Kinder- und Jugendbericht Wie steht’s um politische Bildung?
Till Stange
Demokratie muss für junge Leute erlebbar sein. Das ist eine Erkenntnis aus dem 16. Kinder- und Jugendbericht. Die Abgeordneten des Bundestages diskutierten darüber, wie politische Bildung für Jugendliche aussehen sollte.
Wie und wo erleben junge Menschen politische Bildung? Und wie beeinflussen Krisen wie die Coronapandemie das Demokratie-Erleben der Jugendlichen? Über diese und andere Fragen diskutierten die Abgeordneten im Bundestag.
Anlass für die Debatte war der 16. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung, der sich vor allem mit dem Thema politische Bildung befasst. In jeder Legislaturperiode ist die Bundesregierung dazu verpflichtet, dem Bundestag und dem Bundesrat einen Bericht über die „Lage junger Menschen“ vorzulegen. Der 16. Kinder- und Jugendbericht, der wieder von einer unabhängigen Sachverständigenkommission erarbeitet wurde, trägt den Titel „Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter“.
Bericht auf mehr als 600 Seiten
„Orientierung junger Menschen an demokratischen Werten“ und „die Entwicklung kritischer Urteilskraft“ ist dem Bericht zufolge das Ziel politischer Bildung. Auf mehr als 600 Seiten analysieren die Experten und Expertinnen die Situation von Kindern und Jugendlichen in Deutschland und schließen den Bericht mit Handlungsempfehlungen für die Politik ab.
„Megatrends“: Herausforderungen für die Demokratie
In dem Bericht geht es unter anderem um die sogenannten Megatrends. Gemeint sind gesellschaftliche Entwicklungen und Krisenphänomene, die eine Herausforderung für die Demokratie darstellen. Denn Demokratie und demokratisches Verhalten müssen laut Bericht von jeder Generation neu erlernt und eingeübt werden. Vorranging gehe es um sieben Megatrends: Globalisierung, Klimawandel und Umweltzerstörung, die Coronapandemie, Flucht und Migration, Digitalisierung, Aufrüstung und Krieg sowie Folgen des demografischen Wandels, also die Tatsache, dass die Zahl der älteren Menschen stark zunehmen wird. Die Herausforderungen, die durch diese Megatrends entstehen, spiegelten sich auch in einem neuen „Aufgabenportfolio“ für die heutige junge Generation wider.
Corona Pandemie als gesellschaftlicher Stresstest
Gerade die Corona-Pandemie wird dabei als Stresstest für eine offene demokratische Gesellschaft hervorgehoben. Kritisiert wird, dass junge Menschen in gesellschaftlichen Diskussionen oftmals auf ihre Rolle als Schülerinnen und Schüler reduziert würden und dass ihre Mitwirkungsmöglichkeiten in Krisensituationen begrenzt seien.
Recht auf politische Bildung
Jedes Kind und jeder Jugendliche habe ein Recht auf politische Bildung. Dieses Recht leitet die Sachverständigenkommission aus dem Sozialgesetzbuch und dem UN-Kinderrecht auf Bildung ab und empfiehlt, Kinderrechte in allen Landesverfassungen und im Grundgesetz zu verankern. Da der Bericht von 2020 ist, galt diese Empfehlung auch schon für die 19. Legislaturperiode.
In einer knapp 40-minütigen Debatte diskutierten die Fraktionen über die Ergebnisse des Berichts. Im Anschluss wurde das Thema an verschiedene Ausschüsse überwiesen. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend übernimmt dabei die Federführung.
Grüne: Wahlalter auf 16 Jahre absenken
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) betonte zu Beginn der Debatte, dass politische Bildung den Auftrag habe, junge Menschen zur Demokratie zu befähigen. Politische Bildung gehöre deshalb überall hin: in die Familie, in die Kita, in die Schule, in die Ausbildung, in Jugendbildungsstätten oder in Jugendverbände, so Paus.
Ziel von politischer Bildung sei es auch, sich eine eigene Meinung zu bilden und unterschiedliche Meinungen tolerieren zu können. Demokratieförderung sei eine Daueraufgabe, weshalb Paus zusammen mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD) das „Demokratiefördergesetz“ einbringen möchte. Zur Erklärung: Das Demokratiefördergesetz soll Projekte im Bereich der Demokratieförderung und Extremismusprävention unterstützen. Außerdem wolle man Kinderrechte im Grundgesetz verankern und das gesetzliche Wahlalter auf 16 Jahre absenken. Paus wies darauf hin, dass auch der Bericht dafür plädiere und die Koalitionsparteien beides im Koalitionsvertrag vereinbart hätten.
Zusätzlich hob die Ministerin hervor, dass einige Stimmen behaupteten, politische Bildung müsse neutral sein, politische Bildung könne aber niemals neutral gegenüber Demokratiefeinden sein, so Paus.
