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Jugend und Parlament Wenn Jugendliche in die Rolle von Bundestagsabgeordneten schlüpfen

Nach vier Jahren Pause ist das Planspiel Jugend und Parlament zurück im Deutschen Bundestag. Die Mitorganisatoren, Nina Ritz und Frank Burgdörfer, haben mitmischen.de erzählt, was die Teilnehmenden dieses Jahr erwartet, welche Neuerungen es beim Planspiel gibt und worauf sie sich besonders freuen.

Das Rednerpult im Reichstag - Jugendliche schluepfen in die Rolle von Bundestagsabgeordneten und spielen Politik nach bei der Veranstaltung Jugend und Parlament im Plenum des Deutschen Bundestag. Berlin, Deutschland. 08.06.2010 .

Mehr als 300 Jugendliche werden im Deutschen Bundestag über fiktive Gesetzesvorschläge debattieren und abstimmen. © picture alliance / photothek | Thomas Koehler

Frau Ritz, Herr Burgdörfer, was passiert bei Jugend und Parlament?

Nina Ritz: Jugend und Parlament ist ein Planspiel, eine Simulation, die den Gesetzgebungsprozess im Parlament nachvollziehbar machen soll, und das unter möglichst realistischen Bedingungen. Die Veranstaltung dauert vier Tage und die Teilnehmenden schlüpfen selbst in die Rolle von Bundestagsabgeordneten. Dabei vertreten sie nicht ihre eigenen politischen Positionen, sondern sollen anhand eines ausgedachten Abgeordnetenprofils, das ihnen vor Programmbeginn zugelost wird, vier fiktive Gesetzentwürfe im Plenarsaal debattieren und abstimmen. Dazu werden sie in drei ebenfalls fiktive Fraktionen eingeteilt: die Bewahrungs-Partei, die Gerechtigkeitspartei und die Partei für Engagement und Verantwortung. Sie bilden Gremien wie Landesgruppen und Arbeitskreise, wählen Vorsitzende, und alle sind auch Mitglieder in einem Ausschuss.  

Frank Burgdörfer: Derartige Planspiele sind in der politischen Bildung eine sehr beliebte Methode. Man lernt ungeheuer viel dabei, wenn man sich in die Rolle eines Entscheidungsträgers versetzt. Denn zum einen lernt man die Abläufe kennen, wie der Bundestag arbeitet, und zum anderen setzt man sich mit aktuellen Fragen auseinander, muss sich eine Meinung bilden, und erkennt, dass die Entscheidungsfindung im Parlament mehr Facetten hat und potentiell nicht so leicht ist, wie am Esstisch oder auf dem Schulhof. Jugend und Parlament trainiert somit die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die man braucht, um Politik zu machen: Die Teilnehmenden müssen sich in einem Dschungel von Informationen zurechtfinden, sie müssen netzwerken, sie müssen Gegner identifizieren und sich Strategien ausdenken, wie sie mit diesen zurechtkommen, sie müssen Bündnispartner suchen und Mehrheiten organisieren, sie müssen Reden halten und im Hintergrund Leute überzeugen. Das Besondere an Jugend und Parlament ist, dass all dies auch am Ort des eigentlichen Geschehens stattfindet: Wir sitzen in den richtigen Ausschusssälen, dort wo auch die echten Fraktionen sitzen, und debattieren im echten Plenarsaal. 

Nina Ritz: Außerdem wird die letzte, also die zweite und dritte Beratung im Plenarsaal, auch vom echten Präsidium geleitet. Und am Ende spricht Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) noch ein Schlusswort.

Wer kann bei Jugend und Parlament mitmachen?

Nina Ritz: Teilnehmende müssen zwischen 17 und 20 Jahre alt sein, damit die Altersspanne zwischen den Spielenden nicht zu weit auseinander geht. Man muss nicht unbedingt politische Vorerfahrung haben, es ist also nicht nötig, dass man sich bereits in der Jugendorganisation einer Partei engagiert. Aber Interesse für Politik ist natürlich förderlich. Die Teilnehmenden, die dann während des Planspiels im Plenarsaal sitzen dürfen, werden auf Einladung von Bundestagsabgeordneten benannt. Wir als Bundestagsverwaltung bitten jeweils die Hälfte der Mitglieder einer Fraktion darum, uns Teilnehmende aus ihrem Wahlkreis zu benennen – dies geschieht dann teilweise anhand einer offenen Ausschreibung, teilweise wählen die Abgeordneten jemanden aus den Reihen der jeweiligen Jugendorganisation ihrer Partei aus. Auf diese Weise kommt dann für Jugend und Parlament eine Gruppe von jungen Erwachsenen zusammen, die halb so groß ist wie der Deutsche Bundestag selbst.  

