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Experteninterview „Junge Menschen suchen mehr Diskurs“

Laura Heyer

Es gibt immer mehr kleine Parteien – ist das gut? Wie erreichen Parteien junge Menschen? Und braucht man überhaupt noch Wahlplakate? Diese Fragen hat Laura dem Experten für politische Kommunikation Frank Brettschneider gestellt.

Portrait Brettschneider

„Die Bedeutung der Sozialen Medien wird zunehmen“, sagt Frank Brettschneider. © Claudia Thoms

Herr Brettschneider, bei dieser Bundestagswahl treten viele neue Parteien und kleine Wählervereinigungen an. Wie nehmen Sie dieses Phänomen wahr?

Ganz neu ist diese Entwicklung nicht. Auf der kommunalen Ebene sieht man schon länger, dass immer mehr kleine Wählervereinigungen antreten. Je mehr es in der Gesellschaft anhand bestimmter Konflikte zu Unterschieden kommt, desto mehr Parteien gibt es. In den fünfziger und sechziger Jahren kann man besonders die Aufteilung in die Lager links und rechts des Parteienspektrums beobachten.

Ende der siebziger Jahre kam dann ein zweites sogenanntes „Cleavage“ hinzu, nämlich Materialismus gegen Postmaterialismus. In dieser Zeit sind die Grünen entstanden. In den Neunzigern war der große Streitpunkt die soziale Frage rund um das Thema Harz IV. Das hat zu einer Schwächung der SPD geführt und Die Linke ist stärker geworden. Und in den letzten Jahren haben zum Beispiel die Themen EU und Migration zum Entstehen der AfD geführt. Grundsätzlich sind diese Entwicklungen aber nichts Negatives.

Aber auch nicht nur positiv?

Genau. Denn Parteien haben eine sogenannte Aggregationsfunktion. Das heißt, sie bringen Menschen aus ganz unterschiedlichen Schichten zusammen. Nur: Je mehr Parteien es gibt, desto schwieriger wird es natürlich, Menschen zusammenzuführen. Außerdem werden viele Parteien bei der Wahl unter fünf Prozent bleiben; sie werden also bei der Verteilung der Sitze im Bundestag gar nicht berücksichtigt werden. Das bedeutet aber auch, dass meine Stimme als Wähler quasi wirkungslos bleibt, wenn ich diese Parteien wähle.

Ein Beispiel ist hier die „Klimaliste“. Sie wird wahrscheinlich nicht in den Bundestag einziehen – diese Stimmen fehlen dann aber möglicherweise den Grünen. Daher kann man sich überlegen, ob man seine Stimme einer kleinen Partei gibt oder strategisch einsetzt, um größere Parteien zu stärken, die bessere Chancen haben, über fünf Prozent zu kommen.

Was bedeutet denn diese Aufsplitterung für die Demokratie?

Einerseits ist sie ein Abbild unserer Demokratie: Unterschiedliche, kleine Gruppen finden durch sie ein Sprachrohr. Auf der anderen Seite wird es natürlich schwieriger, zwischen den Parteien zu umsetzbaren Lösungen zu kommen, wenn sehr viele Parteien mitreden.

Die großen Parteien haben in diesem Jahr, im Verhältnis zu anderen Jahren, recht spät ihre Wahlprogramme veröffentlicht. Warum?

Das hat mit zwei Dingen zu tun: Einerseits fanden die Parteitage, auf denen die Programme beschlossen wurden, aufgrund der Corona-Pandemie in diesem Jahr deutlich später statt als sonst. Andererseits haben sich die Parteien mit der Wahl ihrer Spitzenkandidaten dieses Mal viel Zeit gelassen. Und die Programme sind natürlich auf sie zugeschnitten.

In diesem Jahr fanden die Wahlen der Spitzenkandidaten und -kandidatinnen und auch viele Wahlkampfveranstaltungen durch Corona digital statt. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil für die Parteien?

Bisher sehe ich die Verlagerung ins Digitale noch nicht so recht. Die stärkste Neuerung war natürlich der Livestream von Veranstaltungen. Im Prinzip entspricht das aber immer noch einer alten Form von Politik: Es gibt einen Sender und viele Empfänger, aber einen richtigen Austausch mit den Wählern gibt es noch nicht.

Die Vorteile vom digitalen Wahlkampf liegen natürlich in der größeren Reichweite. In der Regel schalten sich deutlich mehr Menschen dazu, weil sie zum Beispiel nicht extra anreisen müssen. Gleichzeitig kann man das Event auch schnell verlassen. Aber den Parteien fehlt das unmittelbare Feedback der Wähler und sie können nicht unbedingt erkennen, wie die Stimmung bei den Menschen ist.

Welche Rolle spielen denn Soziale Medien mittlerweile im Wahlkampf?

Die Rolle von Sozialen Media wird zunehmen. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg konnte man das schon erkennen. Aber es gibt deutliche Unterschiede, wer welche Medien nutzt. Bei den unter 29-Jährigen ist die wichtigste Plattform Instagram, danach kommen Youtube und Facebook. Bei den über 30-Jährigen kommt Facebook an erster Stelle. 27 Prozent der Menschen nehmen den Wahlkampf auch über Social Media wahr. Aber die meisten lesen tatsächlich immer noch ganz klassisch Wahlbroschüren, diskutieren mit den Nachbarn oder schauen auf Wahlplakate.

Bringt diese Art von Wahlkampf mit Plakaten denn etwas?

Ja und nein. Wahlplakate können richtig gut und wichtig sein – oft sind sie es aber nicht. Dazu muss man sich die Funktionsweise von Wahlplakaten anschauen: Erstens weisen sie darauf hin, dass nun der Wahlkampf losgeht; sie haben eine Art Signalwirkung. Zweitens machen Wahlplakate auf Themen aufmerksam und können sie im wahrsten Sinne plakativ darstellen.

Aus Studien wissen wir eindeutig, was für Menschen wichtig ist: Auf den Plakaten muss ein Bild sein, denn Bilder finden schnell Zugang ins Gehirn. Und dann muss noch ein Schlagwort und das Logo der Partei abgebildet sein, damit die Inhalte in Erinnerung bleiben.

Oft sind aber vor allem Köpfe auf den Plakaten …

Ja das stimmt. Hier wird oft viel Geld und auch eine Chance verschwendet, den Wähler wirklich zu erreichen. Denn es befriedigt vielleicht die Eitelkeit der Wahlkreiskandidaten, bewirkt bei den Wählern aber nichts. Es ist von Wahlkampf zu Wahlkampf sehr unterschiedlich, wie gut oder schlecht die Parteien ihre Plakatkampagne umsetzen.

Wie können die Parteien junge Menschen erreichen?

Die Frage ist ja, ob man jüngere Menschen überhaupt anders erreichen muss. Es geht aus meiner Sicht erstmal nicht um das Instrument, sondern um die Themen. Parteien sollten sich fragen, was junge Menschen interessiert. Zudem suchen junge Menschen deutlich mehr den Austausch und den Diskurs. Das sollte man fördern.

Mehr über Prof. Dr. Frank Brettschneider

Prof. Dr. Frank Brettschneider ist seit April 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Kommunikation bei Bau- und Infrastrukturprojekten, die Verständlichkeitsforschung, die Politische Kommunikation (insbesondere Wahlforschung) und das Kommunikationsmanagement.

(lau)

Mitmischen-Autorin

Laura Heyer

hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.

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