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Serie Junge Politiker (5) „Man kann in Parteien etwas bewegen“

Finden junge Abgeordnete genug Gehör im Bundestag? Wie überzeugen sie die Älteren von ihren Themen? mitmischen.de hat mit sechs jungen Politikern gesprochen. Hier antwortet Sven-Christian Kindler von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Porträt des Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler

„Ich habe mit zehn oder elf angefangen, politisch zu denken“, sagt Sven-Christian Kindler. Geprägt haben ihn die Besuche in einem ehemaligen Konzentrationslager mit seinem Opa. Foto: Sven Brauers

Finden junge Themen genügend Gehör im Parlament?

Ich glaube, das Problem ist, dass der Deutsche Bundestag insgesamt im Verhältnis zur Bevölkerung nicht vielfältig genug ist. Es gibt unter den Abgeordneten wenig jüngere Menschen, aber viel auch zu wenige Frauen, wenig Menschen mit Migrationsgeschichte, wenig Menschen aus der Arbeiterklasse und Nicht-Akademiker. Der Bundestag ist zu alt, zu weiß und zu männlich. Und das prägt natürlich die Debatten.

Dazu kommt, dass manche ältere Abgeordnete – nicht alle – auch gewisse Verständnisprobleme haben, wenn es etwa um Themen wie Internet, Social Media, Datenschutz geht. Man hat das zum Beispiel bei der Diskussion um Upload-Filter gemerkt. Das ist zwar kein rein junges Thema, aber schon eins, das besonders viele junge Leute beschäftigt.

Das Gleiche gilt für den Klimaschutz. Auch das ist eigentlich ein gesamtgesellschaftliches Thema. Aber es gehen eben gerade vor allem junge Leute auf die Straße, weil sie nicht wollen, dass die Erde verbrennt und ihre Zukunft kaputt gemacht wird.

Im Gegensatz zu anderen Fraktionen haben die Grünen keine „Junge Gruppe“. Warum nicht?

Weil wir jüngeren Abgeordneten das Gefühl haben, insgesamt schon gut in der Fraktion vertreten zu sein. Zum Beispiel sind bei uns sehr viele junge Kolleginnen und Kollegen in sehr guten Positionen. Auch „jüngere“ Themen wie Datenschutz, Privatsphäre, Rechte im Internet, Kampf gegen Kinderarmut, Rechte von Kindern und Jugendlichen oder die Bekämpfung der Klimakrise werden bei den Grünen breit vertreten. Insofern haben wir da vielleicht weniger ein inhaltliches Problem als andere Fraktionen.

Gibt es andere Formate, in denen Sie mit den jüngeren Kollegen aus Ihrer Fraktion zusammenkommen und zusammenarbeiten?

Ich finde es gerade schön, dass es in der Fraktion überhaupt keine große Rolle spielt, ob man jung oder alt ist. Es geht darum: Was kannst du? Wie bist du als Mensch? Was bringst du ein? Wie fit bist du in deinen Themen? Das ist wichtig – nicht ob man 25, 45 oder 65 Jahre alt ist.

Also gibt es keine Konflikte zwischen Jüngeren Älteren?

Wir sollten gesellschaftlich zumindest keine Gegensätze zwischen Jung und Alt künstlich konstruieren. Ich erlebe ganz viel Solidarität zwischen den Generationen. Mit der ehemaligen Bürgermeisterin von Hannover Ingrid Lange, die inzwischen 82 ist, mache ich seit über zehn Jahren das Projekt „Jung und Älter – zusammen in der Politik“. Wir besuchen Pflegeheime, Altenheime, aber auch Kindergärten, Schulen oder Mehr-Generationen-Häuser und Projekte, wo Jung und Alt zusammenarbeiten. Wir wollen, dass es Menschlichkeit und Zusammenhalt zwischen den Generationen gibt. Der Kernkonflikt in der Gesellschaft verläuft nicht zwischen Jung und Alt, er verläuft zwischen Arm und Reich.

