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Die deutsch-französische Zusammenarbeit in Krisenzeiten „Wir brauchen auf beiden Seiten ein voll funktionsfähiges Parlament“

Cora Dollenberg

Die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung (DFPV) ist ein Gremium, das die deutsch-französische Zusammenarbeit stärkt. Doch wie wirkt es sich auf die Arbeit der DFPV aus, wenn eins oder sogar beide Parlamente aufgelöst werden?

Bild von einem Mann mit kurzen braunen Haaren und Anzug und einer älteren Frau mit kurzen grauen Haaren und weißem Oberteil im Gespräch.

Wie gelingt die Arbeit zweier nationaler Parlamente, wenn diese beispielsweise kurz vor Neuwahlen stehen? Nils Schmid und Brigitte Klinkert, die Co-Vorsitzenden der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung finden Antworten. © Thomas Köhler / photothek

2024 sollte die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung (DFPV) im Juni und im Dezember tagen. Doch am 9. Juni 2024 löste Frankreichs Präsident Macron die Nationalversammlung auf und das erste Treffen kam nicht zustande. Die zweite Tagung 2024 war für Dezember geplant – und konnte nicht stattfinden, weil die Koalition in Deutschland gerade zerbrochen war und das Land über Neuwahlen diskutierte. Welche Auswirkungen auf die Vorhaben und Arbeit der DFPV haben diese Ereignisse? Ein Gespräch mit Brigitte Klinkert (Abgeordnete der französischen Nationalversammlung und Vorstandsmitglied der DFPV) und Nils Schmid (Abgeordneter des Deutschen Bundestages und Vorstandsvorsitzender der DFPV).

Welche Aufgaben hat die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung?

Nils Schmid: Die Grundidee ist, in allen Zeiten das gegenseitige Verständnis der parlamentarischen und politischen Abläufe zu verbessern, gemeinsame Resolutionen und Initiativen zu starten, die Zusammenarbeit der Ausschüsse zu verstärken und die Umsetzung des Aachener Vertrages zu begleiten.

Wie sieht diese Zusammenarbeit konkret aus?

Brigitte Klinkert: In gemeinsamen Resolutionen machen wir Vorschläge, über die dann in beiden Parlamenten abgestimmt wird. Wir haben 2024 zum Beispiel einen Beschluss für die Einführung eines deutsch-französischen Kulturpasses gefasst und einstimmig eine Resolution zum Thema Deutsch- und Französisch-Lernen verabschiedet.

Zur Person

Brigitte Klinkert

wurde 1956 in Colmar (Frankreich) geboren, begann 1997 in der Verwaltung zu arbeiten und wird 1994 mit 37 Jahren als jüngste Abgeordnete und erste Frau in der Geschichte in den Generalrat des Oberelsass gewählt. Wiederum als erste Frau wird sie 2017 dessen Präsidentin. 2020 wird sie als beigeordnete Ministerin im Arbeitsministerium Teil des Kabinetts des damaligen Premierministers Jean Castex. Seit 2022 ist sie Abgeordnete der Französischen  Nationalversammlung für den Wahlkreis Oberelsass und Vorstandsmitglied der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Bis zur Auflösung des französischen Parlaments im Juni 2024 ist sie Vorstandsvorsitzende der DFPV. Sie ist Mitglied der Präsidentenpartei Ensemble pour la République.

Nils Schmid: Außerhalb offizieller Tagungen der DFPV können die Ausschüsse im Rahmen von Delegationen eigenständig den Austausch pflegen. Traditionell geschieht das vor allem zwischen den Ausschüssen für Verteidigung, Außenpolitik und Europa. Die deutsch-französischen Delegationen können Erklärungen verabschieden und Vorlagen entwickeln, die wir für die DFPV übernehmen.

Am 7. November platzte dann bekanntlich die Ampel-Koalition. Gab es in der Phase bis zur Auflösung des Bundestages Ende Dezember noch deutsch-französische parlamentarische Zusammenarbeit? Wenn ja, in welcher Form?

Nils Schmid: Es ist wenig sinnvoll, in einer ungeklärten Situation in einem der nationalen Parlamente eine offizielle Tagung der DFPV abzuhalten, weil wir dann nicht wirklich handlungsfähig sind. Es war geplant, die Regierungschefs im Dezember anzuhören. Aber welche Autorität hätte in dem Fall der Bundeskanzler gehabt, wenn klar ist, dass in wenigen Wochen eine Neuwahl stattfindet? Die wichtigsten Aufgaben der DFPV — die Anhörung von Regierungsmitgliedern und die Verabschiedung von gemeinsamen Resolutionen — war faktisch nicht möglich.

