Katrin Helling-Plahr (FDP) „Man muss unabhängig bleiben“
Julia Karnahl
Mit zwölf Jahren entdeckte Katrin Helling-Plahr ihre Begeisterung für Politik. Dass sie in den Bundestag einziehen würde, damit rechnete sie aber nie. Und doch ist sie inzwischen seit sechs Jahren Abgeordnete. Sie brennt für medizinische und rechtliche Themen.
Eigentlich war ein persönliches Treffen mit Katrin Helling-Plahr geplant. Da ich dann leider doch nicht nach Hagen fahren kann, ruft die Abgeordnete mich stattdessen an – und erzählt mir, wo unser Gespräch hätte stattfinden sollen: „Wir hätten uns bei mir um die Ecke getroffen und wären zur Fernuni Hagen gelaufen. Ich finde nämlich, dass immer noch nicht genug Menschen Hagen mit dieser Fernuni verbinden“, erklärt sie.
In Hagen gibt es die einzige staatliche Fernuniversität im deutschen Sprachraum. Und die hat, wie Katrin Helling-Plahr zu meiner Überraschung berichtet, einen richtigen Campus: „Es gibt eine Mensa, eine Bibliothek, sogar einen Kindergarten und einen Spielplatz – nur eben nie viele Studenten vor Ort.“
Als Kind schon Anwalt gespielt
Helling-Plahr selbst hat nicht an der Fernuni studiert, sondern in Münster: Rechtswissenschaften. Sie sei familiär vorgeprägt, sagt sie. Beide Eltern sind Anwälte. „Meine Mutter spielt auch heute noch mit meinen Söhnen, die vier und sechs sind, nicht Kaufmannsladen oder Polizei, sondern Anwalt.“
Auf der Studienwunschliste stand zeitweilig auch Innenarchitektur und Volkswirtschaftslehre, aber am Ende entschied sich Helling-Plahr doch für Jura. Nach dem Studium kehrte sie in ihre Heimatstadt Hagen zurück und arbeitete dort als Anwältin. Berufsbegleitend machte sie noch einen Master in Medizinrecht. „Patienten zu helfen, die im Gesundheitssystem unter die Räder gekommen sind, das hat mir viel Spaß gemacht.“
Heute kümmert sie sich auf andere Art um das Gesundheitssystem. Denn seit 2017 kümmert sich Helling-Plahr, die sich im Ennepe-Ruhr-Kreis mit seinen 324.296 Einwohnern zur Wahl gestellt hatte, im Bundestag schwerpunktmäßig um die Themen Recht und Medizin.
„Krasse Industriegeschichte“
Ihr Wahlkreis sei sehr vielfältig, erzählt Helling-Plahr: von klassischen Ruhrpott-Städten wie Hagen und Gevelsberg über „fast bäuerliche Dörfer“ wie Breckerfeld bis hin zu kleineren Städten wie Ennepetal oder Schwelm mit stark spezialisierter Industrie, hauptsächlich Metallverarbeitung und Automobilzulieferung.
Ihre Heimatstadt Hagen habe „eine krasse Industriegeschichte und auch heute noch viel Produktion vor Ort“. Auf der anderen Seite gebe es viel Natur: die Flussläufe und die angrenzenden Seen, die gerade stark touristisch ausgebaut würden. Und auch die Gesellschaft sei sehr vielfältig. „Wir haben eine hohe Zuwanderungsquote. Hier her kommen vor allem auch viele Menschen aus Südosteuropa, etwa aus Rumänien und Bulgarien.“ Das stelle die Stadtgesellschaft mitunter vor Herausforderungen, so Helling-Plahr.
Sommer im Wahlkreis
Seit sie aus dem Familienurlaub in Spanien zurück ist, ist Katrin Helling-Plahr viel im Wahlkreis unterwegs, um sich anzuhören, was die Menschen hier beschäftigt. Sie habe sich etwa mit vielen mittelständischen Unternehmen getroffen, die sich wegen der wirtschaftlichen Situation sorgten, und mit dem Gastronomie-Verband Dehoga, den der Fachkräftemangel umtreibe. Demnächst stehe noch ein Treffen mit allen Bürgermeistern des Ennepe-Ruhr-Kreises an.
Weg in die Politik: Mit zwölf für die FDP entschieden
Politisch war Katrin Helling-Plahr nicht vorgeprägt. Die Eltern waren in keiner Partei – wohl aber ein Freund des Vaters, der die Eltern zu einer FDP-Wahlkampfveranstaltung einlud. Damalige FDP-Größen wie Hans-Dietrich Genscher, Guido Westerwelle und Jürgen Möllemann waren dort. Und die zwölfjährige Tochter war beeindruckt: „Es ging da unter anderem um Schulpolitik, um talentgerechte, individuelle Förderung. Das fand ich sehr spannend.“
Von da an interessierte sie sich für Politik, begann, politische Magazine zu lesen. Und war meistens der Meinung, dass die FDP die richtigen Positionen vertrete. In Hagen gab es zu der Zeit keine Gruppe der Jungen Liberalen, deshalb trat Helling-Plahr der Jugendorganisation der FDP dann erst während des Studiums bei. Zurück in Hagen, gründete sie dort eine Ortsgruppe, die es bis heute gibt.
