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Gesellschaft Können Menschen mit Behinderung überall mitmachen?

Ob Bildung, Kultur oder etwa Arbeit: Menschen mit Behinderung sollen überall mitmachen können. Dazu hat der Bundestag 2016 ein Gesetz verabschiedet. Wirkt es? Das ist unter den Fraktionen umstritten.

Als das Bundesteilhabegesetz 2016 beschlossen wurde, gab es bundesweit Proteste© dpa

Das Ziel der Politik in Deutschland ist eindeutig: Menschen mit Behinderung sollen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens mitmachen können. Man sagt dazu auch: sie sollen teilhaben können. Die Realität sieht aber leider oft anders aus. Um Menschen mit Behinderung zu unterstützen, hat der Bundestag daher 2016 das Bundesteilhabegesetz verabschiedet.

Zeigt die neue Regel Wirkung? Das hat die Bundesregierung jetzt untersucht. Über die Ergebnisse sprachen die Abgeordneten des Bundestages erstmalig am 11. März.

Warum eine Untersuchung?

Ziel des neuen Gesetzes war es, die sogenannte Eingliederungshilfe weiterzuentwickeln. Als Eingliederungshilfen werden alle Leistungen des Staates bezeichnet, die dazu beitragen, Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft zu integrieren. Dazu gehören Integrationshelfer in Schulen, persönliche Assistenzen oder Unterstützung bei der Arbeit oder für die Ausbildung.

Mit all diesen Maßnahmen sollen Menschen mit Behinderungen individuell unterstützt und befähigt werden, selbstbestimmter am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Als das Gesetz formuliert wurde, äußerten einige Sozial- und Behindertenverbände Kritik an den Regelungen. Dies führte dazu, dass sinngemäß eingefügt wurde: Die Bundesregierung muss dem Parlament regelmäßig mitteilen, wie sich das Gesetz ausgewirkt hat.

SPD: Auf auf gutem Weg

Die Parlamentarische Staatssekretärin Kerstin Griese (SPD) äußerte sich positiv über die Ergebnisse der Untersuchungen. „Wir sind ein gutes Stück weiter auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft“, sagte sie. Zur Erklärung: "Inklusiv" meint, dass alle eingeschlossen sind.

Griese merkte an, dass die Reformen Mühe und Nerven kosten und noch nicht überall klappen würden. „Aber der bestehende Begleitprozess trägt zum Gelingen dieser großen und wichtigen sozialpolitischen Reform bei“, sagte sie abschließend.

AfD: Ein "Bürokratiemoloch"

Uwe Witt (AfD) warf der Bundesregierung vor, ein „Bürokratiemoloch“ erschaffen zu haben. Statt die Lebenssituationen von Menschen mit Behinderungen zu verbessern, würden komplizierte Gremien und Regeln eingeführt.

Außerdem hätte das Parlament keinen Einfluss auf das Gesetz genommen, sondern unkritisch den Entwurf aus dem Ministerium für Arbeit und Soziales umgesetzt. Mit den Untersuchungen über die Auswirkungen würden Steuergelder verschwendet und zwar genau 48 Millionen Euro. Für Witt sind die Ergebnisse klar: „Es gibt kein Ergebnis“, sagte er.

CDU: Wichtig, zu überprüfen

Gegen die Vorwürfe der AfD wehrte sich Wilfried Oellers (CDU/CSU). Für ihn sei es die Pflicht des Gesetzgebers, seine Gesetze regelmäßig zu überprüfen. Außerdem habe das Parlament den Entwurf des Ministeriums nicht einfach übernommen, sondern mehr als 100 Änderungsanträge hineingearbeitet. „Sie können das natürlich nicht wissen, weil Sie in der letzten Legislaturperiode noch nicht dabei waren“, sagte er in Richtung der AfD-Fraktion.

Oellers gestand, dass bei der Umsetzung des komplexen Gesetzes noch nicht alles reibungslos liefe. Deshalb sei die regelmäßige Überprüfung wichtig. Er forderte Uwe Witt auf, seinen Vorwurf, die Untersuchungen seien Steuergeldverschwendung, zurückzunehmen, „weil es zeigt, dass Sie von der Thematik und von dem, was im Gesetz angelegt ist, im Ergebnis keine Ahnung haben“.

FDP: "Armutszeugnis"

Die Untersuchungen würden die Probleme des Gesetzes nicht aufdecken, kritisierte Jens Beeck (FDP). Er sprach Missstände an, die durch das Gesetz aus seiner Sicht nicht beseitigt würden. Er nannte zum Beispiel neue Züge der Bahn, die Menschen im Rollstuhl nicht betreten könnten. Er sprach auch über sogenannte Assistenztiere, also etwa Blindenhunde, die von den Reformen nicht erfasst würden.

„Wenn die Assistenzleistungen nicht wirklich gewährt werden, ist auch das im Grunde ein Armutszeugnis für das, was Bund und Länder gemeinsam leisten“, sagte er. Für Beeck verbessert sich die Lebenswirklichkeit vieler Menschen durch das Bundesteilhabegesetz nicht, sondern verschlechtert sich zum Teil sogar.

Linke: Niemand soll den Anspruch verlieren

Sabine Zimmermann (Linke) sprach über die Personen, die Leistungen für die Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen können. Laut der Abgeordneten wollte die Bundesregierung ursprünglich die Kriterien wesentlich verändern. Die Folge wäre gewesen, dass weniger Menschen gefördert worden wären, argumentierte sie. Nach viel Kritik hätte die Bundesregierung diese Überlegungen aber verworfen, sagte Zimmermann. Jedoch würde aktuell erneut darüber nachgedacht, was Zimmermann kritisierte. „Das Minimum muss doch sein, dass keine bisher leistungsberechtigten Personen den Anspruch verlieren“.

Grüne: Nicht genug

Corinna Rüffer (Grüne) erinnerte daran, dass das Bundesteilhabegesetz bei der Umsetzung der UN-Behindertenkonvention helfen solle. Dieses internationale Abkommen legt fest, dass Menschen mit Behinderungen so weit wie möglich gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben sollen. Für Rüffer ist dieses Ziel verfehlt. „Es war eben nicht genug“, sagte sie.

Rüffer erzählte von Betroffenen, die keine Unterstützung erhalten würden und kritisierte, dass es zu viel Bürokratie gebe. Gemeint sind damit etwa Formulare, Bescheinigungen, Anträge, Nachweise etc. Für Rüffer stellt das Gesetz „immer noch nicht den Menschen mit seinem Recht auf Selbstbestimmung in den Mittelpunkt der Politik“.

Der erste der beiden Unteruchungsberichte wurde am 11. Januar 2020 veröffentlicht, der zweite drei Tage später am 14. Januar 2020. Die ganze Debatte könnt ihr im Video ansehen:

Es gibt das Video – wie übrigens einige in der Mediathek des Bundestages – auch mit Gebärdensprache-Dolmetscher:

(tl)

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