Regierungserklärung Bundeskanzler Olaf Scholz zum EU-Gipfel
Jasmin Nimmrich
In der kommenden Woche werden sich die europäischen Staats- und Regierungschefs zum EU-Gipfel in Brüssel treffen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gab in seiner Regierungserklärung einen Ausblick auf die Themen, die er mit in die belgische Hauptstadt nehmen wird.
Anlässlich des EU-Gipfels in Brüssel am 26. und 27. Oktober hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einer Regierungserklärung am 19. Oktober einen Ausblick auf die Themen und die Standpunkte Deutschlands gegeben.
Einen Tag nach seiner Reise nach Israel und Ägypten, beschrieb Bundeskanzler Olaf Scholz die aktuelle Situation in Israel als die schwerste Krise, die das Land je erlebt habe. Erneut betonte er, dass Deutschland fest an der Seite Israels stehe. „Es darf keinen Eintritt der Hisbollah, des Irans oder ihrer Proxys in diesen Krieg geben.” Ansonsten drohe ein Flächenbrand, der für die gesamte Region verheerende Folgen hätte. Die humanitäre Hilfe, auch für die Menschen im Gazastreifen, habe nun oberste Priorität. Lebensmittel und sauberes Wasser müssten, trotz Israels Recht auf Selbstverteidigung, bereitgestellt werden, so der Bundeskanzler.
„Wir zeigen hier eine klare Kante, und wir zeigen sie gemeinsam”
Die antisemitischen Proteste und Auseinandersetzungen als Reaktion auf den Konflikt im Nahen Osten in Deutschland seien nicht zu akzeptieren: „Wir zeigen hier eine klare Kante, und wir zeigen sie gemeinsam.” Bezüglich der humanitären Hilfe durch die Europäische Union für die Region werde man sich zum Treffen des Europäischen Rates am 26. und 27. Oktober beraten.
„Mehr als empört” zeigte sich Scholz von der Warnung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, dass es zivile Opfer geben könne. „Zynischer als das geht es nun wirklich nicht”, so Scholz. Im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine stehe die Europäische Union weiter fest an der Seite der Ukraine. Damit die ukrainische Bevölkerung den kommenden zweiten Kriegswinter überstehen werde, schnüre Deutschland gerade ein militärisches wie ziviles Hilfspaket. „Unsere Hilfe wird nicht nachlassen.” Und auch die EU diskutiere ein finanzielles Hilfspaket, um die Stabilität der Ukraine zu garantieren.
Ein weiterer Tagesordnungspunkt in Brüssel wird laut Bundeskanzler Scholz die Migration sein, vor allem der Umgang mit der irregulären Migration. Die große und anwachsende Zahl der Schutzsuchenden fordere schnelle Maßnahmen. Den Schutz würden diejenigen Geflüchteten erhalten, die die durch Deutschland und Europa festgeschriebenen Voraussetzungen erfüllten. Doch es gebe auch viele, die diese nicht erfüllen. „Deshalb ist es notwendig, überall in Europa und Deutschland das zu tun, was notwendig ist, um die irreguläre Migration nach Europa und Deutschland zu stoppen.” Wichtig dabei sei der Schutz der EU-Außengrenzen, der mit der Unterstützung und der Einräumung rechtlicher Handlungsmöglichkeiten für Grenzstaaten wie Griechenland und Italien durch die Europäische Union einhergehe. „Das ist ein europäischer Solidaritätsmechanismus." Dieser sehe auch vor, dass die ankommenden Asylsuchenden in den Ländern registriert würden, in denen sie zuerst ankämen.
Auch in Deutschland selbst müsse eine Reform erfolgen: „Wir brauchen eine allgemeine Beschleunigung der Asylverfahren.” Dies gelte sowohl für die ersten Anträge als auch für die Ausweisung und Rückführung von Geflüchteten, so der Bundeskanzler. „Das Wichtigste, was wir in Zukunft brauchen, sind Migrationsabkommen.” Diese Vereinbarungen mit Herkunftsländern seien nötig, um Migrantinnen und Migranten erfolgreich zurückzuweisen.
CDU/CSU: Die Europäische Union steht vor einer Bewährungsprobe
Die anschließende Aussprache eröffnete Friedrich Merz, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion. „Die Regierungschef der Europäischen Union treffen zu einem Zeitpunkt zusammen, zu dem diese Europäische Union erneut vor einer großen Bewährungsprobe steht.” Die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine und Israel gefährdeten das friedliche Zusammenleben, auch das der Menschen in Deutschland. Der Ausgang der beiden Konflikte werde für Europa von großer Bedeutung sein und die Wehrhaftigkeit der Demokratie auf die Probe stellen.
„Putin setzt darauf, dass wir müde und nachlässig in unserer Unterstützung für die Ukraine werden”, so Merz. Vom Europäischen Rat müsse deshalb ein klares Signal ausgehen, dass der russische Staatschef nicht auf nachlassende Hilfe für die Ukraine hoffen dürfe. Die Gefahr eines Mehrfrontenkrieges gegen Israel schätze er als „sehr real” ein. Zu dieser Gefährdung der Existenz Israels dürfe es unter keinen Umständen kommen.
