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Interview zum Thema Landwirtschaft „Hundertausende Euro in einem Arbeitsplatz“

Laura Heyer

Im Bundestag stand das Thema Landwirtschaft in den letzten Monaten immer wieder auf der Tagesordnung. Aber gibt es überhaupt DIE Landwirtschaft? Das hat mitmischen.de den Agrarexperten Achim Spiller gefragt.

Mann in Bibliothek

Wer Bauern unterstützen will, sollte auf „eine Kombination aus regional und saisonal setzen“, sagt Achim Spiller. © privat

Herr Spiller, bei Bauernhof denkt man an Milchkühe, Familienbetriebe und Feldarbeit. Entspricht das der deutschen Landwirtschaft?

Wir haben in Deutschland ein gutes Klima und gute Böden für die Landwirtschaft. Gerade der Ackerbau, also der Anbau von Getreide, funktionieren hier gut, Obst und Gemüse werden sehr oft im Treibhaus gezogen, weil es nicht warm genug ist. Dort wird viel importiert und wir produzieren nur ein Drittel dessen, was wir wirklich konsumieren. In der Tierhaltung gibt es viele Milchkühe. Wir produzieren mehr Schweinefleisch, als wir essen, und importieren zum Beispiel mehr Geflügel.

Die Größe von landwirtschaftlichen Betrieben ist hierzulande sehr unterschiedlich. In Bayern oder Baden-Württemberg gibt es viele kleine Betriebe oder Menschen, die Landwirtschaft sogar im Nebenerwerb nach der Arbeit betreiben. Im Osten und Nord-Osten Deutschlands gibt es zahlreiche große Betriebe. Aber so richtig riesige landwirtschaftliche Betriebe wie in Brasilien oder der Ukraine mit ein paar 100.000 Hektar gibt es in Deutschland nicht.

Seit Jahren sinkt die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland. Wie sieht die Zukunft aus?

Ein sogenannter Strukturwandel, also auch das Schrumpfen der Betriebe, zeigt sich in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges recht konstant. Jedes Jahr hören etwa zwei bis drei Prozent der Betriebe auf. Das klingt nicht viel – aber nach zehn Jahren ist dann eben ein Drittel verschwunden. Grund dafür ist einerseits die stark gestiegene Produktivität. Man kann zum Beispiel durch moderne Mähdrescher oder Schnittmaschinen die Ernte in viel kürzerer Zeit erledigen. Andererseits ist die Landwirtschaft dadurch viel kapitalintensiver geworden. Das heißt, mittlerweile stecken hunderttausende Euro in einem Arbeitsplatz.

Das ist natürlich besonders für größere Betriebe von Vorteil. Doch auch kleinere Betriebe haben eine Möglichkeit gefunden, damit umzugehen: mit Lohnunternehmertum. Dabei übernehmen Unternehmen das Aussähen oder die Ernte für 10 oder 20 Landwirte und besitzen dann die teure Technik, sodass der Landwirt sie nicht kaufen muss.

Das heißt, bald wird auf den Feldern alles automatisiert sein?

Das ist meist jetzt schon so. Die Schlepper auf den Feldern fahren oft schon selbstgesteuert per GPS. Mittlerweile gibt es auch Roboter, die Unkraut jäten, ähnlich wie kleine Rasenroboter oder ganz präzise an einzelne Pflanzen Schutzmittel sprühen zum Beispiel.

Die AfD fordert in ihren Anträgen zur Stärkung der Landwirtschaft in Deutschland, Lebensmittel besser zu kennzeichnen, damit Verbraucher auch bei verarbeiteten Lebensmitteln erkennen, ob die Produkte aus der Region stammen. Hilft das den Käufern?

Diese Idee hat grundsätzlich zwei Seiten. Auf der einen Seite wissen wir aus Studien, dass die Verbraucher und Verbraucherinnen sich mehr Transparenz wünschen, auch über die Herkunft der Lebensmittel. Wenn man aber nur die Herkunft transparent kennzeichnet und zum Beispiel nicht Tierschutz oder Klimaschutz, dann kann es sehr schnell um das Thema Protektionismus gehen.

Protektionistisch wäre, deutsche Produkte ausschließlich deshalb zu bevorzugen, weil sie aus Deutschland kommen – obwohl sie vielleicht gar nicht besser sind. Vor allem bei der Umweltfreundlichkeit spielt das eine Rolle. Denn nur, weil etwas aus der Nähe kommt, ist es nicht zwangsläufig besser.

Was können wir als Verbraucher tun?

Wenn man die Landwirtschaft unterstützen und umweltfreundlich handeln will, sollte man auf eine Kombination aus regional und saisonal setzen. Also wenn in der Region gerade etwas geerntet wird, wie im Mai zum Beispiel Erdbeeren, ist das super, wenn man sie kauft. Aber im Winter Tomaten aus Deutschland zu kaufen ist zum Beispiel keine gute Idee. Denn sie wachsen mit viel Stromverbrauch in Gewächshäusern. Daher wäre es dann besser, Tomaten zu kaufen, die in Südeuropa im Freien angebaut wurden.

In Deutschland gibt es über 200 Siegel, die zeigen sollen, wie regional, nachhaltig oder umweltfreundlich ein Produkt ist. Manche davon sind verlässlich, andere nicht. Deshalb fordert zum Beispiel der wissenschaftliche Beirat für Agrar- und Gesundheitspolitik, bei dem ich Mitglied bin, dass es nur einige wenige klare, staatliche Label geben sollte.

Mehr zu Prof. Dr. Achim Spiller

Prof. Dr. Achim Spiller ist seit 2000 Professor für „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Georg-August-Universität Göttingen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Konsumentenverhalten, Nachhaltigkeitsmanagement, Animal Welfare und Supply Chain Management im Agribusiness. Achim Spiller ist ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.

(lh)

Mitmischen-Autorin

Laura Heyer

hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.

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