Hanau-Gedenken Kampfansage an den Rechtsextremismus
Yasemin Kamisli
Vor zwei Jahren tötete ein Rechtsextremist in Hanau zehn Menschen und sich selbst. Was kann die Politik im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus tun? Im Vorfeld des Jahrestages beschäftigten sich die Abgeordneten des Bundestages mit diesen Fragen.
Aus rassistischen Motiven tötete Tobias R. am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen. Anschließend erschoss er seine Mutter und sich selbst.
Kurz vor dem Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags sprachen die Abgeordneten im Bundestag über die Konsequenzen und die politische Verantwortung „im Kampf gegen Rechtsextremismus und Hass“. Die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP hatten die Aktuelle Stunde mit diesem Titel auf die Tagesordnung gesetzt.
Ministerin Faeser: „Entsetzliche Brutalität“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte im Bundestag: „Der rassistische Terroranschlag in Hanau hat unser ganzes Land erschüttert. Der 19. Februar 2020 bleibt ein tiefer Einschnitt.“ Der Täter habe laut Faeser neun Menschen in „seinem mörderischen Rassismus, seinem fanatischen Hass und seinem Verschwörungsdenken“ zu „Fremden“ erklärt. Jedoch seien die Ermordeten Teil unserer Gesellschaft gewesen: „Daran dürfen wir als Staat nicht den geringsten Zweifel lassen.“
Darüber hinaus schulde der Staat den Familien der Ermordeten eine transparente und lückenlose Aufarbeitung aller Hintergründe des Attentats. Deswegen wurde in Hessen ein Untersuchungsausschuss einberufen: „Als hessische Landespolitikerin habe ich mich sehr dafür eingesetzt. Das ist mein Verständnis von einem Staat, der aus Versäumnissen lernt, handelt und Konsequenzen zieht.“ Es sei nun die Pflicht des Bundes und des Land Hessens aufzuklären.
Faeser spracht von einem tief verletzen Vertrauen in unseren Staat von den Angehörigen und den Menschen, „die immer wieder rassistische Angriffe erleben.“ Der Anschlag habe eine Auswirkung weit über Hanau hinaus. „Die Todesopfer hatten alle noch viel vor in ihrem Leben, für sie war Hanau ihr Zuhause“, sagt Faeser, „sie wurden mit entsetzlicher Brutalität ermordet.“
Die Bundesregierung habe, so Faeser, einen nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt beschlossen: den 11. März. „Wir wollen, dass das Schicksal der Opfer und ihrer Angehörigen uns allen in Staat und Gesellschaft bewusster wird“, so die Bundesinnenministerin. Es sei essenziell, die Stimmen der Opfer zu hören und ihre Perspektiven auf allen staatlichen Ebenen zu unterstützen.
Bündnis 90/Die Grünen: „Wir stehen zusammen gegen Rassisten“
„Wir gedenken heute denjenigen, die beim rassistischen Verbrechen am 19. Februar 2020 in Hanau ihr Leben verloren haben“, begann der Grünen-Parteichef Omid Nouripour seine Rede. Dieser Tag sei einer von viel zu vielen Gedenktagen an Opfer rechter Gewalt. Nouripour rief dazu auf, an die Ermordeten zu erinnern: „Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Menschen zu einer Zahl in einer Statistik werden. Das ist unsere Verantwortung.“ Aus Hass seien Schandtaten geworden, wobei Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov und Vili-Viorel Păun „zu früh aus dem Leben gerissen wurden.“
Dieser Hass bedrohe uns alle, mahnte Nouripour. „Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, als Demokratinnen und Demokraten, alles dafür zu tun, damit sich ein solches nicht wiederholt und allen Personen und Parteien, die diesen Hass verbreiten ein klares Stoppschild aufzustellen. Wir stehen gemeinsam gegen Rassisten in diesem Haus und außerhalb.“
Nouripour warnte vor Rechtsextremisten, die die Unsicherheit der Menschen ausnutzen würden, um demokratisch-legitimierte Politikerinnen und Politiker einzuschüchtern. „Sie sind weder das Volk noch die Mehrheit in diesem Land.“ Es sei bezeichnend, dass die AfD nicht einmal der Einsetzung des Untersuchungsausschusses zugestimmt habe.
CDU/CSU: „Der Hass darf in Deutschland niemals siegen“
„Hanau liegt nur wenige Autominuten von meinem Wahlkreis entfernt. Die Tat war eindeutig: Es war Rechtsterrorismus und sie war klar rassistisch motiviert“, sagte Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion. Der politische Auftrag sei, dass sich alle Menschen sicher fühlen müssten – unabhängig von ihrer Herkunft. Um diese Sicherheit zu garantieren, brauche es moderne Lösungen und Befugnisse, um beispielsweise Hass im Netz bekämpfen zu können. „Der Hass darf in Deutschland niemals siegen“, so Lindholz.
