Paula Piechotta (Grüne) „Wir sind das gallische Dorf Sachsens“
Nura El Maghraby
Leipzig sei das gallische Dorf Sachsens, sagt Paula Piechotta (Bündnis 90/Die Grünen). Bei einem Eiskaffee erklärt sie, warum Leipzig anders ist als der Rest des Bundeslandes und wie sie zu den Grünen kam.
Ich treffe sie heute in der Leipziger Innenstadt. Das Wetter ist gut, um uns herum herrscht reges Treiben. Das Café, in das wir uns setzen, ist jedoch ruhig. Frau Piechotta hat es ausgesucht.
Als ich frage, welches ihr Lieblingsort auf der Welt ist, antwortet sie: „Der ist natürlich in meinem Wahlkreis. Der Ringlok-Schuppen.“Der Ringlok-Schuppen ist ein Stückchen Land im Süden von Leipzig, eine Industrieruine. Dort kann man auf dem Dach eines verlassenen Gebäudes sitzen. Graffitis und graue Weitläufigkeit prägen den Ort, der für Paula Piechotta ein so wichtiger Platz ist. „Vielleicht ein Sinnbild für die politischen Verhältnisse Sachsens?“, frage ich. „Ganz im Gegenteil“, sagt Piechotta entschieden, denn Leipzig ticke anders als der Freistaat Sachsen.
Über Listenplatz in den Bundestag
Paula Piechotta (36) zog bei der letzten Bundestagswahl über einen Listenplatz in den Bundestag ein. Ich empfinde sie als freundlich und wohlüberlegt. Paula Piechotta hat immer sofort eine Antwort parat. Mir fällt auf, dass sie bei Fragen rund um Ostdeutschland die Stirn runzelt und fast ein bisschen defensiv wirkt. Sie ist jederzeit bereit, gegenzusteuern und das tut sie auf eine angenehme Art, eine Art, bei der man sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlt.
Ich finde sie etwas reserviert und habe das Gefühl, dass über belanglose Dinge in ihrem Leben nicht viel geredet wird, jedenfalls nicht im Moment. Jede Frage hat einen Wert, jede Antwort ist umso wertvoller.
Abends geht’s nach Hause
Das Leben der Bundestagsabgeordneten ist anstrengend. Den Stress sieht man Paula Piechotta aber nicht an, man spürt ihn allenfalls und sie spricht ihn auch aus: „Wir haben viele Abendveranstaltungen und danach gehen viele Kollegen allein in ihre Berliner Wohnung. Der Stress, die Einsamkeit, der Druck – das hat den einen oder anderen Kollegen schon in den Alkoholismus geführt“, erzählt sie. Namen nennt die Grünen-Abgeordnete nicht.
Sie verbringe ihre Abende lieber nicht allein und fahre stattdessen immer wieder zurück nach Leipzig, nach Hause. „Mit dem Stress gehe ich manchmal besser, manchmal schlechter um“, berichtet sie.
Wie eng getaktet ihr Alltag ist, macht sich auch bei der Wahl unseres Treffpunktes bemerkbar. Wir trinken unseren Kaffee etwa 20 Meter entfernt von dem Ort, an dem ihr letzter Termin stattgefunden hat, ein Termin mit einem Leipziger Energie-Start-up. Zeit, um viel durch die Gegend zu fahren, hat die Abgeordnete einfach nicht.
„Leipzig, das gallische Dorf“
Klima, Gesundheit, Mobilität und Ostdeutschland – das sind Piechottas politische Schwerpunkte. Ich finde diese Themen ganz schön herausfordernd, besonders in Sachsen. Immerhin ist die AfD hier stark und Pegida-Demos fanden in Sachsen ihren Anfang. Keine guten Voraussetzungen, um beim Thema Klimaschutz auf offene Ohren zu treffen, denke ich. Piechotta hält die Themen aber für gar nicht so kontrovers. „Leipzig ist anders“, sagt sie erneut. In unserem Gespräch wiederholt sie das einige Male. „In Sachsen ist Leipzig so ein bisschen das gallische Dorf“, fährt sie fort.
Politik „über den Osten hinweg“
Wir reden auch über die Grünen und ihre Rolle als „Wessi-Partei“ in Ostdeutschland. Ich spreche dazu einen Artikel mit dem Titel „Warum die Grünen immer noch eine ‚Wessi-Partei‘ sind“ an. Gefunden habe ich den Artikel auf Piechottas Webseite. Sie selbst sagt, die eigene Partei habe lange über den Osten hinweg Politik gemacht. Ein Beispiel dafür sei der Kohleausstieg 2030 statt 2038, der in Sachsen anders erklärt und vorbereitet werden müsse. Es gehöre zu den Aufgabe der Grünen, in Ostdeutschland auch passgenau auf die Region zugeschnittene Energiepolitik zu machen, die gleichzeitig mit den grünen Werten im Einklang stehe, findet Piechotta.
