Gleichberechtigung „Politik für marginalisierte und besonders verletzbare Gruppen“
Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen) war mit dem Familienausschuss in den USA. Im Interview erzählt sie, was feministische Außenpolitik für sie bedeutet, warum die Begegnung mit der UN-Sonderbeauftragten für sexuelle Gewalt in Konflikten sie so beeindruckt hat und wie Algorithmen Menschen diskriminieren können.
In Washington haben wir eine Republikanerin und eine Demokratin getroffen. Die beiden sitzen im Frauen-Ausschuss. Dort beschäftigen sie sich etwa mit den Fragen: Wie können wir die Situation von Frauen im Gesundheitssystem verbessern? Wie können wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen? Wobei das gewisse Grenzen hat, weil das System in den USA deutlich anders ist als bei uns. Staatlich unterstützten Mutterschutz oder auch Elternzeit gibt es dort überhaupt nicht.
Man hat allerdings auch gemerkt, dass manche Themen auf der parlamentarischen Ebene völlig ausgeblendet werden. Die Diskussion über Abtreibungspolitik ist zum Beispiel in den USA extrem polarisiert. Da gibt es fast nur Schwarz oder Weiß. Über diese absolut gegensätzlichen Positionen spricht der Frauen-Ausschuss nicht. Ganz anders als die Regierung Biden, die sich klar für ein landesweites Abtreibungsrecht ausspricht.
Ich hatte die große Ehre, unsere Familienministerin Lisa Paus, die in London einen Flug verpasst hatte und deshalb später kam als geplant, bei einem Termin zu vertreten. So konnte ich mit Pramila Patten sprechen. Das ist die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten. Sie hat mir die Kampagne „Stop Rape Now“ vorgestellt.
Etwas Menschenverachtenderes als den Einsatz von Vergewaltigung als Kriegswaffe kann man sich kaum vorstellen. Es hat mich sehr beeindruckt, diese Frau zu erleben, die all ihre Kraft dafür einsetzt, dagegen anzukämpfen. Sie kam gerade aus einem Kriegsgebiet und hatte dort Gespräche mit Frauen geführt. Sie hat mir von Fällen erzählt, die ich nicht wiedergeben will, weil sie so grauenhaft sind. Und doch war sie nicht entmutigt, sondern hat eine großartige Energie und Überzeugung ausgestrahlt.
Diese Begegnung hat mir noch mal deutlich gezeigt: Wir dürfen vor diesen Themen nicht weglaufen. Wir haben in der Politik die Verantwortung, die Dinge, die falsch laufen, die Menschen schaden, die Menschen zu Tode bringen, zu ändern. Wenn ich mich nicht mehr davon berühren lasse, dass jemand ungerecht behandelt wird, dann kann ich keine Politik für Gerechtigkeit machen.
Der Weg, den Annalena Baerbock als Außenministerin geht, ist genau dieser. Sie nimmt das Schicksal der Menschen in den Blick. Auf jeder Reise besucht sie Frauen und Mädchen. Sie fragt: Was bedeutet es für sie, hier zu leben? Worauf müssen wir besonders achten? Ihr ist es wichtig, dass in den Delegationen, die sie trifft, auch Frauen sitzen. Das macht in vielen Ländern schon einen großen Unterschied, dass Frauen überhaupt sichtbar werden.
Feministische Außenpolitik hat das Ziel, Gruppen in den Blick zu nehmen, die marginalisiert und besonders verletzbar sind. Frauen, LGBTQ+, Menschen mit Behinderungen. Wenn diese Gruppen nicht sicher sind vor Gewalt, dann ist niemand sicher. Darum geht es.
Wir wollen die Rechte dieser Gruppen und ihre Repräsentanz stärken. Sie sollen beteiligt werden an der Entwicklung von Lösungswegen, weil ihre Perspektive wichtig ist. Und wir wollen, dass genügend Geld investiert wird, um die Gleichberechtigung aller Menschen zu unterstützen.
Auf der UN-Frauenrechtskonferenz in New York, die wir auf unserer Reise besucht haben, gab es viele Referentinnen aus Konfliktgebieten, die klar gesagt haben: Dass Deutschland jetzt die feministische Außenpolitik und auch die feministische Entwicklungspolitik so klar benennt und vorantreibt, hat einen ganz starken positiven Effekt auf die Regierungen anderer Länder.
Das Problem ist etwas abstrakt: Zukunftstechnologie und Geschlechtergerechtigkeit. Der Punkt ist, dass der technologische Wandel eine große Gefahr birgt, dass Diskriminierungen fortgeschrieben werden. Denn Programme werden von Menschen gemacht. Und wenn diese Menschen kein Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit haben, wenn sie alte Rollenklischees im Kopf haben – etwa: Männer interessieren sich für Technik, Frauen interessieren sich für Care-Arbeit –, dann setzen sich diese Muster in den Algorithmen fort.
Obwohl ich mich schon viel mit dem Thema beschäftige, war ich geschockt. Am Krassesten waren die Beispiele aus dem Bereich Social Media. Welche Bilder etwa bei Instagram verboten sind, welche der Algorithmus löscht – da gelten völlig unterschiedliche Maßstäbe für Männer und Frauen. Wir haben den Selbsttest eines Mannes gesehen: Er hielt sich einen BH vor den Oberkörper – und sofort leuchtete es rot, das ging gar nicht. Sobald er den BH wegnahm und als männlich erkannt wurde, war wieder alles gut.
