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Kinder im Krieg Lernen statt leiden

Julia Weise

Weltweit leben rund 420 Millionen Kinder in Konfliktgebieten. Was tut die Bundesrepublik Deutschland, um zu helfen? Darüber haben jetzt Experten im Bundestag diskutiert.

Kind mit Gewehr

Nach Angaben von Save the Children sterben im Bürgerkrieg im Jemen täglich 120 Kinder. Als Kindersoldat, bei Gefechten oder an Hunger. © dpa

420 Millionen Kinder betroffen

In Nigeria wurden 2014 Mädchen aus einer Schule entführt, vergewaltigt und zwangsverheiratet. In der Ost-Ukraine in den ehemaligen Kampfgebieten müssen Kinder auf dem Schulweg auf Minen achten. In der Region um den Tschad-See in Zentralafrika sind viele Schulen geschlossen, weil sie zerstört wurden oder der Weg dahin wegen anhaltender Kämpfe viel zu gefährlich ist. Kinder, die in solchen Konfliktgebieten leben, haben keine Angst vor der nächsten Klausur, sondern davor, schwer verletzt oder getötet zu werden.

"Kinder in Konfliktgebieten" hieß das Thema einer öffentlichen Anhörung im Deutschen Bundestag. Doch dazu später mehr. Widmen wir uns erstmal aktuellen Zahlen: Die Hilfsorganisation Save the Children hat zusammen mit dem Institut für Friedensforschung Oslo untersucht, wie viele Kinder es in solchen Konfliktgebieten gibt und wie es ihnen dort geht. Sie fand heraus, dass weltweit 420 Millionen Kinder in Kriegen und Konflikten aufwachsen. Das sind fünf Mal so viele, wie Deutschland Einwohner hat!

Besonders gefährlich: Afrika und Naher Osten

Was genau ist ein Konfliktgebiet? Ein Kind lebt in einem Konfliktgebiet, wenn im Umkreis von 50 Kilometern oder weniger eine bewaffnete Auseinandersetzung stattfindet, so die Studie von Save the Children – etwa durch das staatliche Militär, Rebellen oder Terroristen. In der Studie gelten alle Personen als Kinder, die jünger als 18 Jahre sind.

Besonders gefährlich ist es in Afrika und dem Nahen Osten. Dazu zählen Länder wie der Sudan, Syrien und der Jemen. Im Jemen leben laut der Studie sogar 90 Prozent aller Kinder in Konfliktgebieten. Besonders problematisch ist, dass diese Kinder nicht nur Opfer von Gewalt werden, sondern auch schlechten Zugang zu Nahrung, Ärzten und Schulen haben. Diese indirekten Folgen eines Konflikts können dazu führen, dass besonders kleinere Kinder frühzeitig sterben, beispielsweise vor Hunger oder an Krankheiten. Neben den körperlichen Folgen leiden Kinder aber auch unter den seelischen Auswirkungen von Konflikten. Die Erfahrungen von Gewalt können sie traumatisieren und sie in ihrem Leben stark beeinträchtigen.

Die Liste der Schande

Damit Kinder in Konflikten besser geschützt werden, hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) eine sogenannte "Liste der Schande" eingeführt. Auf dieser jährlich aktualisierten Liste stehen Länder, in denen schwere Verletzungen der Kinderrechte begangen wurden. Die Einhaltung der Kinderrechte wird von allen Mitgliedsländern als sehr wichtig betrachtet. So haben alle Mitglieder die UN-Kinderrechtskonvention unterschrieben und, mit Ausnahme der USA, auch durch ihre Parlamente bestätigen lassen. Die Länder stehen also unter einem politischen Druck, wenn sie auf dieser Liste auftauchen. Um wieder davon gestrichen zu werden, müssen die Konfliktparteien mit den Vereinten Nationen einen Aktionsplan vereinbaren. Dieser Plan beinhaltet konkrete Maßnahmen, um bestimmte Verletzungen von Kinderrechten zu verhindern. In Afghanistan wird zum Beispiel gerade ein Aktionsplan mit der nationalen und lokalen Polizei umgesetzt, um die Rekrutierung von Kindersoldaten zu beenden.

