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Die Konstituierung des ersten Deutschen Bundestages Der Beginn der „Bonner Republik“

Jasmin Nimmrich

Gesucht: Hauptstadt auf Zeit. Vor dieser Herausforderung stand Deutschland im Jahr 1949. Der Zweite Weltkrieg war vorbei, Deutschland geteilt. Und für die Bundesrepublik Deutschland musste ein Ort gefunden werden, an dem Regierung und Parlament ihren Sitz haben sollten. Wie es dazu kam, dass der Deutsche Bundestag sich in Bonn einquartierte...

Schwarz-weiß Foto mit Blick in einen gefüllten Plenarsaal und auf das Rednerpult an der Front.

Der Plenarsaal des ersten Deutschen Bundestages in der ehemaligen Pädagogischen Akademie in Bonn. © picture alliance / dpa

Das Reichstagsgebäude in Berlin ist das Wahrzeichen des deutschen Parlamentarismus, doch das war nicht immer so. Vor Berlin tagte der Deutsche Bundestag in Bonn. Auf diese Aufgabe musste sich die Stadt am Rhein 1949 selbst erstmal vorbereiten: 

33 zu 29  

Die ehemalige Reichshauptstadt Berlin war aufgrund der gravierenden Zerstörung der Stadt durch den Zweiten Weltkrieg sowie des Viermächtestatus – der Verwaltung der Stadt durch die vier Siegermächte innerhalb ihrer designierten Zonen – als Sitz des ersten Deutschen Bundestages ungeeignet. Als Lösung für die sogenannte Hauptstadtfrage bewarben sich im November 1948 die zwei westdeutschen Städte Bonn und Frankfurt am Main. Im Januar 1949 warfen auch Stuttgart und Kassel ihren Hut in den Ring und die „Kommission zur Prüfung der Angaben der Städte Bonn, Frankfurt a.M., Kassel und Stuttgart betr. vorläufiger Sitz des Bundes“ wurde einberufen. Zwischen dem 3. und 9. Februar 1949 besichtigte die achtköpfige Kommission die Gegebenheiten der vier Bewerberstädte, um einen Bericht an den Parlamentarischen Rat weiterzureichen. 

Schwarz-weiß Bild auf dem sechs Männer in langen dunklen Mänteln vor einem langen Gebäude entlanglaufen. Fünf der Männer tragen einen Hut.

Der Frankfurter Stadtrat Fritz Frey (rechts) mit der Delegation des Parlamentarischen Rates vor der Pädagogischen Akademie in Frankfurt am Main am 8. Februar 1949. Die Delegation bereiste die Städte Kassel, Frankfurt und Stuttgart um zu prüfen, welche als Bundeshauptstadt in Frage kommen könnte. © picture-alliance / dpa

Nun lag also die Entscheidung beim Parlamentarischen Rat, der verfassunggebenden Versammlung. Dieser entschied sich aufgrund der starken Kriegszerstörungen innerhalb Kassels gegen die hessische Stadt. Auch Stuttgart schied aufgrund einer angespannten finanziellen Lage in der Stadtverwaltung aus dem Rennen aus. Mit 33 zu 29 Stimmen fiel dann am 10. Mai 1949 in einer geheimen Abstimmung die Wahl auf Bonn als vorläufigen Sitz der Bundesinstitutionen. Als einer der offiziellen Hauptgründe für die Entscheidung gegen Frankfurt galt zum einen der Büro- und Wohnraummangel im Stadtgebiet, der durch die Luftangriffe auf Frankfurt am Main während des Zweiten Weltkrieges verursacht worden war.

Zur endgültigen Klärung der sogenannten Hauptstadtfrage wurde am 3. November 1949 im ersten Deutschen Bundestag aufgrund eines Antrags der SPD-Fraktion erneut zwischen Bonn und Frankfurt am Main abgestimmt. Auch in diesem Votum unterlag die Stadt am Main mit 176 gegen 200 Stimmen (und drei Enthaltungen). Jedoch wurde in dieser Sitzung, und in dem ihr zugrunde liegenden Antrag der SPD-Fraktion, auch der provisorische Charakter Bonns betont: „Die leitenden Bundesorgane verlegen ihren Sitz in die Hauptstadt Deutschlands, Berlin, sobald allgemeine, freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen in ganz Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone durchgeführt sind.“

Von Bonn in die Bundesrepublik 

Als neues Zentrum der jungen Demokratie der Bundesrepublik lag viel Aufmerksamkeit auf Bonn. Um dieser gerecht zu werden, wurde ein eigener Sender für den Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) auf dem Venusberg im Süden der Stadt errichtet. Die Radiosendung „Die Woche im Parlament“ des NWDR sendete ab dem 7. September 1949 regelmäßig Ausschnitte aus den Debatten in die Bundesrepublik. Ab 1963 wurde aus den NWDR-Studios auch die Fernsehsendung „Be­richt aus Bon­n“ gesendet, die Zuschauerinnen und Zuschauer über die Bun­des­po­li­tik informierte. Ab 1979 durfte aus dem Plenarsaal des Bundestages auch in Farbe gesendet werden.

Live aus der Vergangenheit

Hier kannst du dir die Audiomitschnitte der ersten Wahlperiode des Deutschen Bundestages anhören.