Welche jungen Themen liegen Ihnen besonders am Herzen – neben den schon erwähnten Bereichen Klima- und Datenschutz?

Wir haben Millionen Kinder und Jugendliche, die in armen Verhältnissen aufwachsen. Und es ist einfach himmelschreiend ungerecht, wenn die Geburt darüber entscheidet, welche Chancen man später im Leben hat. So studieren zum Beispiel Kinder von Akademiker-Eltern deutlich häufiger als Kinder von Eltern ohne akademischen Hintergrund. Dafür brauchen wir Antworten – nämlich ein gemeinschaftliches Schulsystem, das nicht aussortiert, sondern inklusiv ist und alle Kinder mitnimmt.

Ein weiterer Punkt ist, dass wir endlich eine Kindergrundsicherung brauchen. Alle Eltern sollten vom Staat die gleiche Unterstützung für ihre Kinder bekommen.

Wann und wie haben Sie Ihre Begeisterung für Politik entdeckt?

Ich habe mit zehn oder elf angefangen, politisch zu denken. Mit meinem Opa war ich oft in der Gedenkstätte Bergen-Belsen, dem ehemaligen Konzentrationslager, in dem unter anderem Anne Frank gestorben ist. Das hat mich sehr aufgewühlt, weil ich mich gefragt habe, wie Menschen anderen Menschen so etwas antun können. Ich sehe heute mit Sorge, wie Faschisten mobil machen, wie sie andere Menschen ermorden, Terror-Anschläge verüben, wie sie Hass und Hetze in Parlamenten und im Internet verbreiteten. Dagegen will ich klar Stellung beziehen. Damit sich Auschwitz nicht wiederholt und nichts Ähnliches geschieht. Deswegen bin ich Antifaschist.

Geprägt hat mich auch meine Zeit bei den Pfadfindern. Wir sind viel raus in die Natur, die ich dadurch kennen und lieben gelernt habe. Ich verstehe nicht, warum so viel wertvolle Natur zerstört wird. Das macht mich wahnsinnig wütend.

Wann wurde aus diesen Gedanken parteipolitisches Engagement?

Mit 18 bin ich bei der Grünen Jugend, dem Jugendverband der Grünen, aktiv geworden und habe dort viele Freunde gefunden. Wir haben gemeinsam Atom-Transporte bei Gorleben im Wendland friedlich blockiert. Wir haben Demonstrationen gegen Nazis organisiert. Wir haben uns gegen Studiengebühren und für mehr Ausbildungsplätze eingesetzt. Wir haben über Gott, die Welt und das Ende des Kapitalismus diskutiert. Das hat mir viel Spaß gemacht und mich sehr geprägt.

Und dann war klar, dass Sie für den Bundestag kandidieren?

Nein, das hatte sich eher zufällig ergeben, als klar war, dass für die Wahl 2009 keine jungen Leute in Niedersachsen bei den Grünen kandidieren wollten. Da habe ich gesagt: Okay, ich probiere das jetzt. Es hat geklappt und so bin ich mit 24 Abgeordneter geworden.

Was sagen Sie einem jungen Menschen, der darüber nachdenkt, in einer Partei aktiv zu werden?

Parteien sind ein zentraler Ort, wo Entscheidungen fallen – über die Art und Weise, wie wir in der Gesellschaft zusammenleben, wie die Gesellschaft wirtschaftet, wie Demokratie gelebt wird. Man kann in Parteien etwas bewegen. Parteien verändern sich ja auch ständig, sie werden aktiver und lebendiger – daran kann man teilhaben und es lohnt sich.

Über Sven-Christian Kindler

Sven-Christian Kindler ist 35 Jahre alt, Betriebswirt und kommt aus Hannover. Seit 2009 sitzt er für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Er ist Obmann im Haushaltsausschuss und im Unterausschuss zu Fragen der Europäischen Union. Außerdem ist er stellvertretender Vorsitzender des Bundesfinanzierungsgremiums. Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.

(jk)

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