„Ich bin nie davon ausgegangen, dass ich gewählt werden würde“
2005 trat Katrin Helling-Plahr in die FDP ein. 2009 kandidierte sie zum ersten Mal für den Bundestag. 2013 wieder. Und 2017 schließlich mit Erfolg. Ich frage sie, ob es sie gar nicht demotiviert hätte, zweimal erfolglos den Wahlkampf zu durchlaufen. Sie scheint überrascht: „Nein, gar nicht. Ich bin ja nie davon ausgegangen, dass ich gewählt werden würde. Es hat mir einfach Spaß gemacht, im Wahlkampf liberale Inhalte zu kommunizieren.“
Auch 2017 rechnete sie nicht mit einem Wahlsieg. Doch die FDP bekam in ihrem Wahlkreis 12,6 Prozent der Zweitstimmen und Katrin Helling-Plahr zog über die Landesliste in den Bundestag ein, mit damals 31 Jahren. „Das war sehr überraschend“, erinnert sie sich. Von 2013 bis 2017 war die FDP nicht im Bundestag vertreten. Das gute Ergebnis 2017 habe sie natürlich „wahnsinnig gefreut“, erzählt Helling-Plahr. Vor dem neuen Amt habe sie aber auch einen „Höllenrespekt“ gehabt.
Ihr erster Sohn war damals gerade neun Monate alt. Sie musste sich also familiär komplett neu organisieren. Das Baby fuhr zu allen Sitzungswochen mit nach Berlin. „Ich nehme die Kinder bis heute mit in die Ausschuss-Sitzungen – und würde mir wünschen, dass das mehr Abgeordnete täten, damit es selbstverständlicher wird.“
Herzensthemen: Familie, Gesundheit, Recht
Den Wechsel zwischen der Heimat und Berlin mag Katrin Helling-Plahr. Und auch die ganz unterschiedlichen Arbeitsweisen. Während sie im Wahlkreis für alle Themen, die die Menschen beschäftigen, Ansprechpartnerin ist, ist sie im Bundestag Fachpolitikerin. Sie sitzt im Rechtsausschuss und ist rechtspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Stellvertretendes Mitglied ist sie außerdem im Gesundheitsausschuss, im Familienausschuss und im Wahlausschuss. Und das spiegelt gut, welche Themen ihr besonders am Herzen liegen.
Neben der Spezialisierung auf Medizinrecht hat Helling-Plahr auch einen Fachanwaltslehrgang in Familienrecht gemacht und als Anwältin in diesem Bereich gearbeitet. Ein modernes Familienrecht ist ihr wichtig: „Alte Rollenbilder sind leider noch sehr verhaftet: Die Frau bleibt zuhause und kümmert sich um alles, während der Mann arbeiten geht. Das will ich ein bisschen aufbrechen.“
Im Rechtsbereich sei es ihr außerdem wichtig, die Digitalisierung der Justiz voranzutreiben: „Da hängen wir zehn bis 15 Jahre hinterher.“ Aber zum Glück passiere da gerade sehr viel. Darüber hinaus interessiere sie sich besonders für Patientenrechte und medizinethische Fragen.
„Schreiende Ungerechtigkeit“
Auch das Thema Suizidhilfe beschäftigt sie seit langer Zeit. „Als ich 2017 in den Bundestag gewählt wurde, gab es diese völlig unhaltbare Situation“, sagt Helling-Plahr. Das Bundesverfassungsgericht hatte geurteilt, dass schwerkranke Menschen das Recht haben, ein Mittel zur Selbsttötung verschrieben zu bekommen. Per „Nichtanwendungserlass“ verhinderte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aber die Umsetzung dieses Urteils. Für Helling-Plahr eine „schreiende Ungerechtigkeit“: „Ich fand es einfach so unfassbar schrecklich, dass wir dieser Gruppe von Menschen in einer absoluten Notlage dieses Recht, das höchstrichterlich anerkannt war, nicht zugestanden haben. Dass wir die so im Regen haben stehen lassen.“
Seitdem habe das Thema sie nicht mehr losgelassen. Schließlich initiierte sie mit einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Abgeordneten einen Gesetzentwurf, der das Recht auf selbstbestimmtes Sterben garantieren und die Hilfe zur Selbsttötung straffrei möglich machen sollte. Er fand im Bundestag allerdings keine Mehrheit.