Zur Person

Nina Ritz ist seit Juni 2023 Referentin für Jugendprojekte im Deutschen Bundestag.

Welche Dynamiken entstehen in der Auseinandersetzung mit den Gesetzentwürfen?

Frank Burgdörfer: Je tiefer man sich einarbeitet, umso komplizierter wird es. Im ersten Moment scheint eine Lösung für ein Problem ganz offensichtlich, doch dann fängt man an, darüber zu diskutieren, und aus einer Frage werden plötzlich drei. Und dann wird deutlich, was alles voneinander abhängt und sich gegenseitig bedingt. Außerdem kommt bei Jugend und Parlament noch ein enormer Zeitdruck hinzu, da innerhalb von vier Tagen über vier Gesetzentwürfe verhandelt und abgestimmt werden muss. Was für mich persönlich immer sehr spannend ist, ist der Unterschied, der zwischen Opposition und Regierung entsteht – denn es gibt immer auch einen fiktiven Gesetzesvorschlag, für dessen Verabschiedung eine Verfassungsänderung nötig wird. Sprich, es braucht die Kooperation von Regierung und Opposition. Bei dem Thema muss man also plötzlich anders arbeiten, und alle müssen erkennen, dass man sich auch zusammenreißen und über den eigenen Schatten springen muss.

Zur Person

Frank Burgdörfer ist Geschäftsführer der Agentur polyspektiv und gehört seit 2004 zum Organisationsteam von Jugend & Parlament.

Seit 2004 wird Jugend und Parlament in Form eines Planspiels durchgeführt. Welche Veränderungen beim Aufbau und Programm gab es in dieser Zeit?

Nina Ritz: Dieses Jahr findet Jugend und Parlament zum ersten Mal nach vier Jahren coronabedingter Pause statt. Eine Neuerung in der Durchführung ist, dass wir eine digitale Plattform für das Spiel nutzen. Zuvor wurde immer sehr viel Material auf Papier ausgedruckt, ganze Berge von Papier. Das hat während des Spiels zu Verzögerungen geführt, da jeder Ausschussbericht, jede Beschlussempfehlung und jeder Änderungsantrag erstellt, ausgedruckt und verteilt werden musste. Jetzt haben alle Teilnehmenden auf der Plattform ihr eigenes Profil und können auch das von anderen einsehen. Dort finden sich auch alle Dokumente, die für Sitzungen gebraucht werden, und man kann alle Programmpunkte unmittelbar aufrufen. Dies wird den Spielablauf mit Sicherheit beschleunigen, und wir sind gespannt auf die Dynamik, die dadurch entsteht. Die Digitalisierung der Spielmaterialien ist auch zeitgemäß und entspricht den Nutzungsgewohnheiten der jungen Generation.  

Frank Burgdörfer: Von Jahr zu Jahr verändern wir immer wieder kleinere Dinge in Ablauf und Organisation. Das Spiel sollte in seinen Regeln aber nicht ausarten, weil sonst gar keine richtige Diskussion stattfinden würde oder der ein oder andere nötige Streit. Wir sind ständig am Feinjustieren, denn auch jede Gruppe entwickelt eine andere Dynamik, die man nie vorhersagen kann. Eine wesentliche Sache, die wir über die Zeit verändert haben, ist die Bedeutung, die wir den Landesgruppen beimessen. Früher war die Landesgruppe die Einheit, in die man zu Beginn des Spiels eintritt, wo man seine Rolle erhält und erklärt bekommt. Jetzt haben wir im Ablauf ergänzt, dass man sich zum Tagesabschluss wieder in der Landesgruppe, die ungefähr 28 Mitglieder hat, trifft. Somit ergibt sich die Gelegenheit für die Teilnehmenden, gemeinsam mit dem Team, das sie anleitet, zu reflektieren, was passiert ist und warum das so war. 

Worauf freuen Sie sich in diesem Jahr besonders?

Nina Ritz: Also ich freue mich darauf, die Teilnehmenden tatsächlich in Person zu sehen. Dann erwacht die ganze Vorarbeit, die wir seit knapp einem Jahr leisten, endlich zum Leben. 

Frank Burgdörfer: Das geht mir genauso, ich freue mich vor allem auf die Teilnehmenden. Gerade wenn man in der politischen Bildung tätig ist, erlebt man sonst nie 300 Leute, die an einem Projekt teilnehmen und dieses aktiv gestalten. Das ist etwas anderes als ein einfaches Seminar. Bei Jugend und Parlament tauchen alle für vier Tage intensiv in die Welt ein, die wir für sie aufbauen.

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