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Anlaufstelle für DDR-Opfer „Nicht jeder, der wollte, durfte Abitur machen“

Laura Heyer

Vielen Menschen wurde in der DDR Unrecht getan, manche mussten sogar in den Knast. Im Bundestag kümmert sich nun die Bürgerrechtlerin Evelyn Zupke um die Opfer der Diktatur. Dabei war sie selbst zunächst ein „sozialistisches Musterkind“.

Portraitbild Evelyn Zupke

Evelyn Zupke ist seit dem 10. Juni die Bundesbeauftragte für die SED-Opfer. © picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Seit Juni ist Evelyn Zupke die neue und erste „Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag“. SED steht für Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. Die Partei übte die Macht in der DDR aus (DDR = Deutsche Demokratische Republik), die nur nach außen den Anschein erweckte, demokratisch zu sein.

Frau Zupke, warum ist das neue Amt wichtig, das sie nun innehaben?

Junge Menschen können sich heute, Gott sei Dank, gar nicht mehr vorstellen, wie es in einer Diktatur wie der DDR zugeht. Das fing ja schon im frühesten Kindes- und Jugendalter an: Es gab den Druck, sich anzupassen, eigenes Denken, eigenes Fragen wurden häufig bestraft, Anpassung belohnt. Konkret zeigte sich das etwa in Uniformen, also den blauen Pionierhemden des kommunistischen Jugendverbandes Freie Deutsche Jugend, kurz FDJ. Man sollte Pionier sein mit Fahnenappellen und Meldungen. Wer dort nicht mitmachte, der hätte niemals studieren können. Und auch nicht jeder, der wollte, konnte die Schule mit Abitur abschließen. Davon möchte ich Kindern und Jugendlichen berichten.

Und ich möchte natürlich den Opfern der DDR helfen, das ist meine Hauptaufgabe. Wenn das niemand tut, dann sind die Opfer irgendwann vergessen und auch das, was man aus ihrem Schicksal und den Umständen lernen kann.

Was machen sie konkret als „Opferbeauftragte“?

Ich setze mich für die Anliegen der Opfer der SED-Diktatur ein und trage zu ihrer Würdigung bei. Und zwar, indem ich den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung berate.

Und wie sieht ihre tägliche Arbeit aus?

Ich treffe neben Abgeordneten und Regierungsmitgliedern auch viele andere Menschen und besuche Veranstaltungen. Ich erhalte viele Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern und wir kriegen sehr viele E-Mails und Anrufe. Die müssen wir sortieren und beantworten. Meine Mitarbeiter bereiten dies für mir vor. Ich möchte regelmäßig Bürgergespräche führen. Schon jetzt nach diesen ersten Wochen sehe ich, dass da ein ganz hoher Bedarf ist und direkter Kontakt gewünscht ist.

Bürgerrechtlerin und Aktivistin: Wer ist Evelyn Zupke?

Ich gehöre keiner Partei an. Das war auch für dieses Amt von Vorteil. Ich komme ja aus der ehemaligen DDR und war dort auch in der Opposition tätig. Dadurch bin ich mit vielen Leuten bekannt. Ich war die letzten 15, 20 Jahre verstärkt an Schulen, habe mit Zeitzeugen gesprochen, viele Veranstaltungen mit Institutionen durchgeführt, habe an vielen Podiumsdiskussionen teilgenommen und war somit neben meiner beruflichen Tätigkeit als Sozialarbeiterin immer an dem Thema dran.

Ich habe mich immer für Belange von Menschen interessiert und mich, wenn nötig, für andere Menschen eingesetzt. Das ist das Berufliche. Aber ich hatte auch mein Leben in der DDR und bin geprägt von dieser Zeit. Erst war ich ein ganz normales sozialistisches Musterkind. Dann passierten bestimmte Ereignisse. Dann habe ich mein Verhalten, meine Sicht verändert, Dinge hinterfragt. Und so bin ich zur Bürgerrechtlerin geworden.

Wie ging es bei Ihnen nach der deutschen Einheit weiter?

Nach 1990 habe ich viele Jahre als Sozialarbeiterin mit psychisch erkrankten Menschen gearbeitet. Einige meiner Klienten wurden von einem Arzt behandelt, der für den DDR-Geheimdienst gearbeitete hatte und zugleich in der DDR-Haftanstalt für politische Gefangene Hohenschönhausen Haftpsychiater gewesen war. Das alles habe ich herausgefunden und mich dafür eingesetzt, dass er meine Klienten zumindest nicht mehr behandelt hat.

Was ist noch passiert?

In einem Fernstudium in den 2010er Jahren sollte ich ein Buch von Eberhard Mannschatz lesen. Dieser Mann war mit verantwortlich für die schrecklichen Umerziehungsheime für Jugendliche, etwa in Torgau. In dem Buch pries er die Jugendhilfe der DDR, mit keinem Wort erwähnte er die Quälereien, die in solchen Heimen stattfanden und die traumatisierten Opfer. Ich stritt mit der Hochschulleitung, habe mich exmatrikulieren lassen. Aber das Gute war, dass ich mit dem Direktor und einigen Dozenten schließlich nach Torgau gefahren bin, wir haben uns das angeguckt und mit Betroffenen gesprochen. Letztlich wurde wenigstens dieses Kapitel aus dem Buch entfernt.

