Einfach erklärt So funktioniert die Genschere
Nico Amiri
CRISPR – nein, hier geht's nicht um Frühstückflocken, sondern um die neue Gen-Superkraft, die derzeit für Schlagzeilen sorgt. Wie das Verfahren genau funktioniert, hat Nico recherchiert und dazu auch mit einem Experten gesprochen.
CRISPR was? Es klingt nach Frühstücksflocken, Pizzarand oder weißer Schokolade. Tatsächlich ist es ein Gentechnikverfahren mit dem exakten Namen CRISPR/Cas9. Und das revolutioniert gerade die Forschung. Um besser zu verstehen, worum es geht, haben wir den Forscher und Immunologen Dimitrios Wagner von der Berliner Uniklinik Charité um Aufklärung gebeten. Gemeinsam mit ihm ist Autor Nico den folgenden Fragen auf den Grund gegangen:
Was bedeuten CRISPR und Cas9?
Bakterien sind Einzeller und damit relativ einfach aufgebaute Lebewesen. Um sie vor dem Eindringen von Viren zu schützen, hat sich die Natur etwas ausgedacht: die CRISPR-Superkraft. Diese Abkürzung steht für "Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats". Dahinter verbergen sich kurze und sich wiederholende Abschnitte in der DNA, also im Erbgut der Bakterien.
Nach einer Vireninfektion nimmt das Bakterium Teile der fremden Viren-DNA in die CRISPR-Bereiche auf. Damit kann es den Angreifer bei einem erneuten Versuch direkt erkennen und mit einem Enzym namens Cas9 dessen DNA schneiden und damit den Angreifer abwehren. Das Bakterium ist so immun gegen den Virenangriff geworden.
Wie können wir uns das zunutze machen?
Der Mechanismus aus der Natur lässt sich inzwischen auch im Labor nutzen und zwar nicht nur bei Bakterien. Denn die DNA, also das Erbgut, ist in ihrer Grundstruktur bei allen Lebewesen gleich. Bis vor einem Jahrzehnt war es in der Forschung noch nicht möglich, sich die clevere Methode zu eigen zu machen. Gleich mehrere Forschungsgruppen schafften es in letzter Zeit nun, den Mechanismus CRISPR/Cas9 in ihren Laboren zu nutzen.
CRISPR/Cas9 ist nicht die erste sogenannte "Genschere", ihre Präzision aber eröffnet ganz neue Möglichkeiten: Theoretisch ist das Enzym Cas9 in der Lage, die DNA an jeder beliebigen Stelle zu schneiden und zu verändern. Mit den bisherigen Werkzeugen hat das nicht funktioniert.
Wie funktioniert das Verfahren genau?
Um das alles zu verstehen, müssen wir uns noch einmal kurz mit der DNA beschäftigen. In jeder Zelle eines Lebewesens findet sich das Erbgut im Zellkern. Dieses lässt sich mittlerweile künstlich verändern: Gentechniker können einzelne Gene an- und ausschalten oder neue Information einfügen. Das Cas9-Enzym trägt eine kurze Genfolge in sich. Diese Leitsequenz, auch "Guide RNA" genannt, können Wissenschaftler künstlich erzeugen und so zum Beispiel an die der Zelle, die verändert werden soll, anpassen.
So kann das Cas9-Enzym die Gene an der gewünschten Stelle schneiden. Es kann beispielweise einen Genabschnitt aus dem Erbgut herausschneiden oder neue Erbinformation in die DNA einfügen. Die Folge ist, dass die Zelle nun anders arbeitet als vorher: die Erbinformation hat sich verändert und damit der Bauplan für die Zelle.
Wo kann dieses Verfahren eingesetzt werden?
