Seekuh Tonnenweise Müll abgrasen
Marlon Jungjohann
Sie ist zwar nur ein erster Vorläufer, aber sie hat es schon weit gebracht: Bis nach Hong Kong ist das Schiff SeeKuh schon zum Müllsammeln gefahren. Jetzt sollen nach ihrem Vorbild weitere Schiffe entstehen.
See-Kuh grast Müllwiesen ab
Gemächlich und ohne Eile zieht die See-Kuh ihre Runden durch die Bucht vor Hong Kong. Es ist Februar 2018, gerade erst ist sie nach ihrer Reise um die Welt dort angekommen. Nun kann sie grasen. Zwei Jahre ist sie alt, ihr grauer Körper misst zwölf Meter. Eine Augenweide ist sie nicht, aber sie vollbringt, wozu sie geschaffen ist: Wasser von Plastik befreien. Kein großer Meeressäuger kreuzt hier an der südchinesischen Küste, nein, die See-Kuh ist ein Schiff.
Die Gemeinsamkeiten mit dem niedlichen Tier enden auch schon bei seiner Farbe und der gemächlichen Fortbewegung in Schrittgeschwindigkeit. Als Katamaran, also als ein Boot mit zwei verbundenen Schwimmkörpern, liegt die See-Kuh zehn Meter breit auf dem Wasser. Zwischen ihren Rümpfen sind an Metallstangen Netze gespannt, die bis zu zwei Meter unter die Oberfläche reichen. Sie fangen alle Plastikteile mit mehr als 2,5 Zentimeter Durchmesser auf – bis zu zwei Tonnen pro Fahrt kann sie darin sammeln.
Die See-Kuh ist das Flaggschiff der "Maritimen Müllabfuhr" der deutschen Naturschutzorganisation One Earth – One Ocean (OEOO). Sie will die Meere zumindest teilweise von den Millionen Tonnen Plastikmüll befreien.
Hong Kong als Trainingslager
"Das Wasser in Südostasien ist ganz anders belastet als unsere Ostsee", sagt Dr. Claudia Klein, Journalistin und Sprecherin von OEOO, "da kann man mit der See-Kuh den Müll richtig abgrasen". Im Mittelpunkt einer insgesamt neunmonatigen Aktion stand jedoch nicht allein die Befreiung des Meeres von Plastik. Die See-Kuh ist ein Prototyp. Dass das Müllfischen funktioniert, dass sie auseinandergebaut und in Hochseecontainern an ihren Einsatzort transportiert werden kann, das sollte in Hong Kong, wo das Meer eben viel stärker verschmutzt ist, unter Beweis gestellt werden.
"Ein jeder muss jetzt aufstehen"
OEOO ist, verglichen mit anderen Umweltorganisationen, noch ein Newcomer. Es war 2011, da wurde der Münchner IT-Unternehmer und Hobby-Segler Günther Bonin es leid, sein Boot durch Massen an Plastik zu navigieren. Er hängte sein Geschäft an den Nagel, nahm Kontakt zu Experten auf und gründete schließlich den Verein.
Sie möchte eine "Maritime Müllabfuhr" sein, so das Selbstverständnis der Umweltorganisation. Das Ziel ist groß: Ein Konzept entwickeln, um die Meere der Erde von Plastik, Öl und anderen Schadstoffen zu befreien.
"Wir sorgen uns um unsere Umwelt", erklärt Claudia Klein. "Bei One Earth – One Ocean eint uns alle dieses Gefühl, dass es so nicht weitergehen kann und jeder jetzt aufstehen muss". Aus diesem Grund verlassen sich die Mitglieder nicht nur auf den See-Kuh-Prototyp. Der liegt mittlerweile wieder in Kiel und soll ab Frühjahr 2019 für Aufklärungsevents und Müllsammelaktionen genutzt werden.
Hamstern in Kambodscha
Das Plastik, das im Meer landet, kommt zu 80 Prozent vom Land, also über Flüsse. Hierfür hat OEOO vier See-Hamster gebaut, nicht viel größer als Schlauchboote und ebenfalls Katamarane. Weil sie so kompakt und leicht zu steuern sind, sammeln sie das Plastik aus Binnengewässern. Ein See-Hamster in Bayern bekommt sogar regelmäßig Aufträge und reinigt Seen und Flüsse.
Besonders stolz aber ist der Verein auf seinen See-Hamster in Kambodscha. Wenn dort die Regenzeit einsetzt, werden Plastikflaschen, Tüten und Kleinteile in die Flüsse gespült. Mit dem See-Hamster können die Müllsammlerfamilien auch das Plastik in der Ufervegetation und den Flüssen erreichen, sammeln und an Recyclingfirmen verkaufen.
Die Spitze des Müllbergs
Dinge, die im Wasser enden, teilen eine Eigenschaft: über kurz oder lang sinken sie auf den Grund. Es gibt Schätzungen, dass 99 Prozent des Mülls im Meer schon nicht mehr an der Oberfläche schwimmen. Das Plastik sinkt und wird kleiner - zu Mikroplastik. Es gibt bisher keine Netzkonstruktion, die Mikroplastik einfach einsammeln kann. Claudia Klein und ihren Mitstreitern ist das klar: "Das löst eine große Hilflosigkeit aus, denn wir können nur die Spitze des Eisberges abbrechen", sagt sie. Aber: "Das Zeug, das jetzt oben schwimmt, müssen wir rausfischen, bevor das auch zu Mikroplastik wird".
Um wenigstens für alle das Ausmaß der Plastikverschmutzung sichtbar zu machen, hat OEOO die Microplastic Pollution Map erstellt. Verschiedene Reedereien und Schiffsbesatzungen messen die Mikroplastikbelastung auf ihren Routen um die ganze Welt und leiten die Ergebnisse an das OEOO-Labor in Kiel weiter. Diese Daten sind dann Grundlage für die Weltkarte.
Der See-Elefant recycelt sofort
OEOO hat Visionen. Das signalisiert Claudia Klein klar: "Wir träumen von einem großen Stückgutfrachter, dem See-Elefanten. Der soll eine mobile Recyclingstation auf dem Meer sein". Da trifft es sich gut, dass unter den rund 400 Mitgliedern des Vereins Schiffbauingenieure und Abfallexperten sind. Das Prinzip hinter dem See-Elefanten klingt simpel: Viele kleine Müllsammelboote – Seekühe – bringen auf hoher See Plastik zum Frachter, der es aufnimmt und sortiert. Unbrauchbares Plastik wird in Wärme umgewandelt, recyclebares Material gepresst und mittelfristig sogar zu Öl verarbeitet, das andere Schiffe tanken können.
Rund zwölf Millionen Euro soll der See-Elefant kosten. Seit 2018 sitzt OEOO an seiner Entwicklung, bis zur Fertigstellung ist eben die See-Kuh der größte Säuger unter ihrer Schiffsflotte.
Marlon Jungjohann
Marlon Jungjohann
studiert Englisch und Geschichte