Der schlechte Ruf
Außerdem kommen wir auf unsere ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel zu sprechen, denn ich frage mich, welchen – möglicherweise positiven – Einfluss Deutschlands ehemalige Bundeskanzlerin aus Frau Piechottas Sicht auf ostdeutsche Politik gehabt haben könnte. Immerhin ist Angela Merkel auch in Ostdeutschland groß geworden.
Angela Merkel habe ihre Herkunft wie viele Ostdeutsche kaschiert, um erfolgreich zu sein, kritisiert Piechotta entgegen meinen Erwartungen. Sie sei damit ein typisches Beispiel für ostdeutsche Politikerinnen und Politiker in der Bundespolitik. Das liege daran, dass der Osten einen schlechten Ruf habe. „Frau Merkel hat erst angefangen, über ihre ostdeutsche Herkunft zu sprechen, als sie nicht mehr zur Wiederwahl angetreten ist“, sagt sie. Ein Phänomen, das viele Politikerinnen und Politiker betreffe. Paula Piechotta meint jedoch, endlich eine Wende erkennen zu können: Langsam werde angefangen, offen über die ostdeutschen Wurzeln zu sprechen.
Als ich frage, wie Piechotta zu den Grünen kam, erklärt sie trocken, sie habe sich politisch engagieren und etwas verändern wollen. „Da die SPD damals immer noch für die Kohle war, waren die Grünen schlichtweg weniger schlimm.“ So kam es zu Beitritt.
Angst vor der Rechten
In ihrem Wahlkreis, dem Wahlkreis 153: Leipzig II, ist die Abgeordnete sehr aktiv und erkennt die Herausforderungen für Leipzig, gerade auch für Jugendliche. Leipzig sei eine Stadt mit viel Zuzug, wie auch Berlin. Sie sei hipp, sie sei angesagt. Hier lebten viele Studierende und Young Professionals. Bezahlbarer Wohnraum ist auch in Leipzig knapp.
In der Stadt leben mehr als 620.000 Menschen. Piechottas Wahlkreis umfasst die Stadtbezirke Mitte, Süd, Südost, Südwest und West. Dort leben mehr als 230.000 Wahlberechtigte. Bei der Bundestagswahl 2021 gewann der Linken-Abgeordnete Sören Pellmann den Wahlkreis, Piechotta landete auf dem zweiten Platz.
Leipzig als Gegenpol
In Leipzig gebe es zwar starke linke Kräfte, aber trotzdem sei auch hier die Sorge groß: man fürchte sich vor „einer sehr starken, sehr rechtsextremen Partei, die derzeit in den Umfragen einen Zugewinn erzielt“, sagt Piechotta.
Im Osten Sachsens gebe es einen deutlichen Männerüberschuss, erklärt sie. Das komme daher, dass Frauen mit guter Ausbildung in den vergangenen Jahrzehnten den Osten verließen, um sich in urbanen wirtschaftlich stärkeren Gebieten weiterentwickeln zu können. Und das führe wiederum zu Frustration und Isolation derjenigen, die zurückblieben, – und damit auch zu einer starken Rechten, meint Piechotta.
Sie selbst ist in Gera, Thüringen, geboren. Nach der Schule studierte sie Medizin in Jena, bevor sie nach Leipzig zog. Ihren Wahlkreis – und damit auch die Stadt Leipzig – sieht sie als Gegenpol zu dem Sachsen, das unter der Abwanderung und wirtschaftlicher Schwäche leidet.
„Medien tragen Verantwortung“
„Leipzig ist eine tolle Stadt, sie verbindet Ostdeutschland mit dem Rest Deutschlands dadurch, dass so viele Menschen aus anderen Bundesländern hierherziehen.“ Sie wünsche sich, dass über die Sachsen nicht nur berichtet werde, wenn sie die gängigen Klischees bestätigten, fügt sie hinzu. „Und da tragen die Medien auch eine Verantwortung.“ Und mit dieser Aussage ist unser Treffen beendet und Paula Piechotta eilt davon – vermutlich zu ihrem nächsten Termin.
Paula Piechotta
Paula Piechotta wurde 1986 in Gera geboren. Nach der Schule studierte sie in Jena Humanmedizin. 2015 promovierte sie und begann 2020 ihre Facharztausbildung in der Radiologie am Universitätsklinikum Heidelberg und Leipzig. Diese schloss sie 2020 ab und arbeitete im Anschluss als Fachärztin für Radiologie am Universitätsklinikum Leipzig. Seit 2010 ist Piechotta Mitglied beim Bündnis 90/Die Grünen und seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestags. Sie ist Obfrau im Rechnungsprüfungsausschuss.
Mehr Informationen findet ihr auf ihrem Profil auf bundestag.de
Nura El Maghraby
ist 24 Jahre alt und gebürtige Berlinerin. Sie studiert Jura an der Freien Universität Berlin und macht in ihrer Freizeit gerne viel Sport und liebt gutes Essen. Vor allem reist sie sehr gerne und so viel wie sie kann.