Hilfetelefon für Frauen „Kostenlos, vertraulich, anonym“
Wo bekommen Frauen Hilfe, wenn sie Gewalt erfahren? Und an wen können sich Mädchen wenden? Diese Fragen beantwortet Petra Söchting, die Leiterin des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ im mitmischen-Interview.
Frau Söchting, das Hilfetelefon richtet sich an Frauen, die von Gewalt betroffen sind, sowie an ihre Angehörigen, Freundinnen und Freunde. Warum braucht es ein Angebot speziell für diese Gruppe?
Wir wissen, dass das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen erschreckend hoch ist. Jede dritte Frau berichtet, dass sie mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt erfahren hat. Doch nur wenige Betroffene finden den Weg zu einer Beratung. Eine Studie aus dem Jahr 2004 zeigt: Nur 25 Prozent der Frauen nehmen Beratungs- und Unterstützungsangebote in Anspruch.
Um den Weg zu Unterstützung und Hilfe so leicht wie möglich zu machen, wurde das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ gegründet. Man kann uns rund um die Uhr kontaktieren. Kostenlos, vertraulich und anonym.
Wie können Sie helfen?
Das Hilfetelefon berät zu allen Formen von Gewalt gegen Frauen. Häufig geht es um häusliche Gewalt, also um Gewalt in einer Partnerschaft oder einer ehemaligen Partnerschaft, aber auch um Themen wie sexualisierte Gewalt, Zwangsverheiratung und Gewalt im Rahmen von Prostitution. Es geht um Mobbing und Stalking und zunehmend auch um digitale Gewalt.
Können Sie in etwa einschätzen, wie die Altersstruktur und Hintergründe der Anruferinnen sind?
Nein, das können wir nicht. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, solche Daten zu erheben. Anonymität und Vertraulichkeit sind uns sehr wichtig. Wir wissen, wie schwer es vielen Frauen fällt, sich nach außen zu wenden und über das zu sprechen, was sie erlebt haben. Was wir aber ganz sicher sagen können ist, dass Gewalt gegen Frauen jede Frau treffen kann. Unabhängig davon, wie alt sie ist oder welchen kulturellen und sozialen Hintergrund sie hat.
Manchmal wenden sich auch Angehörige, Freundinnen und Freunde oder Arbeitskolleginnen und -kollegen von Betroffenen an uns. Sie sind oft die ersten, die merken: Da stimmt etwas nicht.
Wie gehen Sie mit Anfragen von Kindern und Jugendlichen um?
Kinder und Jugendliche gehören nicht zu unserer Zielgruppe. Dennoch passiert es, dass sie sich bei uns melden und natürlich legen wir dann nicht auf. Wir versuchen, sie so gut es geht zu stützen und an passende Angebote weiterzuvermitteln. Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche sind zum Beispiel die „Nummer gegen Kummer“ und die „bke-Jugendberatung“.
Welche konkreten Probleme bewegen die Anruferinnen besonders häufig?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Was wir sagen können ist, dass es seit dem Start des Hilfetelefons im Jahr 2013 in 60 Prozent der Anfragen um häusliche Gewalt geht. Darüber hinaus rufen uns Frauen aber aus ganz unterschiedlichen Gründen, mit ganz unterschiedlichen Anliegen und aus ganz unterschiedlichen Situationen heraus an. Es kann darum gehen, in einer konkreten Gefahrensituation Hilfe zu organisieren. Oder darum, über eine schon lange zurückliegende Gewalterfahrung zu sprechen.
Immer wieder hört man, die Corona-Krise verschärfe die Situation vieler Paare und Familien. Können Sie das bestätigen?
Seit April 2020 gehen bei uns ein Fünftel mehr Anfragen ein. Das muss allerdings nicht heißen, dass das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen in demselben Maße angestiegen ist. Denn die Zahl, wie viele Frauen sich bei uns melden, hängt immer auch davon ab, wie präsent Hinweise auf unser Angebot in der Öffentlichkeit sind. Seit dem Beginn der Corona-Krise wird in Zeitungen und im Fernsehen sehr oft auf das Hilfetelefon hingewiesen.
