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Vizepräsident Kubicki "Ich schalte die Mikros ab"

Juliane Fiegler

Manchmal habe er das Gefühl, "hier hyperventiliert alles", sagt Wolfgang Kubicki (FDP). Twitter, Instagram & Co. hätten den politischen Alltag extrem verändert, und nicht nur positiv. Juliane hat den Vizepräsidenten des Bundestages getroffen.

Wolfgang Kubicki im Interview

"Das Parlament ist der Ort, wo man Meinungen zulassen muss, selbst wenn man sie eklig findet", sagt Wolfgang Kubicki (FDP). © Michael Kuchinke-Hofer

Portraitfoto Kubicki

"Das Parlament ist der Ort, wo man Meinungen zulassen muss, selbst wenn man sie eklig findet", sagt Wolfgang Kubicki (FDP). © Michael Kuchinke-Hofer

Herr Kubicki, Sie waren im Jahr 2002 zuletzt im Bundestag und jetzt wieder seit September 2017. Was hat sich seitdem am meisten geändert?

Durch Internet und Social Media hat sich die Geschwindigkeit, in der reagiert werden muss, sehr stark verändert. In der Zeit vor 2005 haben Medien in der Regel erst am nächsten Tag publiziert, so dass mehr Zeit zum Nachdenken war. Ich empfinde das Parlament als extrem hektisch. Man hat manchmal das Gefühl, hier hyperventiliert alles.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

In einer Sitzungswoche bekomme ich manchmal Anfragen zu meiner Meinung über einen Punkt, bevor ich weiß, dass es diesen Punkt überhaupt gibt. Es ist aber kaum möglich einmal zu sagen: "Das weiß ich momentan nicht". Denn dann sind Sie im politischen Geschäft nicht mehr am Markt der Meinungen vertreten.

Was hat sich speziell durch Social Media noch verändert?

Man kann als Abgeordneter selber jetzt viele Menschen erreichen. Das ging früher nur über die Medien, es war also ein Filter da. Den gibt's jetzt nicht mehr. Das führt auch dazu, dass Abgeordnete Aussagen in die Welt setzen können, deren Wahrheitsgehalt nur schwer zu überprüfen ist, die aber trotzdem zur Meinungsbildung beitragen. Ohne da jetzt eine bestimmte Fraktion zu nennen, aber es gibt schon die Möglichkeit, Menschen über Twitter, Facebook, Youtube oder Instagram in Angst und Schrecken zu versetzen mit Informationen, die nicht zutreffend sind. Das erleben wir ja oft auf der internationalen Bühne...

... meinen Sie den US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump?

Ja genau. Wenn der morgens aufwacht und was in die Welt zwitschert, kann das Weltkrisen auslösen. An dem Beispiel sieht man, mit welcher Geschwindigkeit sich Informationen weltweit verbreiten. Ich selbst erreiche mit einem Facebook-Post bis zu 700.000 Menschen, das schaffen Regionalzeitungen nicht.

Als Bundestagsvizepräsident leiten Sie häufig Sitzungen des Bundestages. Die Augen hunderter Abgeordneter und Besucher sind auf Sie gerichtet, dazu Tausende Menschen an ihren Bildschirmen. Wie erleben Sie das?

Kameras bin ich seit mittlerweile 30 Jahren gewöhnt, daran denke ich gar nicht mehr. Trotzdem gibt es immer mal wieder knifflige Situation, zum Beispiel bei Ordnungsrufen. Da muss man sich immer erst fragen: Hat das, was ein Redner gesagt hat, jetzt einen Ordnungsruf verdient? Zum Beispiel müsste ich es rügen, wenn ein Redner zu einem anderen Abgeordneten sagt: "Sie sind ein Lügner". Aber: "Das, was sie gesagt haben, ist eine Lüge", kann ich nicht rügen. Das eine ist eine Diskriminierung der Person, das andere ist Meinungsfreiheit.

Erinnern Sie sich da an eine bestimmte Situation?

