Experten-Interview „Über Viehtransport nicht hinausgekommen“
Laura Heyer
Betreiber von Bussen und Bahnen haben nichts davon, wenn sie sich anstrengen, sagt Andreas Knie. Es gebe keinen Anreiz, mit Reformen oder gar Innovationen mehr Menschen in öffentliche Verkehrsmittel zu locken. Wie der Sozialwissenschaftler das ändern will, hat er Laura im Interview verraten.
Herr Knie, wie steht es heute um Bus und Bahn, also den sogenannten Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)?
Der ist ziemlich schlecht. Wir sind über den Viehtransport nicht hinausgekommen. Der ÖPNV hängt noch völlig in den Strukturen der 20er- und 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Der ganze Linienverkehr und auch die gesetzlichen Grundlagen sind aus einer längst vergangenen Zeit. Aktuell wird der ÖPNV vor allem von Leuten genutzt, die sich kein Auto leisten können oder wollen. Für alle anderen ist er nicht attraktiv.
Warum nicht?
Das Grundproblem ist, dass die Betreiber des ÖPNV keinen Vorteil davon haben, wenn sie sich anstrengen. Also wird verwaltet. Es gibt keinen Anreiz, mit Reformen oder gar Innovationen mehr Menschen in Busse und Bahnen zu locken. Die Finanzierungsstruktur müsste sich also ändern. Verkehrsunternehmen bekommen ihr Geld auch nach der tatsächlich transportierten Zahl der Fahrgäste. Außerdem müsste es einen Rechtsraum geben, wo mehr unternehmerischer Spielraum möglich ist. Eine Idee: Menschen dort abholen, wo sie gerade sind und auch dort hinbringen, wo sie hinwollen. Haltestellen gehören in die Mottenkiste.
Aber heißt das dann, dass ich am Ende mehr für mein Ticket zahlen muss? Wie soll dieser Wandel finanziert werden?
Der ÖPNV der Zukunft finanziert sich aus drei Quellen. Zum einen natürlich durch die Menschen, die diese Dienstleistung nutzen. Sie sind bereit, dafür zu bezahlen. Dort, wo wenig Menschen unterwegs sind, muss der Staat zuzahlen. Und die dritte Finanzquelle ist die Werbefinanzierung. Was Google und Co können, sollten wir erst recht machen. Wenn viele Menschen in einem Bus oder einer Bahn sind, können wir diesen als Werbefläche und damit als Einnahmequelle nutzen. An der Finanzierung sollte es also nicht scheitern.
Wie könnte der ÖPNV sich noch modernisieren? Vielleicht durch autonomes Fahren?
Das autonome Fahren ist bereits Realität. In einigen Regionen der USA und in China kann man durch Knopfdruck auf dem Smartphone ein Auto rufen, einsteigen und das Auto fährt exakt dorthin, wo man hin will. Wie ein Ruftaxi, nur ohne Fahrer. Das sollte auch hier möglich sein. Ich denke, wir werden auch in Deutschland in den nächsten 25 Jahren in den großen Städten keine privaten Autos mehr brauchen. Aber das geht nur, wenn wir den ÖPNV in Europa aus den Fesseln des 19. und 20. Jahrhunderts befreien und ihn zu einem digital integrierten System machen, mit dem ich von A nach B komme, und zwar ohne, dass ich selbst ein eigenes Fahrzeug besitzen muss.
Wenn sie in der Politik etwas zu sagen hätten, was würden sie dann konkret am ÖPNV ändern?
Erstens würde ich vorschlagen, dass private Autos auf öffentlichem Grund nicht mehr dauerhaft abgestellt werden können. Das sorgt für Gerechtigkeit. Als Zweites würde ich den ÖPNV so finanzieren, dass bei mehr beförderten Passagieren auch tatsächlich mehr Geld in die Kassen der Anbieter fließt. Und drittens würde ich dem ÖPNV mehr rechtlichen Spielraum für Innovationen geben.
Dr. Andreas Knie ist Professor an der Technischen Universität Berlin und leitet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung die Forschungsgruppe „Digitale Mobilität“. Er war mehrere Jahre in leitender Funktion bei der Deutschen Bahn AG beschäftigt. Der Sozialwissenschaftler berät Politik und Wirtschaft in den Themen Mobilität und Innovation.
(lh)
Laura Heyer
hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.