Aktenkundig seit 2005

Laut UN gibt es sechs schwere Verletzungen von Kinderrechten: Töten und Verstümmeln, sexuelle Gewalt, Rekrutieren von Kindersoldaten, Entführungen, Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser und die Verweigerung humanitärer Hilfe. Die ersten beiden Punkte müssen nicht unbedingt bewusst gegen die Kinder gerichtet sein – manchmal geraten sie auch einfach ins Kreuzfeuer der Kriegsparteien. Und wenn die humanitäre Hilfe fehlt, kommen zu den direkten Folgen die indirekten hinzu: Unterernährung wegen des Mangels an Lebensmitteln, Krankheiten durch schlechte hygienische Bedingungen, psychische Traumata als Folge von Kriegserlebnissen.

2005 haben die Vereinten Nationen ein System eingeführt, das überwacht, ob eine Konfliktpartei sich eines der genannten Verbrechen schuldig macht. Vor Ort werden dann konkrete Informationen zu den Vorfällen gesammelt und die Ergebnisse jährlich in einem Bericht veröffentlicht. Der aktuelle Bericht betrachtet die Zeit von Dezember 2017 bis Dezember 2018. Darin fordert die Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, dass alle Staaten Maßnahmen ergreifen, um die Rechte der Kinder zu schützen. Sie ist besorgt, dass in Konflikten die Zivilbevölkerung und damit auch Kinder angegriffen werden, und fordert, dass die Konfliktparteien internationale Abkommen einhalten, die die Zivilbevölkerung schützen.

Was hat der Bundestag damit zu tun?

Seit Beginn des Jahres ist Deutschland eines von zehn nicht-ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Mit den fünf ständigen Mitgliedern, die als einzige auch ein Veto-Recht haben, kann Deutschland nun für die nächsten zwei Jahre direkten Einfluss auf die Weltpolitik ausüben. Der Sicherheitsrat ist auch für die Überwachung der Kinderrechte in Konfliktgebieten verantwortlich. Im Februar lud deshalb der Unterausschuss für zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln zu einem öffentlichen Fachgespräch ein. Der Unterausschuss ist Teil des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags.

Deutscher Einsatz für die Kinderrechte

Neben den Mitgliedern des Unterausschusses waren vier Gäste geladen: Als erstes sprach Wiebke Rückert aus dem Auswärtigen Amt über das deutsche Engagement im Sicherheitsrat. Deutschland will sich dafür einsetzen, dass die Einhaltung von Menschen- und Kinderrechten in allen Gruppen und Diskussionen des Sicherheitsrats thematisch berücksichtigt wird.

Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung engagiert sich in seinen Projekten für Kinderrechte. Es gibt zwar keine Programme explizit für Kinder in Konfliktgebieten, erklärte Dr. Thomas Helfen, jedoch ist die Wiedereingliederung von geflüchteten Kindern und die Ausbildung von Kindern mit Gewalterfahrungen Teil einiger Entwicklungsprojekte.

Nato: Schutz vor Rekrutierungen

Dritter Gast war Swen Dorig vom Nato-Hauptquartier der Alliierten Streitkräfte in Europa. Er betonte, dass der Schutz von Kinderrechten auch eine Aufgabe für alle Bereiche des Verteidigungsbündnisses sein soll. Die Nato legt besonderen Wert darauf, Kinder vor der Rekrutierung als Soldaten zu schützen.

Täter zur Rechenschaft ziehen

Den letzten Vortrag hielt Ekkehard Forberg vom Kinderhilfswerk World Vision. Die Organisation beobachtet für den UN-Sicherheitsrat die Situation von Kindern weltweit. Forberg forderte, dass sich Deutschland stärker dafür einsetzt, Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Außerdem wünscht er sich, dass es Kinderschutzzentren in Konfliktgebieten gibt und Kinder besser darüber aufgeklärt werden, an wen sie sich wenden können, wenn ihnen Gewalt widerfährt.

Falls ihr euch die komplette Expertenanhörung nochmal als Video anschauen wollt, gibt es hier den Mitschnitt in der Mediathek.

Julia Weise

Mitmischen-Autorin

Julia Weise

studiert Friedens- und Konfliktforschung

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