Was wir aber aus den einzelnen Beratungen wissen, ist, dass in der angespannten Krisensituation mit der räumlichen Enge, all den Beschränkungen und finanziellen Ängsten Konflikte zunehmen. Bei vielen liegen die Nerven blank und das entlädt sich leider immer wieder.
Wer nimmt die Anrufe entgegen?
Bei uns arbeiten ausschließlich weibliche Beraterinnen, die alle ein Studium im sozialen Bereich abgeschlossen haben. Ihre Aufgabe ist die Erstberatung. Wenn Ratsuchende und Beraterin gemeinsam zu dem Ergebnis kommen, weitere Hilfe ist nötig, dann vermitteln wir an Einrichtungen vor Ort. Wir sind sehr flexibel. Zum Beispiel können wir jederzeit innerhalb von einer Minute eine Dolmetscherin zu den Gesprächen zuschalten, für 17 Fremdsprachen.
Die Arbeit ist sehr herausfordernd. Wenn das Telefon klingelt, wissen die Beraterinnen nie, was sie erwartet. Sie müssen sich immer wieder auf die Ratsuchenden und ihre Geschichten einlassen.
Wie können Sie dem Menschen am anderen Ende der Leitung konkret helfen?
Es gibt keine Standardantwort oder Patentlösung, die wir den Frauen anbieten können. Es ist wichtig, dass die Beraterin erst einmal da ist, zuhört und Vertrauen schafft. Dass sie eine Situation herstellt, in der die Ratsuchende über ihre Gewalterfahrung sprechen kann. Auch, wenn es schwer fällt und häufig schambehaftet ist. Denn Gewalt zu erleben, verletzt nicht nur körperlich, sondern ist auch psychisch sehr schwer zu verarbeiten. Wenn sie im unmittelbaren Umfeld passiert, fragen sich die Frauen oft: Warum passiert das ausgerechnet mir? Bin ich mit Schuld an der Situation? Viele Betroffene haben auch Angst ...
… wovor genau?
Sie haben Angst davor, dass die Situation noch schlimmer wird, wenn sie sich nach außen wenden. Vor allem bei Gewalt in Partnerschaften. Oder, dass ihnen nicht geglaubt wird. Auch sehen sie sich oft in Abhängigkeiten gefangen, finanziell oder wegen ihrer Kinder. Wir möchten ihnen Mut machen und zeigen: Es ist gut und richtig, dass sie sich nach außen gewandt haben.
Gibt es Alternativen zur Telefonberatung?
Neben dem telefonischen Kontakt zum Hilfetelefon gibt es die Möglichkeit, die Online-Beratung in Anspruch zu nehmen. Der Zugang erfolgt über unsere Website www.hilfetelefon.de. Datensicherheit und Anonymität sind auch online gewährleistet. Es gibt die Möglichkeit, uns eine E-Mail-Anfrage zu schicken, im Termin-Chat einen Beratungstermin zu vereinbaren oder im Sofort-Chat täglich zwischen 12 und 20 Uhr Kontakt mit den Beraterinnen aufzunehmen.
Darüber hinaus beraten wir mehrsprachig und können außerdem eine Gebärdendolmetscherin hinzuziehen, wenn sich Frauen mit Hörbeeinträchtigung bei uns melden. Und unsere Beraterinnen sind darin geschult, in leichter Sprache zu beraten. Das ist wichtig für Frauen mit Beeinträchtigungen.
Über Petra Söchting
Petra Söchting, 58, leitet das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Dies gehört zum Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, einer nachgeordneten Behörde des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Söchting ist Diplompsychologin und psychologische Psychotherapeutin. Bevor sie 2012 das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ mit aufbaute, war sie unter anderem in einem Frauenhaus tätig.