Zum Inhalt springen

Vizepräsidentin Roth "Meine Arbeit ist härter geworden"

Jana Borchers

Was hat der Job einer Bandmanagerin mit dem einer Vizepräsidentin des Bundestages gemeinsam? Das wollte Jana von Claudia Roth (Grüne) wissen, die sich selbst als "ein bisschen bunter, ein bisschen lauter und direkter" als andere Politiker bezeichnet.

Claudia Roth im Interview

"Für viele bin ich sogar genau das Gegenteil von dem, was sie sich unter einer Politikerin vorstellen", sagt Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth. © Michael Kuchinke-Hofer

Portraitfoto Claudia Roth

Roth: "Gute Redner sind für mich diejenigen, denen man Leidenschaft anmerkt und dass sie das, was sie sagen, auch meinen." © Michael Kuchinke-Hofer

Claudia Roth im Interview

Als Vizepräsidentin versteht sie sich als "oberste Schützerin unserer Verfassung, des Grundgesetzes". © Michael Kuchinke-Hofer

Frau Roth, als Ihre Partei 2012 um mehr weibliche Mitglieder warb, geschah dies mit dem Slogan "Wer nervt mehr als Claudia Roth?". Kann es hinderlich für die Arbeit als Vizepräsidentin sein, dass Sie als Person so stark im Vordergrund stehen?

Ich glaube, bei der ersten Wahl haben viele Kollegen sich das auch gedacht. Ich habe die nötige Mehrheit bekommen, aber das war kein grandioses Ergebnis. Bei der zweiten Wahl hatte ich dann ein supergutes Ergebnis. Das heißt, da gibt es viele, die meine Arbeit anerkennen und die mich so akzeptieren, wie ich bin.

Und ich bin vielleicht ein bisschen bunter, ein bisschen lauter und direkter. Für viele bin ich sogar genau das Gegenteil von dem, was sie sich unter einer Politikerin vorstellen. Aber, dass ich als Claudia Roth, als Grüne, als Frau auch Vizepräsidentin sein kann, ist ja andererseits auch ein Beispiel dafür, wie sich unser Land weiterentwickelt hat, wie viel bunter und vielfältiger es geworden ist.

Sie haben in den 80er Jahren als Managerin der Rockband "Ton Steine Scherben" gearbeitet. Haben Sie da Erfahrungen gemacht, die Ihnen bei der Arbeit als Vizepräsidentin zugute kommen?

Das hat mir unglaublich viel gegeben. Zum Beispiel habe ich gelernt, dass Reichtum sich nicht nur am Kontostand messen lässt – auch wenn Geld natürlich zum Leben nötig ist – sondern auch an der Leidenschaft für das, was du tust. Dass du deine Arbeit nicht nur für Geld oder Karriere machst, sondern um etwas zu verändern. Dass man nicht zufrieden sein muss mit den Verhältnissen. "Ich will ich sein, anders kann ich nicht sein", das hat Rio Reiser von den Scherben gesungen, und "Der Traum ist aus, aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird". Da gibt es viele Zitate von tollen Songs, die mir immer noch Kraft geben.

Als Bundestagsvizepräsidentin leiten Sie häufig Sitzungen des Bundestages. Was war die kniffligste Situation, die Sie da erlebt haben?

Die kniffligste Situation dieser Amtsperiode war der Versuch der AfD entgegen der Geschäftsordnung des Bundestages eine Schweigeminute im Plenum zu inszenieren. Das war ein sensibles Thema, weil ein Mädchen getötet worden war und die Stimmung entsprechend emotional aufgeladen war. Die AfD hat versucht, diesen Tod und die Trauer rassistisch zu instrumentalisieren, für ihre Zwecke zu nutzen. Mein Job war es, dafür zu sorgen, dass die Regeln des Hauses eingehalten werden: Gesprochen wird nur zum Tagesordnungspunkt, über Schweigeminuten müssen sich die Fraktionen vorab verständigen.

Es gibt nun sechs statt vier Fraktionen im Bundestag. Was hat sich dadurch verändert?

Erstens ist der Bundestag natürlich viel größer, er ist mit 709 Abgeordneten das zweitgrößte Parlament der Welt. Viele Themen sind umstrittener. Vor allem mit der AfD ist da ein anderer Sound, sind andere Inhalte in den Bundestag gekommen. Auch meine Arbeit ist dadurch härter geworden: Du musst nicht nur die Ordnung der Debatte, sondern auch die Würde des Bundestages garantieren und Angriffe gegen unsere demokratischen Grundwerte abwehren. Sexismus, Rassismus, Verharmlosung unserer Geschichte oder persönliche Angriffe auf einzelne Menschen? Damit werden für mich Grenzen überschritten, was die Würde des Bundestages angeht.

Sie gehören der Grünen-Fraktion an, bis 2013 waren Sie auch Vorsitzende der Partei. Als Vizepräsidentin müssen sie jedoch neutral handeln. Fällt das schwer?

Natürlich muss ich objektiv sein. Ich kann keine grüne Sitzungsleitung machen und ich darf auch niemanden bevorzugen. Aber das heißt natürlich nicht, dass ich mich zu nichts äußern darf. Ich bin ein politischer Mensch und natürlich habe ich Meinungen und die werde ich sagen, auch als Vizepräsidentin. Zugleich bin ich als Vizepräsidentin auch von parteipolitischer Enge befreit und kann mich in diesem Amt für Demokratie und Menschenrechte stark zu machen.

Während der Sitzungen können Sie die Abgeordneten genau beobachten. Was macht für Sie einen guten Redner aus und haben Sie Tipps, wie man einer wird?

Gute Redner sind für mich diejenigen, denen man Leidenschaft anmerkt und dass sie das, was sie sagen, auch meinen. Außerdem sind das die, die sich vorbereiten – denn eine gute Rede fällt nicht einfach so vom Himmel, das ist ein richtig harter Job! Gute Redner gehen auf das ein, was die Redner vor ihnen gesagt haben. Denn das Parlament lebt ja nicht von einem geschlossenen Vortrag, sondern von Diskussionen. Es geht ja häufig um sehr schwierige Themen, wichtig ist daher auch, dass man die verständlich runterbrechen kann.

Dürfen Sie als Vizepräsidentin gewisse Themen voranbringen? Welche sind Ihnen wichtig?

Ich verstehe mich als oberste Schützerin unserer Verfassung, des Grundgesetzes. Und wir haben eine wunderbare Verfassung. Da steht zum Beispiel im ersten Artikel der Satz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und in unserem Land wird diese Würde angetastet. Es kann nicht sein, dass Menschen aufgrund ihrer zugeschriebenen Herkunft, vermeintlicher Hautfarbe oder sexueller Orientierung Angst haben müssen. Zusammenhalt auf Basis des ersten Artikels des Grundgesetzes, ist für mich das Wichtigste.

Über Claudia Roth:

Claudia Roth, geboren 1955, ist Mitglied der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie zog 1998 zum ersten Mal in den Bundestag ein. Von 2001 bis 2002 und von 2004 bis 2013 war sie außerdem Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Seit 2013 ist sie Vizepräsidentin des Bundestages. Ihr Wahlkreis ist Augsburg-Stadt.

Jana Borchers

Mitmischen-Autorin

Jana Borchers

studiert Soziologie und Politikwissenschaft

Du hast auch Lust, bei uns mitzumischen?

Schreib für uns!

Mehr zum Thema