SPD: Beteiligungsmöglichkeiten schnell umsetzen
Ulrike Bahr von der SPD-Fraktion betonte, wie wichtig es sei, dass politische Bildung nicht nur Wissen vermittele, sondern auch praktisch erfahrbar sei. Politische Bildung befähige Kinder und Jugendliche, sich politisch zu informieren und lade sie zum Einmischen und Mitmischen ein.
Räume entstehen zu lassen, die echte Mitwirkung möglich machten, sei auch Ziel des Nationalen Aktionsplans für Kinder- und Jugendbeteiligung, so die Abgeordnete. Der Aktionsplan sei ein Baustein der Jugendstrategie der Bundesregierung. Bahr sagte außerdem, man solle Beteiligungsrechte zügig in der Verfassung verankern und dass auch Kinderrechte ins Grundgesetz gehörten. Junge Menschen hätten das Recht auf Schutz, Bildung und auf Mitsprache in allem, was sie betreffe.
CDU/CSU: Freiwilligendienst ausbauen
Ralph Edelhäußer von der CDU/CSU-Fraktion kritisierte zunächst, dass der Bericht bereits im Juli 2020 fertiggestellt wurde und die Auswirkungen der Coronapandemie zu diesem Zeitpunkt noch nicht in vollem Umfang abschätzbar gewesen seien. Gravierende Einschnitte für Kinder und Jugendliche seien erst im Zeitraum danach entstanden.
Nun sei es wichtig, den Jugendlichen etwas zurückzugeben. Der Kinder- und Jugendbericht enthalte Empfehlungen, wie man Jugendliche an der Demokratie teilhaben lassen könne, zum Beispiel durch Freiwilligendienste, betonte Edelhäußer. Freiwilligendienstleistende seien zudem oft „Retter in der Not“ in Kitas oder Schulen. Deshalb sollten zum Beispiel weitere Stellen geschaffen werden und es solle dafür gesorgt werden, dass auch junge Menschen Freiwilligendienste machen könnten, die durch ihre Familie finanziell nicht so gut ausgestattet seien.
FDP: Unabhängige Medienstrukturen stärken
Coronapandemie, russischer Angriffskrieg auf die Ukraine, Energiekrise, Inflation: Die FDP-Abgeordnete Katja Adler sprach von einer „Megakrise“, in der sich Deutschland befinde – und mittendrin die Kinder und Jugendlichen. In diesem Zusammenhang merke man, dass Demokratie und demokratisches Verhalten nicht automatisch passierten, sondern von jeder Generation neu gelernt werden müssten, sagte Adler. Zudem sei es wichtig anzuerkennen, dass politische Bildung außerhalb der institutionellen Bildungseinrichtungen stattfinde, zum Beispiel in sozialen Netzwerken. Dies müsse man verstehen und lenken. Es sei deshalb wichtig, eine unabhängige Medienstruktur zu haben und zu stärken.
Außerdem solle jeder Schüler in Deutschland die Möglichkeit bekommen, den Bundestag als „Herz der Demokratie“ zu besuchen, um Politik so erfahrbar zu machen, befand Adler. In die von der Koalition erarbeitete Jugendstrategie seien alle Ressorts eingebunden. Sie umfasse mehr als 160 Maßnahmen.
AfD: Jugendlichen eine Leitkultur vermitteln
Gereon Bollmann von der AfD-Fraktion sprach über das Thema „Islamismus“. In dem Bericht heiße es, Islamisten stünden im Widerspruch zu den Grundsätzen der Volkssouveränität und der Trennung von Staat und Religion. Bollmann kritisierte, dass die Bundesregierung sich mit dem Thema trotzdem nicht genug befasse. Er sprach sich dafür aus, dass man Jugendlichen jeglicher Herkunft eine gemeinsame Leitkultur vermitteln müsse.
Linke: Demokratie lernen über Beteiligung
Heidi Reichinnek von der Linksfraktion kritisierte, dass die Bundesregierung die Mittel für die Kinder- und Jugendpolitik um 400 Millionen Euro gekürzt habe. Der Bericht zeige, dass Kinder und Jugendliche stärker beteiligt werden müssten. Demokratie würden Kinder über Beteiligungsstrukturen lernen, in denen sie Entscheidungen treffen könnten, so Reichinnek. Deshalb brauche man eine bessere, langfristige Ausstattung in der Kinder-, Jugend- und Sozialarbeit, in Schulen und Kitas. Stattdessen gebe es aber immer wieder kurzfristige Projekte, kritisierte sie.
Die komplette Bundestagsdebatte seht ihr hier im Video, das Protokoll findet ihr wie immer auf bundestag.de.
Till Stange
ist 23 Jahre alt, kommt aus Köln und studiert VWL mit politischem Schwerpunkt. Seit seiner Kindheit interessiert er sich schon für Journalismus.