#fwdstaerken „Sich freiwillig für andere einzusetzen, sollte kein Privileg sein“
Jasmin Nimmrich
Marie Beimen ist das Gesicht einer Petition, hinter der 100.512 Unterschriften und die Forderung nach besseren Bedingungen für Freiwilligendienstleistende stehen. Die 19-Jährige hat uns davon berichtet, wie es war, vor dem Petitionsausschuss zu sprechen und wie es nun mit #fwdstaerken weitergehen soll.
Im vergangenen Jahr habe ich ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) auf der Pflegestation des Marienkrankenhauses in Schwerte, Nordrhein-Westfalen, absolviert. Und ich kann diese Erfahrung eines Freiwilligendienstes wirklich jeder Person nur wärmstens empfehlen, denn ich habe nicht nur unglaublich viel gelernt, sondern auch so viele tolle Menschen getroffen. Den Freiwilligendienst bezeichne ich gerne als dreifachen Gewinn: für das Individuum, für die Einsatzstellen und auch für die Gesellschaft. Doch aktuell scheitert die Politik daran, die Erfahrungen der Freiwilligen so gut wie möglich zu gestalten. Teilweise wissen Freiwillige nicht, wie sie ihre Miete bezahlen sollen, oder die finanziellen Zugangsbarrieren zu einem Freiwilligendienst sind von Anfang an zu hoch. Sich freiwillig für andere einzusetzen, sollte kein Privileg sein.
Während meines Freiwilligendienstes hatte ich fünf Wochen Bildungsseminare, da ging es unter anderem um rein Fachliches wie die Pflege selbst, aber auch um sowas wie Persönlichkeitsentwicklung. Während dieser Seminare wurde ich als Seminarsprecherin gewählt, die zwischen den anderen Freiwilligen und den Seminarleitungen vermitteln soll. Im November wurde ich dann mit vier anderen Freiwilligen zur Bundessprecherin für das Land Nordrhein-Westfalen gewählt und dann war ich auf einmal ganz tief in der Welt der Freiwilligendienst-Leistenden und damit auch Ansprechperson für ihre Sorgen. Bei einer Berlin-Reise durften wir Bundessprecher den Bundestag besuchen und in Austausch mit Abgeordneten treten. Danach ließ uns der Gedanke nicht los, unsere Anliegen durch eine Petition vor das Parlament zu bringen und wirklich was zu verändern.
Wir fordern unter anderem ein existenzsicherndes Taschengeld für Freiwilligendienstleistende, das angelehnt an den BAföG-Höchstsatz dafür sorgt, dass ein Freiwilliges Jahr nicht mit Geldsorgen verbunden ist. Eine ähnliche Entlastung wäre auch die kostenlose Nutzung von Nah- und Fernverkehr für die Dauer des Freiwilligendienstes. Im Allgemeinen verdient der Freiwilligendienst mehr Wertschätzung, nicht nur finanzieller Art. Unsere Vorstellungen sind dahingehend eine mögliche Anrechnung des Dienstes auf das darauf folgende Studium oder die Ausbildung. So könnten die gemachten Erfahrungen ein Pflichtpraktikum ersetzen oder als doppeltes Wartesemester gezählt werden.
Im Kreis der Bundessprecher haben wir eine Kampagne gestartet. Im Kampagnenteam vertreten waren Menschen aus ganz verschiedenen Freiwilligendienst-Formaten wie dem Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ), dem Freiwilligen Sozialen Jahr und dem Bundesfreiwilligendienst selbst. Innerhalb des Teams gingen die Erwartungshaltungen an die Petition und die Kampagne dahinter auf jeden Fall auseinander. Ich war zu Beginn auf jeden Fall super optimistisch, auch aufgrund anderer Petitionen, die ich über Plattformen wie beispielsweise change.org habe wachsen sehen.
Leider nein, eher hat Ernüchterung um sich gegriffen. Denn um eine Petition vor den Petitionsausschuss zu bringen, müssen die Stimmen der Unterstützenden alle handschriftlich oder über die Petitionsplattform des Bundestages eingereicht werden. Private Anbieter wie eben change.org werden dabei nicht anerkannt. Und nachdem wir einsehen mussten, dass die Hürden, eine Petition über die Plattform des Bundestages zu unterzeichnen, deutlich höher sind – da man sich erst einen Account erstellen muss – wurden die Erwartungen dann doch ein bisschen gedämpft.
Ich musste wirklich weinen. Es war einfach ein unglaubliches Gefühl, dass sich der ganze Aufwand hinter der Petition gelohnt hat. Und dass wir das Quorum, also die nötigen 50.000 Unterschriften für eine Anhörung unseres Anliegens vor dem Petitionsausschuss erreichen, stand auch erst kurz vor knapp fest. Da man von der Anmeldung der Petition bis zur Einreichung der Unterschriften nur 28 Tage Zeit hat, war das wirklich ein Rennen gegen die Uhr. Knapp anderthalb Wochen vor der Frist hatten wir noch nicht mal die Hälfte der Stimmen zusammen, so richtig gut sah es da also nicht für uns aus.
Wir haben dann wirklich nochmal alles mobilisiert, besonders auf der Straße, und teilweise pro Person 1.700 Unterschriften auf Unterschriftenlisten gesammelt. Das war eine absolute Teamleistung, alleine hätte man sowas nicht auf die Beine stellen können! Bis wir aber sicher sein konnten, dass wir die 50.000 geknackt hatten, mussten wir auf den Versand aller analogen Listen warten. Da lagen die Nerven echt absolut blank!
Natürlich haben wir auch Social Media und klassische Medien für Aufmerksamkeit genutzt und wurden zusätzlich durch Privatpersonen und Influencer unterstützt. Erst zwei Tage vor Ablauf der Frist konnten wir dann sicher sein, dass wir die 50.000 erreicht hatten. Ab da schoss die Zahl der Unterschriften dann durch die Decke, sodass wir unsere Petition mit unfassbaren 100.512 Unterschriften einreichen konnten.
Auf jeden Fall mit einer gehörigen Portion Stolz, da die Anhörung schon eine Art Ziellinie des riesigen Marathons war, der dem vorausgegangen ist. Aber natürlich auch Druck, da die ganze Arbeit im Vorhinein auf diesen Moment abgezielt hat. Da jetzt nicht zu liefern, wäre eine große Enttäuschung gewesen. Und klar war ich auch deshalb während der Anhörung super aufgeregt. Es haben sich zwischendurch aber auch diese Momente ergeben, in denen ich mich zurücklehnen und durchatmen und das, was wir erreicht haben, ordentlich genießen konnte.
Ab jetzt kommen wir wirklich mal dazu zu planen, da vorher alles auf den Petitionsausschuss ausgerichtet war. Durch diese Arbeit haben wir aber extrem gute Strukturen etabliert, die wir nun weiter nutzen können. Vor unserer Kampagne haben sich die verschiedenen Freiwilligenformate unabhängig voneinander für bessere Bedingungen eingesetzt, nun geschieht dies strukturiert und mit vereinter Kraft. Die Demonstration, die wir in Berlin organisiert haben, hat dies nochmal verdeutlicht. Knapp 2.500 Menschen sind mit uns zusammen auf die Straße gegangen, teilweise extra dafür angereist, um für bessere Bedingungen im Freiwilligendienst zu demonstrieren. Diese Stärke wollen wir weiterführen, für die jetzigen Freiwilligen, wie auch für die Freiwilligen der Zukunft.
Mehr zur Petition #fwdstaerken erfährst Du hier.