Aufgeben wird Katrin Helling-Plahr deswegen nicht. „Es vergeht kein Tag, an dem mir nicht ein Betroffener schreibt: Ich kann nicht mehr, ich habe nur noch Schmerzen, was kann ich tun?“
Über den Sommer habe sie „alle Kollegen der demokratischen Parteien“ angeschrieben, um zu erfahren, was ihnen an dem Gesetzentwurf gefehlt habe und was sie anders gemacht hätten. Die Antworten will sie nach der parlamentarischen Sommerpause auswerten und dann idealerweise einen neuen Entwurf erarbeiten, der von einer breiteren Mehrheit mitgetragen werden kann.
Themen, die sonst keiner macht
„Ich habe immer gerne Themen, die sonst keiner macht“, erklärt Helling-Plahr. Themen, bei denen sie das Gefühl habe, dass sie als Person sie voranbringen könne. Auch die Sorgen von Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch treiben Katrin Helling-Plahr um. Sie würde gerne die Eizellenspende legalisieren und die „altruistische Leihmutterschaft“ ermöglichen. Eine Eizellspende kann beispielsweise für Frauen wichtig sein, die nach einer Krebsbehandlung keine eigenen fruchtbaren Eizellen mehr haben. Bei einer Leihmutterschaft trägt eine Frau ein Kind aus und überlässt das Kind nach der Geburt einer anderen Person oder einem Paar. Meist geschieht das gegen Geld, bei einer altruistischen Leihmutterschaft bekäme die austragende Frau kein Geld.
Von der Opposition in die Koalition
In ihrer ersten Legislaturperiode war Helling-Plahr in der Opposition. Damals gab es eine Große Koalition aus Union und SPD. Seit 2021 gehört die FDP der Ampel-Koalition an – eine völlig neue Rolle. „Ich durfte damals an den Koalitionsverhandlungen teilnehmen und die Themen, die ich bis dahin versuchsweise in der Opposition bespielt habe, groß machen und einbringen. Das hat auch ganz gut funktioniert“, freut sich Helling-Plahr.
Zwar seien ihre Themen die gleichen geblieben, der Arbeitsalltag sei aber ein völlig anderer, findet sie: „In der Koalition schreibt man weniger selbst, weil die Gesetzentwürfe in der Regel aus den Ministerien kommen und man keine Anfragen mehr stellt.“ Als Juristin finde sie es aber spannend, selbst Gesetzestexte zu schreiben. Unter anderem deshalb habe ihr die Arbeit am fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zur Sterbehilfe Freude gemacht, auch wenn sie sehr zeitintensiv gewesen sei.
„Andererseits wird die Verantwortung in der Koalition logischerweise größer“, resümiert die Abgeordnete. In der Opposition habe man natürlich auch Verantwortung, etwa dafür, die Regierung zu kontrollieren. „Aber jetzt hat man selbst Entscheidungsgewalt, das ist schon etwas anderes.“
„Wollte keinen Job, der nicht anstrengend ist“
Sie habe an beiden Rollen Spaß, erklärt die Abgeordnete. Natürlich gebe es manchmal lähmende Konflikte, in der Opposition genauso wie in der Koalition. „Und wenn etwas sehr lange dauert, mag ich das nicht.“ Aber das gehöre eben dazu. Ebenso wie der Stress: „Einen Job, der nicht anstrengend ist, hätte ich mir nie gewünscht oder vorstellen können.“
Sie sei sehr gerne Abgeordnete, sagt Katrin Helling-Plahr. Aber es sei ein Amt, das man auf Zeit bekomme. „Ich glaube, man ist schlecht beraten, wenn man sagt: Ich muss für immer Politik machen. Man muss unabhängig bleiben“. Entscheidungen müsse man immer aus verschiedenen Blickwinkeln abwägen und nicht nur unter dem Gesichtspunkt fällen, dass sie die eigene Position absichern.
Helling-Plahr rechnet fest damit, beruflich auch noch mal etwas anderes zu machen. „Aber im Moment bin ich sehr glücklich hier“, sagt sie zum Schluss unseres Gesprächs – und verabschiedet sich zum nächsten Termin. Sie trifft sich mit Krankenhausvertretern, die versuchen wollen, das medizinische Versorgungssystem im Ruhrgebiet zukunftsfest zu machen.
Katrin Helling-Plahr
Katrin Helling-Plahr wurde 1986 in Hagen geboren. Nach der Schule studierte sie Rechtswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster und Medizinrecht als Masterstudiengang in Düsseldorf. Helling-Plahr ist Fachanwältin für Familien- und Medizinrecht. Seit 2005 ist sie Mitglied in der FDP, 2017 ist sie erstmals in den Bundestag gewählt worden. Helling-Plahr ist Mitglied im Rechts- und Gesundheitsausschuss.
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