer noch akuten Mangel an Schutzmaterialien für medizinisches Personal an! Hier muss sich dringend, auch für die Zukunft etwas tun. Firmen, die ihre Marktmacht aus Profitgier mit Wucherpreisen missbrauchen und damit Menschenleben gefährden, müssen unter staatliche Kontrolle gestellt oder enteignet werden.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen in Arztpraxen und Krankenhäusern?

Der Personalnotstand und der Mangel an medizinischer Schutzausrüstung, aber auch die regional sehr ungleich ausfallende Belastung oder Nutzung der Behandlungs- und Testkapazitäten sowie Intensivbetten. In Arztpraxen stellt sich vor allem die Frage, wie Patientinnen und Patienten ohne die nötige Schutzausrüstung versorgt werden können.

Viele Menschen vermeiden den notwendigen Gang zum Arzt oder in die Notaufnahmen aus Angst vor Ansteckung. Die Nichtversorgung von akuten und chronischen Erkrankungen führt zu schweren Krankheitsverläufen bis hin zum Tod und zu einer noch stärkeren Belastung der stationären Krankenhausversorgung.

Welche Lehren sollten wir aus der Corona-Krise ziehen?

Wir sehen jetzt in der Krise, dass das jahrelang praktizierte Kaputtsparen unseres Gesundheitssystems, gekoppelt mit einem klaren Bekenntnis zum Wettbewerb und zur Profitorientierung zu einem Pflegenotstand in den Kliniken geführt hat, dass gegen besseres Wissen und über Jahre bekannte Risikoszenarien nicht von der Bundesregierung für den Fall einer Pandemie vorgesorgt wurde. Kapazitäten an Intensiv-Betten wurden abgebaut und medizinische Schutzmaterialien, wie Kittel oder Atemschutzmasken, wurden nicht eingelagert, da es sich schlicht nicht gelohnt hat.

Wir brauchen hier dringend ein Umdenken. Pflegearbeit muss aufgewertet und endlich angemessen vergütet statt als selbstverständlich angenommen werden, kurzfristige Corona-Prämien reichen da nicht. Und wir müssen an die Strukturen unserer Gesundheitsversorgung ran, das heißt, das Fallpauschalen-System muss wieder abgeschafft werden und Krankenhäuser müssen in die öffentliche Hand.

Bündnis 90/Die Grünen
Porträt der Abgeordneten Kirsten Kappert-Gonther

Kirsten Kappert-Gonther, 53, ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Für die Grünen ist sie Obfrau im Gesundheitsausschuss sowie Sprecherin für Gesundheits-, Religions- und Kulturpolitik. © Linda Neddermann

Am Mittwoch haben die Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise beraten. Was sagen Sie zu den Ergebnissen?

Es ist gut, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern die nächsten Schritte vereinbart hat und damit dem Wettlaufen von einzelnen Ministerpräsidenten Einhalt geboten wird. Es ist richtig, den Virus weiterhin sehr ernst zu nehmen und die Lockerungen langsam zu gestalten. Dabei ist allen klar, dass die gegenwärtigen Beschränkungen nicht ewig durchhaltbar sind, sozial nicht, ökonomisch nicht und was die Einschränkung von Bürgerrechten betrifft, ebenso nicht.

Gleichzeitig müssen Kontakteinschränkungen und Hygieneregeln weiter eingehalten werden, um einer zweiten Welle vorzubeugen, deswegen ist es richtig, dass Großveranstaltungen bis mindestens Ende August abgesagt werden.

Was bedeuten die Pläne speziell für Schüler und Studenten?

Schülerinnen und Schüler aus Abschlussklassen müssen trotz der aktuellen Lage ihre Prüfungen absolvieren, aber immerhin besteht für sie jetzt Klarheit. Auch in den Grundschulen geht es für die älteren Kinder wieder los – das ist wichtig, um die Bildungsgerechtigkeit zu stärken. Studierende können in vielen Fällen digital lernen, aber sie brauchen finanzielle Absicherung, weil die meisten Nebenjobs weggebrochen sind.

Wie gut ist uns in Deutschland die Eindämmung des Coronavirus bisher gelungen – wie ist Ihre Einschätzung?

Sehr gut, die Ausbreitung des Virus verlangsamt sich. Es ist ermutigend, wie solidarisch sich alle verhalten und dass die Maßnahmen Früchte tragen. Jüngere stehen für Ältere ein, viele helfen freiwillig und der Bundestag hat Rettungspakete beschlossen. Ziel muss auch weiterhin sein, die Neuinfektionen so gering zu halten, dass die Krankenhäuser sich weiter um die Menschen kümmern können, die Hilfe brauchen.

Haben sich die Maßnahmen, die der Bundestag in der Sitzungswoche vor Ostern beschlossen hat, als sinnvoll erwiesen? Muss an irgendeiner Stelle noch nachgebessert werden?

Die finanziellen Hilfen, die der Bundestag auf den Weg gebracht hat, waren wichtig, aber wir dürfen niemanden vergessen. So muss beispielsweise der Zugang zur Drogenhilfe und zu Schwangerschaftsabbrüchen gesichert sein. Pflegekräfte sollten einen Bonus und generell eine bessere Bezahlung erhalten. Auch macht das Virus nicht an den Landesgrenzen halt. Geflüchtete, die unter widrigsten Bedingungen in Flüchtlingscamps unter anderem auf Lesbos ausharren, müssen dort rausgeholt werden.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen in Arztpraxen und Krankenhäusern?

Es fehlt generell an Schutzausrüstung und Testkapazitäten. Dann gehen die Probleme auseinander. Einerseits sind die Plätze knapp und müssen ausgebaut werden, insbesondere Intensivbetten und Beatmungsgeräte, andererseits trauen sich Menschen, die etwas anderes als Covid-19 haben, zum Teil gar nicht mehr zur Ärztin oder zum Arzt. Das ist für die Praxen wie für die Patientinnen und Patienten eine heikle Situation. Auch die seelische Belastung, das sage ich als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, ist eine riesige Herausforderung.

Welche Lehren sollten wir aus der Corona-Krise ziehen?

Wir sehen in der Krise die vorbestehenden Problemlagen wie unter einem Brennglas. Die Pflege muss dringend besser bezahlt werden. Wir müssen generell besser vorbereitet sein und mehr Schutzkleidung bevorraten und in Europa produzieren.

Die Krise zeigt, dass Gesundheit mehr ist als ein individuelles Geschehen, sondern erheblich von Rahmenbedingungen abhängt. Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) muss dringend weiter ausgebaut werden. Der ÖGD ist nicht nur wichtig für den Infektionsschutz und damit zur Eindämmung von Pandemien, sondern auch um den WHO-Ansatz „Health in All Policies“ zu etablieren.

Entscheidend wird es sein, die Ursachen für Virus-Pandemien in den Blick nehmen wie den Raubbau an der Natur und den Handel mit Wildtieren. Umweltschutz ist Gesundheitsschutz. Wenn wir die Haltung des Zusammenhalts mit in die Zeit nach der Krise nehmen, wäre das gut.

(jk)

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