Derya Türk-Nachbaur (SPD) „Oft stoßen Frauen die Revolutionen an“
Seit vielen Wochen protestieren Frauen im Iran unter Einsatz ihres Lebens. Derya Türk-Nachbaur erzählt im Interview, wie Deutschland die Iranerinnen unterstützen könnte und wie feministische Außenpolitik aussehen kann.
Kürzlich wurde im Plenum über die aktuelle Lage im Iran debattiert. Die Koalitionsfraktionen haben einen Antrag vorgelegt, in dem es um die Unterstützung der Protestbewegung im Iran geht. Was wurde in dem Antrag gefordert?
In unserem Antrag ging es in erster Linie darum, unsere Solidarität mit den iranischen Frauen zu demonstrieren und unmissverständlich klarzustellen, dass wir an der Seite der Menschen stehen, die für Freiheit und Selbstbestimmung auf die Straßen gehen.
Ebenfalls ein sehr wichtiger Punkt in unserem Antrag: Wir haben eine Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrats eingefordert, damit auch in diesem Rahmen deutlich wird, dass wir das Vorgehen der iranischen Regierung international verurteilen. Außerdem muss es eine unabhängige Untersuchung und Dokumentation der Geschehnisse geben. Diese Sitzung hat am 24. November stattgefunden. Das ist ein wichtiger Meilenstein, um der iranischen Regierung zu zeigen, dass die Gewalt, die sie ausüben, nicht folgenlos bleiben wird.
Zusätzlich haben wir als Abgeordnete auch die Bundesregierung aufgefordert, den bereits bestehenden politischen und diplomatischen Druck auf Teheran aufrecht zu erhalten, indem beispielsweise weitere Sanktionen verhängt werden – gegen die iranische Regierung, aber auch gegen einzelne Menschen. So kommen Einzelpersonen, die Verbrechen begangen haben, auf spezielle Sanktionslisten. Das nennen wir „Targeted Sanctions“: Diese Menschen bekommen ganz konkret zu spüren, dass ihre Handlungen Konsequenzen haben.
Welchen Einfluss haben internationale Sanktionen? Kann man den Menschen im Iran damit wirklich helfen?
Ja, das kann man. Der Iran hat bereits eine gewisse Historie mit Sanktionen hinter sich. Wenn die Regierung keine Gelder mehr aus dem Ausland bekommt, zunehmend isoliert ist und keinen Handel mehr betreiben kann, dann wirkt sich das auch auf die Eliten im Land aus, also auf die Menschen, die besonders einflussreich sind und in der Regel viel Geld haben. Die sind darauf angewiesen, dass Gelder reinkommen. Und wenn die Gelder ausbleiben, so hoffen wir, wenden die Eliten sich von der Regierung ab.
Auch die Union hat einen Antrag eingereicht und fordert, die Protestbewegung zu unterstützen. Wieso kritisieren Sie diesen Antrag?
Ich finde schon den Titel des Antrags schwierig: „Iranische Protestbewegung entschlossen unterstützen – Den Testfall einer frauenorientierten Außenpolitik zum Erfolg machen“. Wir können diese Revolutionsbewegung im Iran nicht als „Testfall einer feministischen Außenpolitik“ bezeichnen. Diese Revolution ist weder ein Testfall noch ein Spielball für irgendjemanden.
Die Unionsfraktion hat auch einige gute Punkte in ihrem Antrage gehabt. Er war mir aber nicht umfassend genug. Und was die Fraktion in ihrem Antrag überhaupt nicht berücksichtigt hat, ist die Situation der Iraninnern und Iraner hier in Deutschland.
