Mindestlohnkommission „Ich hätte mir mehr Vorsicht gewünscht“
Carolina Pfau
Er ist einer der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands: Professor Lars Feld. Carolina hat ihn nach dem Mindestlohn gefragt. Wer legt ihn fest? Was sind die guten Seiten? Und: Kann er auch Schaden anrichten?
Können Sie kurz erklären, was der Mindestlohn eigentlich ist?
Es handelt sich um einen gesetzlichen Mindestlohn. Das heißt, es wird im Gesetz festgelegt, was ein Arbeitnehmer in Deutschland mindestens verdienen muss. Das bedeutet einerseits, dass man keine regionalen Differenzierungen zulässt, und andererseits, dass es auch keine Unterschiede zwischen den Branchen gibt. Der Mindestlohn gilt für alle Arbeitnehmer bundesweit.
Die Mindestlohnkommission prüft die Höhe des Mindestlohns alle zwei Jahre. Danach entscheidet sie, ob eine Erhöhung erfolgen sollte. Wer sitzt in der Kommission? Und wie kommt so ein Beschluss zustande?
In der Kommission sitzen drei Vertreter der Arbeitgeberverbände und drei Vertreter der Gewerkschaften. Auf beiden Seiten gibt es einen Verhandlungsführer und jeweils einen Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin. Ich bin Wissenschaftler auf der Arbeitgeberseite, meine Kollegin Claudia Weinkopf auf der Gewerkschaftsseite. Wir beide haben kein Stimmrecht, sondern sind nur beratende Mitglieder. Dann gibt es noch den Vorsitzenden, der vom Bundesarbeitsminister benannt wird. Der Vorsitzende hat dann ein Stimmrecht, wenn sich die beiden Seiten nicht einigen können. Die Kommission möchte natürlich immer im Konsens entscheiden, sodass der Vorsitzende nicht einspringen muss. Auch dieses Jahr wurde solange verhandelt, bis sich beide Seiten einig waren.
Die Kommission empfahl, den Mindestlohn bis zum 1. Juli 2022 auf 10,45 Euro pro Stunde anzuheben. Warum?
Ich habe der Kommission empfohlen, angesichts der aktuellen Wirtschaftslage den Mindestlohn nicht anzuheben. Wir haben durch Corona ja immerhin den schwersten Wirtschaftseinbruch seit Bestehen der Bundesrepublik. Es gibt viele Branchen, die durch die Pandemie ihre Schwierigkeiten haben. Denen jetzt diese Kostenerhöhung aufzubrummen, könnte für einige Unternehmen das Ende bedeuten. Da die Gewerkschaften aber eine stärkere Erhöhung des Mindestlohns wollten, hat man sich auf eine gestaffelte Erhöhung geeinigt. Dadurch ist der Anstieg am Anfang nicht so stark, sozusagen nur ein Inflationsausgleich, und am Ende der Laufzeit stärker. Ich finde das vertretbar, hätte mir aber mehr Vorsicht gewünscht. Es ist ja eine Wette darauf, dass im Jahr 2022 wieder Normalität am Arbeitsmarkt herrscht.
Die Linke fordert eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro die Stunde. Halten Sie das für realistisch?
Wenn man berücksichtigt, dass der Mindestlohn immer wieder erhöht wurde, dann sind die 12 Euro vielleicht in der nächsten Runde umsetzbar – je nachdem, wie sich die Wirtschaft entwickelt.
Alle zwei Jahre legt die Mindestlohnkommission einen Bericht zu den Auswirkungen des Mindestlohns vor. Der letzte wurde dieses Jahr im Juni veröffentlicht. Was sind die auffälligsten Aussagen darin?
Man kann schon über Jahre beobachten, dass die bisherigen Erhöhungen verschiedene Effekte hatten: Der Mindestlohn verursachte einen Rückgang der Beschäftigung, der aber durch die gute Konjunktur ausgeglichen werden konnte. Zudem gab es Ausweichreaktionen: Manche Unternehmen haben ihre Preise erhöht, andere haben die Arbeitszeiten verändert, damit sie am Ende dasselbe Gehalt für weniger Stunden zahlen. Natürlich ist auch die Schwarzarbeit gestiegen. Allerdings wurden die Löhne tatsächlich erhöht und die Leute haben wirklich mehr verdient.
Was könnte passieren, wenn der Mindestlohn zu stark erhöht werden würde?
Wenn man jetzt viel stärker erhöht, dann ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass die negativen Effekte stärker werden. Die Arbeitslosigkeit könnten zum Beispiel steigen.
Wie wird sich der Mindestlohn Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren entwickeln?
Das lässt sich schwer sagen. Im Grunde setzt die Erhöhung darauf, dass sich die Wirtschaft bis 2022 gut entwickelt und dieser schwere Einbruch kompensiert werden kann. Der Mindestlohn kann also nur dann weiter erhöht werden, wenn sich die Wirtschaft stabilisiert. Wenn das nicht passiert, würde eine Erhöhung zu mehr Arbeitslosigkeit führen. Das ist alles von den zukünftigen Entwicklungen abhängig.
Zur Person
Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld ist einer der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands. Er ist Vorsitzender der „Wirtschaftsweisen“, also des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Das Gremium berät die Politik. Feld ist zudem Direktor des Walter Eucken Instituts und Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen und wissenschaftliches Mitglied der Mindestlohnkommission.
Carolina Pfau
ist 24, lebt in Nienburg (Weser) und arbeitet derzeit als freie Journalistin und Radio-Moderatorin.