Bericht aus der Schule „Mobbing ist eine große Baustelle“
Streit auf dem Schulhof, Mobbing, Drogen - zwei Schulsozialarbeiter berichten von ihrem Alltag.
Herr Weißleder, Sie sind Schulsozialarbeiter an einer Schule in Brandenburg. Erklären Sie doch bitte Ihren Beruf!
Weißleder: Ich beschreibe meinen Grundauftrag immer aus der Sicht der Schüler. Für sie bin ich eine neutrale, erwachsene Vertrauensperson; aber weder Elternteil noch Lehrer. Jugendliche können zu mir kommen und mir Dinge anvertrauen – zum Beispiel, wenn sie Schwierigkeiten haben, sei es zuhause mit den Eltern oder auch an der Schule mit Mitschülern oder Lehrern. Ich habe eine Schweigepflicht, höre zu und versuche, bei Problemen zu helfen und zu vermitteln.
Frau Bahr, auch Sie sind Schulsozialarbeiterin in Brandenburg. Können Sie uns ein Beispiel aus Ihrem beruflichen Alltag nennen – einen konkreten Fall, mit dem Sie beschäftigt waren?
Bahr: Ich habe längere Zeit einen Jungen betreut, der sehr verhaltensauffällig und impulsiv war, als er zu uns an die Schule kam. Er hatte Schwierigkeiten, Grenzen zu ziehen und einzuhalten. Wenn es auf dem Schulhof zu Streitereien kam, war er immer sofort mittendrin. Für den Jungen war das eine sehr brenzlige Situation: Lehrer und Mitschüler wandten sich von ihm ab, weil sie nicht mit ihm klarkamen. In diesem Fall war es zum Beispiel gut, dass ich da war und Zeit mit ihm verbracht habe. Immer, wenn es geknallt hat, kam er zu mir. Wir sprachen dann miteinander, ich habe ihn beruhigt und er konnte wieder zurück in den Unterricht gehen. Ich bin mir ziemlich sicher: Ohne die Schulsozialarbeit hätte er die Schule nicht geschafft.
Was sind Ihrer Meinung nach heute die drei größten sozialen Probleme an deutschen Schulen?
Bahr: Das ist schwer auszumachen. Mobbing ist eine große Baustelle. Durch die sozialen Medien hat das zugenommen. Mobbing erfolgreich zu begegnen erfordert viel Präventionsarbeit, Achtsamkeit, Geschick und Konsequenz. Sucht ist ebenfalls ein größeres Problem. Heutzutage ist es leider sehr leicht, an Drogen zu kommen. Auch die Computerspielsucht darf hier nicht vergessen werden. Ein drittes großes Problem ist, dass sich manche Kinder selbst verletzten, dass sie Konflikte nicht nach außen, sondern nach innen austragen und dann sich selbst Gewalt antun – psychisch und physisch. Das sind aber nicht unbedingt die drei größten Probleme, sondern nur die, auf die man am einfachsten zeigen kann.
Herr Weißleder, die Linken im Bundestag fordern in einem Antrag Schulsozialarbeit an allen Schulen und eine deutlich bessere Finanzierung. Ist das eine gute Idee?
Weißleder: Ja, ist es! Schulsozialarbeit wird oft nur für einen bestimmten Zeitraum finanziert – so ist das auch bei uns in Brandenburg. Es geht um Erziehung und Vertrauen in unserem Beruf. Und da macht es absolut keinen Sinn, dass ich über eine längere Zeit Vertrauen zu einem Kind aufbaue und dann von heute auf morgen als Kontaktperson für dieses Kind wegbreche, weil das Geld fehlt. Deshalb finde ich den Vorstoß sehr wichtig, Schulsozialarbeit gesetzlich zu verankern, so wie es andere Hilfen zur Erziehung auch sind.
Kritiker des Antrags sagen, Schulen hätten lange Zeit auch ohne Schulsozialarbeiter gut funktioniert.
Weißleder: Dazu muss man sagen, dass sich die Schule und auch die Schüler verändert haben. Schulsozialarbeit war nicht von einem Tag auf den anderen da, sondern ist kontinuierlich gewachsen. Ganz einfach deshalb, weil die Schulen und Lehrer gemerkt haben, dass es ein Gewinn für sie ist, wenn wir uns um Probleme der jungen Menschen individuell kümmern.
Bahr: Ich würde den Kritikern entgegnen, dass die Institution Schule als solche sicher auch ohne Schulsozialarbeit funktioniert hat. Aber das ist auch nicht unsere Aufgabe. Wir sind nicht dafür da, dass die Schulen funktionieren, sondern dafür, den Menschen, die in die Schule gehen, zu helfen. Das ist unser Fokus. Denn die Schulen funktionieren zwar, aber nicht für jede und jeden gleichermaßen. Ich glaube, es gab schon immer Schülerinnen und Schüler, die in der Schule nicht zurechtkamen. Und ich befürchte, das wird auch noch eine ganze Weile so bleiben. Ihren Anschluss an unsere Gesellschaft zu sichern, ist unser Anliegen.
Es gibt auch außerschulische Kinder- und Jugendhilfe. Bräuchte man die denn noch, wenn es überall Schulsozialarbeiter gäbe?
Bahr: Dort, wo ich arbeite, gibt es zwei Jugendclubs, die immer gut besucht sind. Der Bedarf an außerschulischer Kinder- und Jugendhilfe ist also da, obwohl Schulsozialarbeit immer weiter ausgebaut wird. Das eine kann das andere nicht ersetzen. Es gibt ganz viele Schüler, die froh sind, wenn sie am Nachmittag noch eine Anlaufstelle haben, die mit Schule nichts zu tun hat – erst recht, wenn es zuhause schwierig ist.
Weißleder: Das sehe ich genauso. Viele Dinge funktionieren außerhalb der Schule deutlich besser als in der Schule selbst. Zum Beispiel Sozial-Kompetenz-Trainings für das Teambuilding. Die Erfolge, die man außerschulisch bei den Kindern und Jugendlichen erreicht, können dann im Übrigen auch wieder auf die Schule zurückstrahlen und beispielsweise für ein besseres Klassenklima sorgen.
Über die Interviewpartner
Ilja Weißleder ist 40 Jahre alt und arbeitet seit 2009 als Schulsozialarbeiter an einer Oberschule in Brandenburg an der Havel. Der Potsdamer ist außerdem der Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft Sozialarbeit an Schulen Brandenburg e. V..
Sylvia Bahr (42) ist seit 2009 Sozialarbeiterin an einer Oberschule in Hohen Neuendorf und stellvertretende Vorständin der Landesarbeitsgemeinschaft Sozialarbeit an Schulen Brandenburg e. V.. Die studierte Philosophin und Erziehungswissenschaftlerin arbeitete auch zuvor schon im sozialen Bereich.