Abgeordnete zur Pandemie „Eine ausgebremste Generation“
Laura Heyer
"Wir sollten alles daransetzen, Kindern und Jugendlichen ihren normalen Schulalltag zurückzugeben", sagt Bettina Wiesmann. Die CDU-Politikerin über Kritik aus der Opposition und verpasste Klassenreisen.
Frau Wiesmann, Sie sind selbst Mutter von vier Kindern. Wie erleben Sie die Corona-Krise als Familie?
Meine zwei jüngeren Kinder sind zu Hause, meine zwei älteren Töchter leben nicht mehr dauernd bei uns in Frankfurt am Main. Da wir glücklicherweise ein Haus mit Garten und funktionierendes WLAN haben, konnten wir uns ganz gut einrichten. Aber auch wir haben die Schattenseiten der Krise zu spüren bekommen: Eine Tante von mir ist gestorben, und auch eine meiner Töchter ist sehr unglücklich, dass sie seit vielen Monaten nicht mehr in die Schule gehen und ihre Freunde praktisch nicht mehr treffen darf.
Nicht zur Schule gehen, kaum Freunde treffen, keine Hobbys ausüben – laut einer aktuellen Studie zeigt mittlerweile jedes dritte Kind psychische Auffälligkeiten als Folge des Lockdown. Was kann man gegen diese Entwicklung tun?
Ich habe das Gefühl, dass Kinder und Jugendliche sehr verantwortungsvoll mit der Krise umgehen. Und auch Eltern tun viel, den Lockdown aufzufangen und zum Beispiel wieder mehr Dinge zusammen mit ihren Kindern zu unternehmen. Aber Corona und die Schulschließungen dauern nun schon sehr lange und erschöpfen die Fantasie, das soziale Miteinander und eben auch Familien. Zudem haben Eltern ja auch noch andere Verpflichtungen neben der Familie, denen sie – zum Teil im Homeoffice – gerecht werden müssen.
Jenseits dieser individuellen Möglichkeiten muss daher die Politik handeln und versuchen, Kitas und Schulen offenzuhalten. Mein Wunsch ist, dass alle den Fokus darauf legen, dass Schulen und Kitas so bald wie möglich wieder für alle öffnen. Das lässt sich erreichen mit Masken, Abstandsregeln, Luftfiltern und vor allem aktuell mit den Selbsttests. Wir sollten alles daransetzen, Kindern und Jugendlichen ihren normalen Schulalltag zurückzugeben. Denn wenn zumindest dieser Teil ihres Lebens einigermaßen normal verläuft, würden sich die anderen Einschränkungen auch nicht mehr so deutlich in ihrem privaten Umfeld auswirken und die Familien stark entlastet sein.
40 Prozent der Kinder und Jugendlichen gaben in der Studie an, dass sich ihr Verhältnis zu Freunden und zur Familie verschlechtert hat. Manche Beobachter sprechen gar von einer „verlorenen Generation“. Wie sehen Sie das?
Verloren ist ein sehr großes Wort. Die Bereitschaft, Einschränkungen hinzunehmen, war und ist sehr groß. Aber wir haben es schon mit einer ausgebremsten Generation zu tun. So hat es auch Bundepräsident Steinmeier in einer seiner Rede gesagt. Vieles, das sie verpasst haben, wie Klassenreisen oder Abschlussfahrten oder ein Auslandsjahr, kann nicht ohne Weiteres aufgeholt werden.
Vor allem Kinder aus sozial schwachen Familien leiden laut den Forschern unter der aktuellen Situation. Wie kann man die Familien konkret unterstützen?
Von politischer Seite ist dort schon viel geschehen, zum Beispiel durch verstärkte Familienleistungen. Wir haben den Kinderzuschlag flexibilisiert und erhöht, um Familien finanziell zu unterstützen, es gab zweimal einen Kinderbonus, die Jugendhilfe wurde wieder geöffnet. Aber die besonders schwachen Familien sind eben auch darauf besonders angewiesen, dass die Schulen mit ihrem geregelten Alltag und ihren Unterstützungsmöglichkeiten für diese Kinder, die es schwer haben, wieder öffnen.
Die Grünen fordern in einem Antrag einen „Bildungsschutzschirm für Kinder und Jugendliche“. Die Bundesregierung soll mit Tests und Schutzmitteln wie Luftfiltern das Lernen in der Schule sicher machen. Was halten sie von der Idee?
Ich finde den Begriff Schutz mittlerweile etwas abgenutzt; wir schützen uns und alle anderen ja täglich. Außerdem ist vieles, das die Grünen fordern, schon umgesetzt worden. Zum Beispiel hat der Bund die Einkaufsmacht an sich gezogen, um Masken und Tests zu besorgen. Die Zielrichtung finde ich absolut berechtigt. Alle Beteiligten, auch die Länder und ihre Regierungen, sind gefordert, noch mehr zu tun.
Die FDP fordert „zusätzliches psychologisches und pädagogisches Personal“ und wirft der Regierung vor, die Gesundheit unserer Kinder aufs Spiel zu setzen. Was sagen Sie dazu?
Eine Oppositionsfraktion muss immer Kritik üben – aber diese Formulierung finde ich doch sehr kritisch. Es setzt in der aktuellen Situation niemand einfach so die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aufs Spiel. Wir müssen ständig eine Abwägung treffen zwischen der Eindämmung der Pandemie und der Lage der Kinder und Jugendlichen und all unsere Energien bündeln, damit nicht diese junge Generation den Preis für die Folgen der Pandemie zahlt.
Über Bettina Wiesmann (CDU/CSU)
Die 54-Jährige ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Die CDU-Politikerin hat Politikwissenschaften studiert und als Unternehmensberaterin gearbeitet. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und in der Kinderkommission. Mehr über Bettina Wiesmann erfahrt in ihrem Profil auf bundestag.de.
(lh)
Laura Heyer
hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.