Derzeit gibt es Hoffnungen, die neue Gentechnik in vielen Forschungsbereichen einzusetzen, zum Beispiel um Krankheiten zu heilen. In Freiburg werden derzeit Autoimmunerkrankungen bei Kindern unter die Lupe genommen. Das sind Krankheiten, bei denen das Immunsystem den eigenen Körper angreift und ihn dadurch schwächt. Mit CRISPR/Cas9 könnten die Forscher Vorläufer der Immunzellen, die von Mutationen, also untypischen Veränderungen betroffen sind, so bearbeiten, dass diese (wieder) richtig funktionieren und die Fehler im Immunsystem korrigieren.
Auch bei der Organtransplantation könnte die Genschere neue Türen öffnen. Mit der Möglichkeit, Organe aus Tieren zu entnehmen, sie zu bearbeiten und an den Menschen anzupassen, ließe sich der Engpass an Organen verringern.
Auch in der Landwirtschaft kann das Verfahren genutzt werden, zum Beispiel in der Pflanzenzüchtung. Die Grenzen zwischen klassischer Züchtung und Gentechnik verschwimmen durch ihren Einsatz. Das liegt daran, dass die neue Technik sich Abläufe zunutze macht, die auch in der Natur vorkommen. Mitunter ist die fremde DNA aus dem Labor bei einigen Nachkommen der Pflanzen nicht mehr nachweisbar.
Welche Risiken birgt das Verfahren?
Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten – ganz und gar problemlos ist das neue Verfahren nicht. Ein großes Risiko sind die unabsehbaren "off target"-Effekte dieser Technik. Das meint den möglichen Einfluss der Genschere an anderen Orten als den gewünschten, fern des eigentlichen Ziels. Die DNA könnte auch an einem anderen Ort geschnitten werden, als ursprünglich geplant, und Schäden anrichten.
Aber es ergeben sich nicht nur technische Probleme. Einem Forscher in China ist es angeblich gelungen, einen menschlichen Embryo mit CRISPR/Cas9 zu verändern. Das Verfahren wäre damit ein biomedizinischer Durchbruch bei der Arbeit auch mit menschlichen Embryos. Die große Angst vorm "Designer-Baby" wird damit sehr real. Am Ende ließen sich mithilfe von CRISPR/Cas9 womöglich Menschen ganz nach den Wünschen ihrer Eltern "herstellen".
Was sind die Vorteile?
Die Genschere ist leicht veränderbar und damit an die Bedürfnisse von Wissenschaftlern anpassbar. Die Zeitersparnis ist im Vergleich zu anderen Werkzeugen der Genetik enorm und gleichzeitig sind die Kosten niedrig. Viele Forscher argumentieren, dass die "rote Gentechnik", also der Einsatz nicht im Bereich der Pflanzenproduktion, sondern bei Tieren und Menschen, dabei helfen kann, bislang unheilbare Krankheiten zu heilen.
Bisher war es ein Problem, dass der Körper nach einer Gentherapie sein Immunsystem aktiviert und gegen die fremde DNA ankämpft. Die neue Genschere soll die Immunreaktion des Körpers erst gar nicht hervorrufen. Die Gentechnik zeigt ein großes Potential beim Bekämpfen seltener Krankheiten. Viele Forscher und Mediziner verbinden mit ihr die Hoffnung, neue Therapien zu finden.
Über Dimitrios Laurin Wagner:
Dimitrios Laurin Wagner (26 Jahre) ist Doktorand am BCRT (Berlin-Brandenburg Center of Regenerative Therapies) und Promotionsstipendiat des Berlin Institute of Health (BIH). Das BCRT wurde 2006 als Zusammenschluss der Charité-Universitätsmedizin Berlin und der Helmholtz-Gemeinschaft gegründet. Mehr als 250 Menschen – Ärzte, Naturwissenschaftler, Ingenieure, Doktoranden und technische Mitarbeiter – arbeiten dort. Das Team um Dimitrios Wagner forscht zu CRISPR/Cas9.
Nico Amiri
Nico Amiri
studiert Biomedizin