Auch bezüglich des um sich greifenden Antisemitismus dürfe man sich nicht täuschen lassen, die Herausforderungen für Europa und seine Partner würden in den nächsten Tagen und Wochen weiter zunehmen. In puncto Migration stünde die Union bereit, für die Fragen zur Flüchtlingspolitik gemeinsame Antworten zu finden. Lösungen sollten nicht ausschließlich in den Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Bundesrat gefunden werden, sondern durch das gesamte Parlament.
Bündnis 90/Die Grünen: „Krieg, Krisen und Konflikte in der Welt, da ist es gut und wichtig, dass der Europäische Rat zusammenkommt”
Britta Haßelmann trat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an das Rednerpult. „Krieg, Krisen und Konflikte in der Welt, da ist es gut und wichtig, dass der Europäische Rat zusammenkommt.” Es sei gerade in diesen Zeiten wichtig, dass demokratische Kräfte zusammenarbeiteten. Sie unterstrich weiter, wie wichtig Europa und die gemeinsame Sicherheits- und Friedensordnung seien.
Haßelmann forderte ein deutliches Signal der Bundesregierung zur Freilassung der israelischen Geiseln. Auch die Menschen im palästinensischen Gazastreifen seien verzweifelt und vor dem Terror auf der Flucht. „Dafür ist einzig und allein die Hamas verantwortlich”, so Haßelmann. Die Terrororganisation missbrauche die Zivilbevölkerung als Deckung und Schutzschild. Dem Bundeskanzler und der Bundesaußenministerin dankte Haßelmann für die deutlichen und uneingeschränkten Solidaritätsbekundungen, auch in Form der Reisen in die Region. Gleichzeitig sei aber auch die humanitäre Hilfe für die Region und die Ermöglichung von humanitären Korridoren enorm wichtig. „Wir wissen klar, wo wir stehen und deshalb können wir auch so gut gemeinsam mit Israel darüber reden, was an humanitärer Hilfe jetzt notwendig ist.”
„Die gemeinsame europäische Migrationspolitik wird endlich ernsthaft beraten”, erklärte Haßelmann. Jahrelang sei dies nicht passiert. Und auch für die Situation in den Kommunen brauche es ein klares Signal des Bundes. „Denn hier wird die Integrationsarbeit geleistet, und die Kommunen sind darauf angewiesen, Unterstützung zu bekommen, verlässlich und dauerhaft.” Die Integration von geflüchteten Menschen sei wichtig, auch um den Fachkräftemangel in Deutschland zu bekämpfen. „Es geht um Humanität und Ordnung, es geht um Verantwortung und Solidarität in Europa, und auch um Menschlichkeit.”
AfD: „Der Krieg im Pulverfass Naher Osten darf sich nicht zu einem Flächenbrand ausbreiten”
Der Fraktionsvorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, erinnert an den Ausbruch des Kriegs in der Ukraine im Februar 2022. „Wieder hat sich die Sicherheitslage in der Welt verschärft und wieder ist ein neuer Krieg entfacht worden.” Jede Kriegssituation sei anders, führe jedoch zu ähnlichen Folgen: Tod, Zerstörung, Flucht und Leid. „Der Krieg im Pulverfass Naher Osten darf sich nicht zu einem Flächenbrand ausbreiten.” Daher müsse nun der Diplomatie eine Stimme gegeben werden. Israel müsse bei seinem Recht auf Selbstverteidigung auf Verhältnismäßigkeit achten und dürfe keine neuen humanitären Katastrophen entstehen lassen. Die Bundesregierung sei dazu verpflichtet, bei der Deeskalation vor Ort mitzuwirken.
Besorgt zeigt sich Chrupalla über die Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion, die, seiner Interpretation nach, die weitere Eskalation des Konflikts und das Eingreifen Deutschlands gar nicht abwarten könnten. „Politiker müssen verstehen, was passiert, wenn das Pulverfass im Nahen Osten in Brand gerät”, so Chrupalla. Er bitte um eine „sprachliche Abrüstung” im Parlament und warf die Frage auf, wie Israel in Zukunft bestehen solle, wenn der Konflikt im Nahen Osten eskaliere. Die Bundesregierung forderte er auf, klare Worte zu finden: „Stellen Sie endlich einmal die deutschen Interessen in den Vordergrund.”
„Terrororganisationen und Antisemitismus haben keinen Platz in Deutschland”, betonte er. Dies ziehe die sofortige und konsequente Abschiebung von sogenannten Gefährdern, also Menschen, denen schwere Gewalttaten zugetraut werden, mit sich. „Die Hamas und ihre Strukturen dürften weder durch Deutschland finanziert noch zum Sicherheitsrisiko für Deutschland werden.” Er fordere daher ein zeitnahes Verbot der Terrororganisation in der Bundesrepublik. „Eine friedliche Lösung muss, über politische Differenzen hinweg, weiter verfolgt werden.” Das einzige Mittel, mit dem der Deutsche Bundestag derzeit helfen könne, sei die Aufforderung zum Frieden.