Sie konnten etwas bewirken…

ja, ich wollte etwas gegen die Ungerechtigkeiten tun. Wir wollten die Situation verbessern, anderen Menschen zur Seite stehen und ihnen helfen. Und das kann ich mit dem neuen Amt jetzt fortführen. Die Anliegen der Opfer und Betroffenen des SED-Regimes haben mich schon immer interessiert. Ich sehe mich als ihr Sprachrohr. Dass ich die Möglichkeit habe, dies auf dieser hohen politischen Ebene zu tun und Einfluss zu nehmen, das finde ich ganz toll.

Was treibt Sie noch an, diesen Job zu übernehmen?

Ich habe immer wieder gemerkt, wenn ich an Schulen war oder in Diskussionen, dass viele Menschen gar nichts über die DDR und ihre schlimmen Geschichten wissen. Man kann sich gar nicht vorstellen, was den Menschen für ein Unrecht und Leid angetan wurde.

Über Evelyn Zupke

Evelyn Zupke, 59, stammt aus Binz auf Rügen, lebt in Hamburg und pendelt für ihr neues Amt nach Berlin. Sie gehörte in der DDR oppositionellen Bewegungen an, etwa der Gruppe „Friedenskreis Weißensee“. Sie wirkte wesentlich an der Aufdeckung des Wahlbetrugs bei den DDR-Kommunalwahlen im Mai 1989 mit. Seit der „Wende“ 1989, dem Ende der DDR, engagierte sie sich als Bürgerrechtlerin beim „Runden Tisch Weißensee“ und in vielen anderen Initiativen. Am 10. Juni wurde sie vom Bundestag zur ersten Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur gewählt. Mehr Infos zu Ihrem Amt finden sich auf bundestag.de.

Was muss für die Opfer der SED-Diktatur getan werden?

Es gibt schon viele gute Gesetze, beispielsweise die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze, die 2019 zuletzt geändert wurden. Betroffene können jetzt etwa eine SED-Opferrente bekommen, wenn sie mindestens 90 Tage im Gefängnis saßen, und nicht erst ab 180 Tagen, wie es vorher war. Es muss aber auch noch einiges verbessert werden, etwa bei den sehr bürokratischen Verfahren für eine Rehabilitation, also für die Wiedereingliederung in das berufliche und gesellschaftliche Leben.

Das ist manchmal ganz schwierig für Betroffene. Wenn sie nämlich eine Schädigung ihrer Gesundheit geltend machen wollen, ist der Prozess für sie manchmal erneut seelisch verletzend, also traumatisierend. Auch, weil die Menschen, mit denen sie zu tun haben, die Sensibilität und dieses Wissen vom Leid in der DDR gar nicht haben.

Wo können Sie noch ansetzen?

Dann gibt es zum Beispiel Härtefallfonds in drei ostdeutschen Bundesländern für Menschen, die in der DDR politisch verfolgt wurden und sich heute in einer besonderen wirtschaftlichen Notlage befinden. In Westdeutschland, wo auch ehemalige DDR-Bürger leben, gibt es das gar nicht, da ist noch immer nichts passiert. Da werde ich also nachhaken.

Wir werden uns mit vielen Menschen an einen Tisch setzen und gucken, was wir wie umsetzen können. Es stellen sich dabei Fragen wie: Welche Rehabilitation oder Leistungen gibt es, welche nicht? Welche Gruppen sind bisher noch komplett durchs Raster gefallen? Oder: Es gibt in Westdeutschland kein Beratungsnetz außer in Niedersachsen. Da muss man ran. Es gibt Opfergruppen, die noch gar nicht genügend im Blick sind.

Und wie wollen Sie etwas erreichen?

Ich werde in der Politik werben, Verbündete gewinnen, bis das irgendwann beschlossen wird. Aber das sind Prozesse von vielleicht zwei, drei Jahren. Ich möchte am liebsten alle Wünsche, die mir von den Opferverbänden entgegengebracht werden, in meinen fünf Amtsjahren umsetzen. Wenn man das, was ich genannt habe, schaffen würde, wäre das schon richtig viel. Aber es geht weiter zum Beispiel mit den Bereichen Zwangsadoption in der DDR oder auch Dopingopfer im DDR-Sport.

Was war nach Ihrer Vereidigung am 10. Juni Ihre erste Amtshandlung?

Die fand am 17. Juni statt, dem Gedenktag für den Volksaufstand in der damaligen DDR im Jahr 1953 für freie Wahlen und Wiedervereinigung. Ich war bei der Kranzniederlegung der Vereinigung der Opfer des Stalinismus. Außerdem habe ich mich zu einem Austausch getroffen mit dem Vorsitzenden und Mitgliedern der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG).

(loh)

Mitmischen-Autorin

Laura Heyer

hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.

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