Das Problem ist, dass solchen Algorithmen eine Bewertung zugrunde liegt: So soll die Welt aussehen, so nicht. Abweichungen von der Norm werden als negativ bewertet. Das führt zu wirklich gravierenden Diskriminierungen. Dagegen muss man anarbeiten. Das ist existenziell für unsere Grundrechte.
Das muss politisch noch viel mehr in den Blick genommen werden. Hier in Deutschland haben wir das schon auf dem Schirm. Im dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung gab es den Schwerpunkt Gleichstellung und Digitalisierung. Wir sprechen, auch in Zusammenarbeit mit der Bundesstiftung Gleichstellung, über Maßnahmen, wie wir dem begegnen. Und dass die UN-Konferenz dieses Thema gewählt hat und dazu einen Abschlussbericht vorlegen wird, wird hoffentlich dazu beitragen, dass in den Mitgliedsländern weitere Diskussionen angestoßen werden.
Teilweise reagieren die großen Plattformen auch schon. Bei Google zum Beispiel gibt es eine Frau, die bei der Konferenz auch auf dem Podium saß, deren Aufgaben es ist, sich dieses Themas anzunehmen. Das ist aber keine Selbstverständlichkeit, da muss man permanent dranbleiben.
Das Start-up „running start” gibt es seit 2007. Es hat schon 25.000 Frauen animiert und dabei unterstützt, sich auf ein politisches Amt vorzubereiten. Bemerkenswert fand ich, dass das Programm offen für alle parteipolitischen Richtungen ist. Hier in Deutschland unterstützen die Partei-Stiftungen oft junge Frauen, die in die Politik wollen. Bei der Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen gibt es zum Beispiel Mentoring-Programme. Ich habe 2004 ein Jahr lang an so einem Programm teilgenommen. Und für mich war das letztlich der Startblock, um als Abgeordnete im Deutschen Bundestag zu landen. Ich habe damals die Entscheidung getroffen, die Themen Frauenrechte, Gleichberechtigung, LGBTQ+ in der Politik mitzugestalten. Heute bin ich selbst Mentorin.
Eins meiner Lieblings-Gifs zeigt Frauen, die sich gegenseitig die Räuberleiter halten. Diesen Gedanken, dass Frauen sich gegenseitig unterstützen und den Rücken decken, den finde ich ganz wichtig. Deshalb versuche ich, wo ich kann, Frauen-Netzwerke zu unterstützen, auch parteiübergreifend.
Auf der Reise haben wir uns verabredet, „running start“ mit den Partei-Stiftungen zusammenbringen. Ich habe das bei der Heinrich-Böll-Stiftung schon angestoßen und die anderen werden es sicher auch machen. Insofern war dieses Treffen sehr produktiv.
Die Wahlrechtskommission hat drei große Themen zum Auftrag. Der ganz konkrete Auftrag ist die Verkleinerung des Bundestages. Dazu haben wir einen Gesetzentwurf entwickelt, der gerade vom Bundestag verabschiedet wurde. Die beiden anderen Themen sind das Wahlalter 16 und eben Parität, also die Frage, wie man mehr Frauen in den Bundestag bringen kann. Beides haben wir in der Kommission beraten. Leider gab es beim Wahlalter 16 aus der Opposition viel Widerstand. Bei der Parität gibt es selbst innerhalb der Ampel-Koalition keine Einigung, weil die FDP sich gegen paritätische Regelungen im Wahlrecht ausspricht. Das hält uns aber nicht davon ab, uns weiter für Parität einzusetzen.
Ich war ja zwei Wahlperioden lang in der Opposition. Es gab viele Punkte, bei denen ich immer wieder gesagt habe, da müssen wir besser werden: gleichberechtigte Bezahlung etwa oder eben Repräsentanz – im Parlament, in Ministerien, in der Wirtschaft, im Kulturbereich. Wir haben eine Gesellschaft, die vielfältig ist, die sich aber nicht so abbildet. Da hat sich in den Jahren der Oppositionszeit nicht viel getan. Das Einzige, was ich aus dieser Zeit positiv verbuchen kann, ist die Verbesserung im Sexualstrafrecht, dass „Nein heißt Nein“ jetzt gesetzlich verankert ist. Das haben wir durch eine interfraktionelle Zusammenarbeit der Frauen durchbekommen. Das ist eins der Highlights meiner Oppositionszeit.
Jetzt, da wir Teil der Regierung sind, haben wir natürlich eine viel bessere Ausgangslage. Wir haben viele wichtige Vorhaben zum Thema Gleichstellung in den Koalitionsvertrag geschrieben. Und jetzt machen wir uns an die Umsetzung.
Ulle Schauws, 1966 geboren, hat Film- und Fernsehwissenschaften, Politikwissenschaften, Neuere Geschichte und Frauen- und Geschlechterforschung studiert. Sie war unter anderem in der Filmbranche tätig, bevor sie 2013 für Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag einzog. Dort ist sie aktuell Mitglied im Familienausschuss und in der Wahlrechtskommission.
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