FDP: „Es braucht eine Wende in der Migrationspolitik”
Der Hass, der derzeit in Israel und Palästina um sich greife, habe auch auf den deutschen Straßen „Hass zu Tage gefördert, der [...] kein neuer ist”, erklärte der Vorsitzender der FDP-Fraktion Christian Dürr. Bei reinen Worten als Reaktion auf antisemitisch motivierte Anschläge dürfe es nicht bleiben: „Die Art und Weise, wie sich der Hass gegen jüdisches Leben auf den Straßen in Deutschland im Moment entlädt, ist eine Schande.” Das Parlament sollte sich durch Toleranz, Weltoffenheit und die Werte des Grundgesetzes leiten lassen.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) dankte er für den angestoßenen Dialog mit den Bundesländern, um eine deutliche Reaktion des Rechtsstaates auf antisemitische Taten zu geben. Es dürfe in der Bundesrepublik nicht zu Verzug bei juristischen Entscheidungen gegen antisemitisch motivierte Straftaten kommen. „Das, was auf deutschen Straßen passiert, das sind Straftaten, die wir nicht tolerieren.”
Natürlich müsse auch selbstkritisch auf die Migrationspolitik der letzten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, geblickt werden. Auch im Europäischen Rat sei das Thema Migrationspolitik ein sehr wichtiges: „Es braucht eine Wende in der Migrationspolitik.” Die Freien Demokraten forderten in diesem Zusammenhang bereits seit Wochen die Einstellung von Bargeldzahlungen an Asylbewerber. Er freue sich, dass dieser Vorstoß in Baden-Württemberg, Bayern und Brandenburg bereits Anklang gefunden habe. Er fordere, dass alle Bundesländer bei der Ministerpräsidentenkonferenz am 6. November diese Maßnahme beschlössen.
Die Linke: „Es braucht Diplomatie“
Amira Mohamed Ali (Die Linke) forderte für die Bundestagsfraktion Die Linke eine Bundesregierung, die vorausschauend und vernunftgeleitet handelt. Der aktuell regierenden Koalition warf sie emotionsgeladene Debatten vor, die das Parlament und seine Entscheidungsfähigkeit nicht weiterbringen würden.
Die aktuelle Lage in Israel verurteilte sie scharf und formulierte die Forderung nach der sofortigen und bedingungslosen Freilassung der Geiseln, die aktuell in Gaza festgehalten würden. „Das Existenzrecht Israels ist nicht verhandelbar und Israel hat das Recht, sich gegen die Angriffe, die Gräueltaten und den Terror der Hamas zu verteidigen.” Das humanitäre Völkerrecht sehe in dieser Selbstverteidigung jedoch auch Grenzen. Die Unterbrechung der Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln und Strom in Gaza durch Israel sei damit nicht vereinbar. „Ich finde es erschreckend, dass in der Debatte teilweise den Palästinensern und Palästinenserinnen das Menschsein abgesprochen wird. Das dürfen wir nicht zulassen.” Mohamed Ali forderte einen Korridor, durch den die Menschen Gaza sicher verlassen könnten.
Sie kritisierte Außenministerin Baerbock, der sie bezüglich des anhaltenden russischen Angriffskrieges die Wiederholung von Durchhalteparolen gegenüber den Ukrainerinnen und Ukrainern vorwarf. „Erkennen Sie endlich, dass es Diplomatie braucht, um diesen schrecklichen Krieg und das Sterben zu beenden.” Dafür sei auch ein Kurswechsel, auch bezüglich der Sanktionspolitik der Bundesregierung, nötig. Die aktuellen Sanktionen würden der russischen Wirtschaft kaum schaden, wirkten sich aber akut gefährdend auf den Wirtschaftsstandort Deutschland aus. Dies sei auch zunehmend in deutschen Haushalten zu spüren.
SPD: „Europa ist ein Teil der Lösung”
Dirk Wiese (SPD) wies auf die Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger durch die anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen hin. Neben der Ukraine und dem Krieg zwischen Israel und der Hamas sorge er sich auch um den sich zuspitzenden Konflikt um Berg-Karabach.
„Jüdisches Leben gehört zu diesem Land seit 1.700 Jahren”, betonte Wiese. Die antisemitischen Demonstrationen auf den deutschen Straßen seien eine Schande, die der Staat so nicht hinnehmen werde. Der Dank gebühre an dieser Stelle auch der Polizei, die „den Kopf hinhalte” und den Rechtsstaat auf den Straßen verteidige. Doch es gebe auch die andere Seite, die Menschen, die für Israel aufstehen und sich gegen Antisemitismus positionierten würden. Im Kampf gegen den Antisemitismus müssten die Bemühungen gegen Hass und Hetze noch lauter und stärker werden.