Brexit Scheidung mit Hindernissen
Sabine Winkler
Am 29. März sollte Großbritannien die Europäische Union verlassen – eigentlich. Wer den Weg zum Brexit verfolgt, fühlt sich eher mitten in einer Soap, als in einer politischen Debatte. Sabine fasst für euch zusammen, was bisher feststeht und was noch unklar ist.
Die Lage
Fest steht: Großbritannien wird aller Voraussicht nach nicht, wie ursprünglich geplant, am 29. März 2019 aus der Europäischen Union austreten. Was passiert als nächstes? Da das aktuell noch – oder wieder – ziemlich unklar ist, werfen wir zunächst mal einen Blick zurück und sortieren das Thema Brexit der Reihe nach.
So kam es zum Brexit
Die Entscheidung für den EU-Austritt ist schon ein wenig her. Am 23. Mai 2016 haben in einer Volksabstimmung 51,9 Prozent der Briten dafür gestimmt, das Großbritannien mit der Europäischen Union über einen Austritt verhandeln soll. Es war ein sehr knappes Ergebnis. 51,9 Prozent stimmten für einen Austritt aus der EU, 48,1 Prozent für einen Verbleib. Dass es ein Votum geben sollte, hatte der damalige Premierminister David Cameron beschlossen. Erstaunlich: Nachdem die Mehrheit für den Austritt des Königreichs aus der EU gestimmt hatte, trat er von seinem Amt zurück. Theresa May wurde am 13. Juli 2016 zu seiner Nachfolgerin ernannt.
Zwei Jahre Zeit
Theresa May hatte damit einen wirklich schweren Job, denn aus der EU tritt man nicht mal eben aus wie aus dem örtlichen Fußballverein. Bisher gab es noch nicht den Fall, dass ein Mitglied die Union verlassen will. Geregelt ist ein Austritt in Artikel 50 des "Vertrags über die Europäische Union". May musste schriftlich einen Antrag bei EU-Ratspräsident Donald Tusk einreichen. Das geschah am 29. März 2017. Seitdem tickt die Uhr: Exakt zwei Jahre Zeit bleiben, um alles für die Scheidung zu regeln. Seitdem verhandelt Großbritannien mit der EU über die Bedingungen des Austritts. Entweder man einigt sich und schafft Regeln zum künftigen Verhältnis zueinander, oder Großbritannien verlässt die EU einfach so. Das würde allerdings für viele Probleme sorgen.
Abgeordnete kippen den Deal
Nach harten Verhandlungen verkündete May am 25. November 2018, sie habe eine Einigung mit der EU erzielt. Darüber musste nun noch das britische Parlament abstimmen. Am 15. Januar 2019 entschieden sich 432 Abgeordnete des Parlaments in London aber gegen Mays ausgehandelten Deal. Eine klare Niederlage, nur 202 Abgeordnete waren auf ihrer Seite. Nun arbeitet die Premierministerin an einem Plan B.
Ein gespaltenes Land
Warum ist das alles so kompliziert? Das Referendum hat das Land gespalten. Auf der einen Seite stehen die Brexitgegner, die am liebsten in der EU bleiben wollen. Wenn es aber doch zu einem Austritt kommt, wünschen sie sich zumindest eine enge Zusammenarbeit mit den verbleibenden Mitgliedsstaaten. Ihnen gegenüber stehen eben die, die für den Brexit gestimmt haben. Sie wollen, dass Großbritannien wieder komplett unabhängig wird und sich keinen EU-Regeln unterwerfen muss.
Wohin mit den Ausländern?
Unklar ist zum Beispiel, wie mit EU-Bürgern umgegangen werden soll, die in Großbritannien leben und arbeiten. Dürfen sie ohne Einschränkung weiter ihrer Arbeit nachgehen oder müssen sie neue Anträge stellen? Ähnlich steht es um die britischen Staatsbürger in Deutschland, Frankreich oder anderen EU-Ländern.
Die Sache mit den Zöllen
Viele Brexit-Gegner befürchten auch Probleme für den Handel. Die Regeln für den freien Handel innerhalb der EU würden bei einem ungeregelten Brexit wegfallen. Es würde bei der Einfuhr von Waren wieder Zölle auf beiden Seiten geben. Käse und Wurst aus Europa könnten dann für die Briten teurer werden und für uns Luxusgüter wie Whisky. Einige im britischen Parlament wollen aber, dass der Handel weiter läuft wie bisher. Einen ähnlichen Vertrag hat die EU mit Norwegen.
Die Brexitbefürworter hingegen wünschen sich, dass die britische Wirtschaft komplett unabhängig wird. Aus ihrer Sicht würde das die eigene Wirtschaft stärken, da sie keinen EU-Beschränkungen mehr unterworfen wäre, etwa bei den Fangquoten für Fisch in der Nordsee. Sie kritisieren außerdem, dass die EU keine Handelsabkommen mit den USA oder China habe. Als fünftgrößte Wirtschaftsmacht in der Union wollen sie dann selbst Abkommen mit diesen Ländern abschließen.