Es gab auch mal eine Kontroverse zwischen einem AfD-Abgeordneten und mir, bei der es um einen Ordnungsruf von mir ging, wegen einer Aussage des Abgeordneten, die man unterschiedlich auslegen konnte. Der Abgeordnete hat sich dann für die Interpretation entschieden, die nicht im Sinne seiner Fraktion war. Daraufhin hab ich den Ordnungsruf zurück genommen. Soweit ich gehört habe, bin ich übrigens auch seit etwa 20 Jahren der erste Bundestagsvizepräsident, der auch das Wort entzieht.

Was heißt das?

Die Redezeit beträgt gewöhnlich vier bis sieben Minuten für die Abgeordneten. Ich schalte den Rednern das Mikrofon aus, wenn sie die Redezeit überschreiten und nach einer Mahnung immer noch weiterreden. Ich kündige das auch immer an. Erst hat mir niemand geglaubt, dass ich das wirklich mache. Aber mittlerweile hat sich das eingespielt und bisher mindestens ein Mal jede Fraktion erwischt. Ich bekomme dafür inzwischen auch Beifall, besonders wenn wir nachts noch Sitzungen haben und die Zeit knapp wird.

Welche Debatte ist Ihnen in besonderer Erinnerung?

Eine, bei der ich nicht präsidiert habe, sondern eine Rede gehalten habe. Da ging es um einen Antrag der AfD-Fraktion zu dem deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, der ein Jahr wegen angeblicher Terrorpropaganda in türkischer Untersuchungshaft gesessen hat. Ich habe versucht, mit so wenigen Emotionen wie möglich das Anliegen der AfD zu enttarnen.

Welches Anliegen meinen Sie?

Der AfD ging es nämlich nur darum, die Botschaft zu vermitteln, dass ein Mensch mit türkischen Wurzeln angeblich bevorzugt behandelt werde – und dann auch noch einer, der vor ein paar Jahren kritische Artikel über Deutschland geschrieben hat. Bei den Artikeln hat die AfD aber nicht gemerkt, dass sie satirisch waren. Cem Özdemir hat nach mir auch eine bemerkenswerte Rede gehalten, die sehr emotional war. Das kann man so natürlich auch machen. Aber ich persönlich bin eher für argumentieren statt denunzieren, also bloßstellen.

Können Sie das bitte erläutern?

Es gehört ja zur Strategie der AfD, sich selbst als Opfer darzustellen. Da bringen Beleidigungen in meinen Augen wenig. Insgesamt sind alle Abgeordneten ja eigentlich nur ihrem Gewissen unterworfen. Manchmal wünsche ich mir, dass die Abgeordneten an ihr Gewissen auch denken.

Als Vizepräsident haben Sie auch noch andere Aufgaben. Sie repräsentieren den Bundestag als Ganzes nach außen. Welche Termine haben Sie da zum Beispiel?

Es kann sein, dass ich dieses Jahr zum Beispiel ein paar Weihnachtsbäume entgegennehmen nehmen werde. Neben Sitzungen des Ältestenrates und des Präsidiums bin ich jetzt auch Vorsitzender der Baukommission des Bundestages – da habe ich vorher nicht geahnt, was dieser Posten für einen Aufwand mit sich bringt. Der Bundestag hat aktuell 60 Bauprojekte, zum Beispiel Renovierungen. Am meisten Kopfschmerzen bereitet uns gerade die Erweiterung des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses. Dort sollen eigentlich Büroräume der Bundestagsverwaltung rein, aber das wird wohl noch ein bisschen dauern.

Über Wolfgang Kubicki:

Wolfgang Kubicki, geboren 1952, war 1990 bis 1992 und 2002 bereits für die FDP im Bundestag und ist nun seit 2017 wieder Mitglied des Bundestages und Bundestagsvizepräsident. Er ist auch Mitglied des Ältestenrates. Sein Wahlkreis ist Steinburg – Dithmarschen Süd in Schleswig-Holstein.

Juliane Fiegler

Mitmischen-Autorin

Juliane Fiegler

studiert Gender Studies

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