Es ist wichtig, sich damit zu beschäftigen, wie man die Iranerinnen und Iraner in Deutschland unterstützen kann, die im Iran verfolgt wurden, und wie mit den geplanten Abschiebungen von Iranerinnen und Iranern umgegangen wird, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben. In unserem Antrag ist dieser Punkt elementar. Wir wollen den Menschen, die bei uns in Deutschland leben, klar signalisieren, dass wir sie nicht in den Iran zurückschicken. Die Abschiebungen sollen unserer Meinung nach ausgesetzt werden, auch wenn diese Entscheidungen natürlich Ländersache sind. Und wir unterstützen die Iraninnern und Iraner, die hier vom iranischen Geheimdienst bedroht sind. Deutschland ist kein rechtsfreier Raum. Und wir sagen: „Wer euch angreift und bedroht, der bekommt es mit unserer Rechtsprechung zu tun.“
Die Proteste haben sich am Tod einer 22-jährigen Frau, Mahsa Amini, entzündet. Wie beurteilen Sie die Rolle der Frauen in dieser zugespitzten Situation?
Wie so oft in der Geschichte erleben wir, dass es Frauen sind, die Revolutionen anstoßen. In der jüngeren Geschichte denke ich beispielsweise an die Frauen in Belarus, die ihren Unmut geäußert, ihren Mut bewiesen und sich Alexander Lukaschenko und seinem Regime entgegengestellt haben. Ich denke an Kolumbien, wo die Friedensbewegung von Frauen initiiert worden ist, oder an den Sudan, den momentan niemand in Europa auf dem Schirm hat, wo aber auch die Frauen und jungen Menschen die Machthaber der Militärdiktatur nach mehr als 30 Jahren vom Hof gejagt haben.
Auch im Iran sind es die Frauen, die unverzichtbar für den Wandel sind und sein werden. Frauen sind unverzichtbar, wenn Frieden und Demokratie in der Gesellschaft nachhaltig etabliert werden sollen. Und deshalb kommt den Frauen im Iran eine unheimlich große Rolle zu und ich verneige mich vor dem Mut dieser Frauen.
Sie haben in der Rede auch über Feminismus gesprochen. In diesem Zusammenhang: Was ist feministische Außenpolitik?
Feministische Außenpolitik ist sehr wichtig. Die Hälfte der Bevölkerung – inzwischen sogar mehr als die Hälfte – ist weiblich. Da ist es überhaupt nicht verständlich, dass diese Frauen nicht überall an den Verhandlungstischen sitzen. Es kann nicht sein, dass die Regimes dieser Welt ihre Regeln machen und Frauen unterdrücken – und dabei die Meinung von mehr als der Hälfte der Bevölkerung ignorieren. Nochmal: Stabilität und Frieden lässt sich nur mit Frauen an Verhandlungstischen durchsetzen.
Der feministischen Außenpolitik kommt somit eine ganz wichtige Rolle zu: Wir müssen Frauen unterstützen, die für Recht und Demokratie auf die Straße gehen. Und wenn wir Projekte vor Ort unterstützen, müssen wir gewährleisten, dass dort Frauen beteiligt sind und bleiben. Das heißt: Konkrete Maßnahmen der feministischen Außenpolitik beinhalten die Unterstützung von Projekten vor Ort, in die Frauen in umfangreichem Maße eingebunden sind.
Und wir müssen auch die Frauen mit iranischen Wurzeln in Deutschland unterstützen. Es gibt viele Aktivistinnen und wunderbare Initiativen hier, denen wir eine Bühne geben müssen. Diese Menschen haben die engsten Kontakte in den Iran, sie sprechen die Sprache und kennen die Gefühlslage der Menschen dort. Wir brauchen diese engagierten Frauen, um die Brücke zu den Frauen zu bauen, die noch im Iran sind.
Zur Person
Derya Türk-Nachbaur wurde 1973 in Paderborn geboren. Nach der Schule studierte sie Neuere deutsche Literatur, Medienwissenschaften und Amerikanistik in Marburg. 2018 wurde Türk-Nachbaur Fraktionsvorsitzende der SPD im Gemeinderat von Bad Dürrheim, 2021 zog sie in den Bundestag ein. Mehr erfahrt ihr auf ihrem Profil auf bundestag.de.
(Mira Knauf)