Noch ein Problem: Nordirland
Sollte Großbritannien die EU Ende März verlassen, liefe durch die irische Insel eine EU-Außengrenze, denn der nördliche Teil, Nordirland, gehört zu Großbritannien. Der südliche Teil, die Republik Irland, ist ein eigenständiger Staat und seinerseits EU-Mitglied. Im Moment leben die Menschen in der Grenzregion zwischen Nordirland und der Republik Irland ohne die Einschränkungen durch eine geschlossene Grenze. Eben so, wie der größte Teil der anderen benachbarten EU-Staaten auch. Damit könnte bald Schluss sein, und davor fürchten sich viele Iren, auch aus historischen Gründen. Denn bis 1998 wurden der Nordteil der Insel von Terroranschlägen erschüttert, protestantische Anhänger des Vereinigten Königreichs kämpften gegen katholische Republikaner, die eine Loslösung von London anstrebten.
Sollte es wieder eine Grenze geben, könnte der Konflikt erneut aufbrechen. Einige Iren streben noch immer nach einem vereinigten Irland. Mit einer Grenze würde dieser Traum noch weiter in die Ferne rücken. Einige militante Gruppierungen in der Republik Irland drohen schon mit neuen Anschlägen. Im Januar explodierte bereits eine Autobombe in der nordirischen Grenzstadt Derry.
Letzte Rettung "Backstop"
Der Irland-Konflikt könnte mit der sogenannten "Backstop"-Regelung verhindert werden, dann gäbe es vorerst keine Grenzkontrollen, und Großbritannien bliebe weiterhin Teil der europäischen Zollunion. Nordirland gehörte dann zusätzlich noch zum europäischen Binnenmarkt. Es würde sich für die irische Insel nichts ändern. Diese Regel tritt dann in Kraft, wenn sich die EU und das britische Parlament nicht über einen Austritts-Deal einig werden. Dies ist ein weiterer Streitpunkt, denn viele Briten, die außerhalb Nordirlands leben, haben die Sorge, dass ihr Land so indirekt noch sehr lange ein Teil der EU bleiben könnte und eben nicht unabhängig ist.
Was nun?
Derzeit folgt eine Abstimmung im britischen Parlament nach der anderen, ohne dass sich an der grundlegenden Situation etwas ändert: Es gibt kein Austrittsabkommen, auf das sich Briten und die EU-Staaten einigen könnten. Alle ausgehandelten Kompromisse hat das Unterhaus, also das britische Parlament, bislang abgelehnt. Aber einen Austritt ohne ein Abkommen befürworten weder May noch ihre Gegner im Parlament. Welche Möglichkeiten bleiben also?
Erstmal: Aufschieben
Das einzig Machbare fürs Erste: Den Brexit verschieben. Am 20. März 2019 bat Theresa May die EU-Mitgliedsstaaten, die Frist für den Austritt um drei Monate, nämlich auf den 30. Juni 2019, zu verlängern. Deswegen fand zwischen dem 21. und 22. März ein EU-Gipfel in Brüssel statt, bei dem alle EU-Mitglieder sich den Kopf über Theresa Mays neuen Vorschlag zerbrechen konnten. Denn der 30. Juni ist ein Problem. Vorher, Ende Mai, finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Sollte Großbritannien bis dahin noch ein offizielles Mitglied sein, müssten die Briten an der Wahl teilnehmen. Viele Briten, die für den Brexit sind, wollen das nicht.
Knackpunkt: EU-Wahl im Mai
Die EU hat den Briten also Folgendes angeboten: Sie dürfen den Brexit zumindest bis zum 22. Mai 2019 aufschieben. Aber nur, wenn das britische Parlament noch im März dem bereits ausgehandelten Austrittsabkommen zustimmt. Sollte dies nicht der Fall sein, dann sollen die Briten bereits zum 12. April 2019 die EU verlassen.
Was sagt der Bundestag?
Begeistert ist von dem ganzen Hin und Her natürlich keiner. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat zu dem Thema am 21. März eine Regierungserklärung im Bundestag abgegeben. Dabei stellte sie im Wesentlichen die gleichen Bedingungen wie die EU-Mitgliedsstaaten. Sollte es keine Einigung geben, brachte die Bundeskanzlerin einen EU-Sondergipfel ins Gespräch. Dort solle dann über das weitere Vorgehen der verbliebenen Mitgliedstaaten beraten werden. Komplett könnt ihr euch das Ganze hier als Video anschauen.
Und wie sehen das die Fraktionen?
Union und SPD wollen im Wesentlichen dasselbe wie die Kanzlerin. Die FDP ist für ein zweites Referendum, also dafür, dass die Bürger Großbritanniens noch einmal neu über den EU-Austritt abstimmen dürfen. Grüne und Linke warnen davor, dass der Brexit die EU schwächen könnte. Die AfD forderte von Bundeskanzlerin Merkel, den Brexit-Deal nochmal neu auszuhandeln und den Briten mehr Zeit einzuräumen.
Und nun?
Derzeit brodelt der Brexit-Topf auf Hochtouren. Fast täglich gibt es neue Fristen und Abstimmungen, morgen kann der Fahrplan schon wieder ganz anders aussehen als heute. Bis zu den Europawahlen im Mai wird wohl etwas mehr Klarheit herrschen, vorerst aber bleibt es spannend.
Sabine Winkler
Sabine Winkler
Studiert Kommunikationswissenschaft und Anglistik