Die Unionspolitikerin kritisierte den Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien, der laut Lindholz keine Ideen aufweise, „wie Behörden besser werden können.“ Neben dem Staatlichen sei aber auch der gesellschaftliche Zusammenhalt unglaublich wichtig: „Demokratie fängt bei jedem Einzelnen an, indem man Hass und Hetze auf der Arbeit, im Internet oder wo auch immer man ihn vorfindet, ganz klar widerspricht. Denn aus Gedanken werden Worte und manchmal werden aus Worten leider auch Taten.“
SPD: „Hanau war kein Einzelfall“
„Ich war 35 Jahre alt und noch nie in meinem Leben wollte ich Deutschland verlassen. Doch dann kam Hanau“, begann der SPD-Politiker Hakan Demir seine erste Bundestagsrede. Es seien Menschen ermordet worden, die Gedichte schrieben, die heiraten und ihr Leben führen wollten. „Niemand wird den Schmerz und das Leid der Hinterbliebenen nachempfinden können, dafür ist er zu groß. Viele der Familien haben die Zimmer der Opfer unberührt gelassen. Die Bettwäsche ist nicht abgezogen“, so Demir.
Auch er macht auf das klare Tatmotiv des rassistischen Täters aufmerksam: „Er hat nicht zufällig die Shisha Bar mit dem angrenzenden Kiosk ausgewählt.“ Er habe es aus Hass auf Menschen, die er als Ausländer wahrnahm, getan. „Wir wissen, Hanau war kein Einzelfall“, sagte Demir. Er berichtete von seiner Begegnung mit Abdullah Unvar, dem Cousin des ermordeten Ferhat Unvar: „Er sagte mir, der Großvater von Ferhat hat Straßen in Hanau gebaut, die der Täter genutzt hat. Er hat also etwas aufgebaut, was manche Menschen in diesem Land zerstören wollen.“ Das dürfe unsere Gesellschaft nicht zulassen. Die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau „waren noch nie Fremde, sie waren ein Teil von uns und werden es auch immer bleiben.“
FDP: „Entwaffnung von Rechtsextremisten und Reichsbürgern“
„Wenn wir heute über Hanau debattieren, dann müssen wir über die Opfer, aber auch über die Radikalisierungsgeschichte des Täters sprechen“, sagt der FDP-Politiker Konstantin Kuhle. „Der Anschlag betraf in erster Linie Menschen, die selbst oder deren Familien nach Deutschland eingewandert sind. Damit steht dieser in einer Reihe mit den Morden des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes.“ Habe man selbst keinen Migrationshintergrund, könne man sich nur schwer vorstellen, wie die Taten des NSU und wie der Anschlag von Hanau sich auf das Sicherheitsgefühl vieler Menschen und Gruppen in Deutschland ausgewirkt habe.
„Die Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus ist die Aufgabe von uns allen.“ Dazu gehöre, dass man auch in der Ausbildung von Polizeibeamten auf eine stärkere Sensibilität für die berechtigten Sicherheitsinteressen dieser Gruppen achten müsse. „Wir brauchen eine konkrete Entwaffnung von Rechtsextremisten und Reichsbürgern“, fordert Kuhle. „Wir sind es den Opfern jedes terroristischen Anschlags schuldig, den Ursachen für die Tat genau auf den Grund zu gehen.“
AfD: Auch Linksextremismus bekämpfen
„In diesem Land darf es keinen Platz für irgendeinen Extremismus geben. Das sollte eigentlich Konsens in diesem Hause sein“, sagte Christian Wirth aus der AfD-Fraktion. „Aus der Statistik des Bundeskriminalamts zur politisch motivierten Kriminalität lassen sich besorgniserregende Zahlen entnehmen“, so Wirth, „im Jahr 2020 lassen sich 1.092 Delikte von rechts und 1.526 Delikte von links als Zahlen nennen.“
Wirth beschrieb die Gedankenwelt des Täters von Hanau als „krank“ und „zutiefst gestört", was sich in Videos auf dessen YouTube-Kanal und Internetseite manifestiere. Der AfD-Politiker kritisierte die anderen Fraktionen, die die absurde Gedankenwelt des Hanau-Attentäters „mit der AfD in Verbindung bringen wollen, um politisches Kleingeld zu schlagen.“
Linke: „Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen“
„In wenigen Minuten starben neun junge Menschen, die ihren Abend mit Freunden verbrachten, die gearbeitet haben oder sich etwas zu Essen gekauft haben“, beginnt die Linken-Politikerin Janine Wissler. Die Morde seien wahllos und doch sehr gezielt gewesen, „weil der Täter Menschen mit Migrationsgeschichte töten wollte. Das war sein Motiv.“ Wissler betonte, dass rechter Terror kein neues Phänomen sei. Seit 1990 seien über 200 Menschen durch rechte Gewalt getötet worden. Rechte Netzwerke seien viel zu lange verharmlost worden.
„Die Opferfamilien von Hanau fordern Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen. Es darf keinen Schlussstrich geben.“ Konkret bedeute dies, mögliche Fehler der Behörden im Vorfeld und in der Tatnacht zu untersuchen.
Hier seht ihr die Aktuelle Stunde im Video:
Yasemin Kamisli
... studiert in Frankfurt am Main und setzt sich für die Sichtbarkeit von diversen Lebensrealitäten ein.