Als neuer Sitz des Deutschen Bundestages musste Bonn, das 1949 knapp 100.000 Einwohner zählte, auch die entsprechenden Gegebenheiten vorbereiten, um den parlamentarischen Alltag zu stemmen. Umfangreichen Bauvorhaben stand jedoch der provisorische Charakter des neuen Parlaments- und Regierungssitzes im Weg – das Ziel war, nach einer Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz zu (re)etablieren. Aus Sorge davor, dass umfassende Neubauten Bonn als deutsche Hauptstadt zementieren würden, verhängte sich der Bund 1956 selbst einen Baustopp. Erst mit dem Bau der Mauer, der die angestrebte Wiedervereinigung von BRD und DDR in weite Ferne rückte, war das Bauen wieder gestattet.

Bonner Bauten

Eine der Wirkungsstätten des ersten Deutschen Bundestages, die nicht neu- sondern umgebaut werden musste, war die Pädagogische Akademie, in der schon der Parlamentarische Rat für die Beratungen über das Grundgesetz getagt hatte. Das ehemalige Hochschulgebäude für Lehrerbildung wurde, bereits bevor die Wahl zugunsten Bonns als Parlaments- und Regierungssitz ausfiel, aus- und umgebaut, nach den Plänen des Architekten Hans Schwippert. Außerdem wurden ein fünfgeschossiger Bau für den Bundesrat und ein dreigeschossiger Anbau für den Deutschen Bundestag ergänzt. Die ehemalige Turnhalle der Akademie wurde zum Plenarsaal umfunktioniert, der mit 1.000m² rund 340m² größer war als der ehemalige Plenarsaal im Reichstagsgebäude in Berlin. Am 5. Mai 1949 wurde das Richtfest gefeiert – pünktlich zur Entscheidung des Parlamentarischen Rates für Bonn als „vorläufigem Sitz der Bundesorgane“ fünf Tage später. 

Schwarz-weiß Foto mit Blick auf eine Baustelle in einem großen Raum mit erhöhte Sitzreihen und Tribüne.

Achtung Baustelle! Der Plenarsaal im neuen „Bundeshaus“ war noch am 18. August 1949, dem Tag dieses Fotos, kaum zu erkennen. © picture alliance / AP

Doch Platz war Mangelware in den Neu- und Umbauten des ersten Deutschen Bundestages. Rund 220 Räume mit einer Nutzfläche von knapp 12.000 m² standen der Bundestagsverwaltung und den Abgeordneten samt Büros zur Verfügung (das heutige Reichstagsgebäude in Berlin hat allein eine Gesamtfläche von 13.290 m²). Bei 402 Mitgliedern des ersten Deutschen Bundestages ergaben sich Büroräume, die nur knapp 11 m² groß waren. Deshalb wurden im Sommer 1949 provisorische Bürobaracken gegenüber dem Bundeshaus errichtet, um die akute Raumnot zu lösen. In den 50er Jahren machte man sich dann daran, das Bundeshaus bedarfsgerecht zu erweitern. So wurde 1953 unter anderem auch der Plenarsaal um sechs Meter zum Rhein hin verlängert. Denn der Deutsche Bundestag wuchs von 402 Abgeordneten, die aus der Bundestagswahl 1949 hervorgingen, 1953 auf 487 Abgeordnete an. Und auch das Interesse an dem Plenargeschehen war groß und die Zuschauertribünen im Plenarsaal mussten erweitert werden.

Schwarz-weiß Bild mit Blick von einer Pressetribüne auf einen vollbesetzten Plenarsaal.

Der Blick von der Pressetribüne des neuen Plenarsaals im Februar 1954. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) Rednerpult spricht zu einer Ergänzung des Grundgesetzes, die die Wehrhoheit der Bundesrepublik begründet. © picture-alliance / dpa

Am Mittwoch, den 7. September 1949, trat dann der erste Deutsche Bundestag in Bonn zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Um 16.05 Uhr erklang die Ouvertüre „Weihe des Hauses“ von Ludwig van Beethoven durch den Plenarsaal. Paul Löbe (SPD), der von 1920 bis 1932 das Amt des Reichstagspräsidenten innehatte und im ersten Deutschen Bundestag zum Alterspräsidenten ernannt wurde, eröffnete die Sitzung mit den Worten: „Meine Damen und Herren! Der Zufall hat es gefügt, daß ich als Alterspräsident vor Ihnen stehe als einer der Vertreter der alten deutschen Hauptstadt Berlin.”

Bonn heute 

Auch wenn der Bundestag mittlerweile wieder in Berlin tagt, ist Bonn heute weiterhin nicht aus der deutschen Demokratie wegzudenken. Mit dem Bonn/Berlin-Gesetz von 1994, das 1999 auch den Regierungsumzug mit sich brachte, blieben einige Ministerien der Stadt am Rhein treu – darunter das Bundesministerium der Verteidigung, das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Seither darf sich Bonn, bundesweit einmalig, als Bundesstadt bezeichnen. Trotz ihres provisorischen Charakters prägte die Zeit Bonns als Regierungssitz – die „Bonner Republik“ – das heutige politische System der Bundesrepublik maßgeblich.

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