Künstliche Intelligenz „Sie darf nie einem Menschen schaden“
Noah Schöppl
Eine Gruppe von Abgeordneten zerbricht sich den Kopf, welche neue Regeln für intelligente Maschinen und Systeme gebraucht werden. Die Vorsitzende Daniela Kolbe (SPD) über schlaue Algorithmen, Schwarz-Weiß-Denken und Science-Fiction-Filme.
Haben Sie heute schon Künstliche Intelligenz genutzt?
Wahrscheinlich schon, wenn auch nicht bewusst. Ich habe heute zum Beispiel etwas auf Google gesucht. Die Algorithmen, die dort angewendet werden, um auszuwählen, welche Suchergebnisse angezeigt werden, und die Zusammenfassung, die mir angezeigt wird, basieren zum Beispiel auf Künstlicher Intelligenz (KI). Die Bedeutung von KI hat enorm zugenommen, weil Computer immer schneller immer mehr Daten verarbeiten können. Algorithmen lernen auf Basis von Daten, selbst Entscheidungen zu treffen. Durch den zunehmenden Einsatz bestimmt KI immer stärker, wie wir leben und arbeiten. Ich habe heute zum Beispiel auch schon Amazon besucht – auch dort werden Entscheidungen von KI mitbestimmt.
Ihre Kommission hat sich den Auftrag gegeben, neue Regeln zu finden, die wir im gesellschaftlichen Umgang mit KI brauchen. Welche zum Beispiel?
Wir brauchen viele neue Regeln. Eine Regel aus der Robotik, die wir auch auf KI anwenden sollten, ist: Eine KI darf nie einem Menschen schaden. KI muss immer den Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt stellen. Das ist etwas, dass KI in Europa beispielsweise von China unterscheidet, wo nicht das Individuum, sondern eher die Gemeinschaft und die Interessen der Kommunistischen Partei im Mittelpunkt stehen.
Wird man sich europaweit oder auf der ganzen Welt auf ein Regelwerk für KI einigen können?
Manche Regeln werden einfach durch Fakten geschaffen. Wir müssen aufpassen, dass durch die Dominanz einiger US-amerikanischer Konzerne sich da nicht gewisse Standards durchsetzen. Aber auch wenn wir dagegenhalten müssen, geht es nicht ums Verhindern, sondern ums Mitmischen. Wir müssen in Europa in Forschung und Entwicklung investieren und Unternehmen in die Lage versetzen, KI zu entwickeln und anzuwenden. Wir müssen aber auch über Standards und gesetzliche Normen KI einen europäischen Stempel aufdrücken. Das wird nicht leicht, aber mit unseren durchaus beachtlichen Forschungszentren und unserem Mittelstand stehen wir gar nicht so schlecht da.
Gibt es Streitpunkte zwischen den Fraktionen in der Kommission KI?
Ich freue mich, dass wir KI nicht als Schwarz-Weiß-Frage diskutieren: Ist KI gut oder böse? Wir hatten von Anfang an eine differenzierte Debatte, die sowohl Chancen als auch Risiken anerkennt. Uns geht es als Enquete-Kommission darum, KI so einzusetzen, dass sie einen Mehrwert bietet. Dieser Grundkonsens freut mich und zeigt, dass wir in Deutschland eine starke, einheitliche Wertebasis haben. Dann gibt es aber auch Debatten im Detail, die stark an klassischen politischen Differenzen orientiert sind, beispielsweise in den Bereichen innere Sicherheit oder betriebliche Mitbestimmung. Das zeigt auch, dass KI nur ein Werkzeug ist, das man in einer Welt einsetzt, zu der man schon eine Meinung hat.
Über die Enquete-Kommission
Die Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale“ beschäftigt sich mit den Chancen und Risiken von KI. Sie wurde im September 2019 gegründet und hat 37 Mitglieder. Für diesen Sommer ist ihr Bericht angekündigt, der bei Entscheidungen des Bundestages zum Thema KI helfen soll.
Durch welche Mechanismen können Prinzipien der KI-Ethik tatsächlich durchgesetzt und in Anwendung gebracht werden?
Da lohnt sich zum Beispiel ein Blick in die Ergebnisse der Datenethik-Kommission der Bundesregierung, die da konkrete Vorschläge gemacht hat. Die Gesellschaft muss entscheiden: An welchen Stellen wollen wir, dass automatisierte Entscheidungen getroffen werden – und wo nicht? Die Datenethik-Kommission hat dafür ein Risikoklassen-Modell vorgeschlagen. Je nachdem, wie tief ein Eingriff und wie groß der potentielle Schaden ist, müssen manche Algorithmen mehr reguliert werden als andere. Automatisierte Waffensysteme, die Menschen töten können, sollten zum Beispiel international geächtet werden.
Haben Sie einen Science Fiction Filmtipp zu KI?
Ich mag Science Fiction gern, aber ich kenne keinen Film, der in der Debatte weiterhilft, weil KI dort oft einseitig als großartig oder bedrohlich dargestellt wird. KI wird außerdem als ferne Zukunft dargestellt, sie ist aber schon längst da – nur anders als in den Filmen. Sie fließt schon an vielen Stellen praktisch in den Alltag rein. Deshalb habe ich leider keine Empfehlung.
Wenn die KI-Kommission erfolgreich ist: Wie wird das Verhältnis zwischen Mensch und KI in 10 Jahren aussehen?
Wenn die Enquete erfolgreich ist, dann hat der Bundestag Instrumente in der Hand, damit er spätestens in der nächsten Legislaturperiode neue Gesetze für KI auf den Weg bringen kann. Es geht darum, Unternehmer einzubeziehen und Arbeitnehmer zu schützen. Vielleicht klappt es auch, dass unsere Verwaltungen einen deutlichen Schub bei der Digitalisierung erhalten und der Sozialstaat als Partner statt als Bürokratiemonster es schafft, uns das Leben etwas leichter zu machen. Auch im Gesundheitsbereich kann es unglaubliche Fortschritte geben.
Hat sie irgend etwas besonders überrascht bei Ihren Recherchen und ihrer Arbeit als Vorsitzende der Enquete-Kommission?
Ein positiver Nebeneffekt einer Enquete-Kommission ist, dass sich danach etliche Abgeordnete viel besser bei bestimmten Themen auskennen und nochmal eine Art Studium in diesem Bereich erfahren. Jede Sitzung der Kommission bietet Erkenntnisgewinne. Ich war zum Beispiel einerseits überrascht, wie wenig bisher in der Robotik möglich ist und wie weit verbreitet andererseits der Einsatz von Algorithmen in der digitalen Welt schon ist.
Über Daniela Kolbe
Daniela Kolbe (SPD) wurde 1980 in Thüringen geboren. In Leipzig studierte sie Physik. Danach arbeitete sie in der politischen Bildung, bis sie 2009 für Leipzig in den Deutschen Bundestag gewählt wurde. Von 2011 bis 2013 war sie bereits Vorsitzende der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ und seit 2018 ist sie Vorsitzende der Enquete-Kommission "Künstliche Intelligenz - Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale". Zudem ist sie stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Bundeszentrale für politische Bildung.
Noah Schöppl
ist 23 und kommt aus Augsburg. Er studierte im Bachelor Politik, Psychologie, Recht und Wirtschaft in Amsterdam. Heute studiert er Social Science of the Internet in Oxford und forscht zum verantwortlichen Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Noah genießt Lesen, Schwimmen und Wandern in der Natur.