Zur Person

Dr. Nils Schmid

wurde 1973 in Trier geboren, promoviert 2006 in Rechtswissenschaften an der Universität Tübingen. Von 2001 bis 2011 ist er selbstständiger Rechtsanwalt. 1997 wird er in den Landtag Baden-Württemberg gewählt und ist von 2011 bis 2016 dessen stellvertretender Ministerpräsident sowie Minister für Finanzen und Wirtschaft. 2017 wird er für den Wahlkreis Nürtingen in den deutschen Bundestag gewählt. 2018 wird er außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion; 2019 Mitglied, 2020 Vorstandsmitglied und 2022 Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Seit 1991 ist Dr. Nils Schmid Mitglied der SPD.

Brigitte Klinkert: Aufgrund der komplizierten Lage in Deutschland konnte die für Dezember geplante Tagung der DFPV nicht stattfinden. Bei einem Treffen des Vorstandes am 3. Dezember haben wir dann, anlässlich Trumps Sieg in den USA, stattdessen eine Resolution über unsere gemeinsame Erklärung des Vorstands über unsere gemeinsame Vision für Europa und die deutsch-französische Arbeit verabschiedet.

Wie können Sie im Bundestag und in der Nationalversammlung für die DFPV arbeiten, wenn das Parlament im Partnerland aufgelöst wurde?

Nils Schmid: Formell gibt es keine Möglichkeiten. Das Einzige, was wir machen können, ist, den individuellen Kontakt zu halten. Im Sommer 2024, nach der Auflösung der französischen Nationalversammlung, war ich mit Brigitte Klinkert im ständigen Austausch. Darüber, wie es weitergeht und wann der neue Vorstand nach der vorgezogenen Neuwahl gebildet wird. Damit die DFPV arbeiten kann, brauchen wir auf beiden Seiten ein voll funktionsfähiges und voll-konstituiertes Parlament.

Brigitte Klinkert: Auf französischer Seite habe ich die Präsidentin der Nationalversammlung gebeten, das Thema des Deutsch- und Französisch-Lernens auf die Tagesordnung der Nationalversammlung zu setzen. Das ist zwar noch nicht passiert, aber grundsätzlich können wir über diesen Text dann unabhängig vom Bundestag im französischen Parlament abstimmen.

Welche Priorität hat so ein spezielles Gremium innerhalb der Dynamik nationaler parlamentarischer Krisen?

Nils Schmid: In Krisensituationen, in denen Wahlen anstehen oder das Parlament nicht konstituiert ist, spielt die DFPV quasi keine Rolle.

Welche konkreten Arbeitsschritte sind nun geplant?

Brigitte Klinkert: Das hängt vor allem davon ab, was nach den Wahlen in Deutschland passieren wird. Ich hoffe auf eine schnelle Regierungsbildung, da die Arbeit der DFPV von der Ernennung ihrer neuen Mitglieder durch den Bundestag abhängt. Meine Optimalvorstellung wäre es, ein Treffen am 8. Mai, an dem sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 80. Mal jährt oder am 9. Mai, dem Europatag, zu organisieren.

Welche längerfristigen Ziele haben Sie für die DFPV?

Nils Schmid: Es wäre wichtig, dass sich der Gesundheitsausschuss und der Wirtschaftsausschuss treffen. Wir haben immer wieder Themen, die nationale Grenzen überschreiten oder ein gemeinsames Anliegen von Deutschland, Frankreich und Europa sind. Ich wünsche mir, dass wir nach der Bundestagswahl verstärkt auf die Ausschussvorsitzenden zugehen, damit sie den deutsch-französischen Austausch angehen.

Brigitte Klinkert: Die Arbeitsweise der DFPV ist manchmal etwas schwerfällig. Die Arbeitsgruppen sind Langzeitarbeitsgruppen, sie geben ihre Arbeit erst nach 18 Monaten ab. Ich habe unseren deutschen Kollegen vorgeschlagen, dass wir, wie wir es auch in der Nationalversammlung tun, Blitzmissionen durchführen. Ein französischer Abgeordneter und ein deutscher Abgeordneter würden dann beauftragt, zu einem aktuellen Thema innerhalb von zwei Monaten eine Arbeit vorzulegen. So können wir auch besser auf die Aktualität eingehen und die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung verständlicher und sichtbar machen.

Mitmischen-Autorin

Cora Dollenberg

ist in NRW und Baden-Württemberg aufgewachsen, spricht aber weder Kölsch noch Schwäbisch. Dafür Französisch, vor allem während ihres Studiums in Paris. Sie schreibt und spricht am liebsten über tagesaktuelle Politik und Literatur.

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