Europa Gleiche Standards für alle?
Die Grünen wollen, dass alle Europäer sozial abgesichert sind und fordern einheitliche Standards. Die übrigen Fraktionen kritisieren die Vorschläge.
Mehr als nur Binnenmarkt
Was bringt eigentlich die Europäische Union? Was allen zuerst einfällt: Wir können ohne große Formalitäten quer durch Europa reisen, müssen uns beim Shoppen nicht den Kopf über Wechselkurse zerbrechen, und wir können relativ problemlos in Barcelona, Bologna oder Bukarest studieren. Darüber hinaus ist die EU ein riesengroßer Markt, über den sich die Wirtschaft freut. Die Grünen fordern jetzt im Bundestag, dass überall in Europa die gleiche soziale Absicherung greift. In einem Antrag schreibt die Fraktion: Im Gegensatz zu den wirtschaftlichen Freiheiten des Binnenmarkts seien "gemeinsame Arbeits- und Sozialstandards" unterentwickelt. Das wollen die Grünen ändern – und stießen bei einer Debatte am 4. April bei allen anderen Fraktionen auf Empörung.
Was die Grünen wollen
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) sieht die Ursache für das Erstarken konservativer Parteien auch in einem fehlenden sozialen Zusammenhalt in der EU. "Wir müssen für ein starkes Europa kämpfen", forderte er. Dafür müsse man die Herzen der Menschen erreichen.
Die Grünen wollen deshalb, dass sich die Bundesregierung für eine "soziale Fortschrittsklausel" einsetzt. Die soll bewirken, dass die Sozialstandards in den einzelnen Mitgliedsländern ein ähnliches Niveau erreichen. Ein Beispiel: Von einer Grundsicherung à la Hartz IV können die Menschen in anderen EU-Staaten nur träumen. Die Grünen wollen, dass hier die EU gewisse Minimalstandards vorgibt. Das Gleiche soll für die Gesundheitssysteme und für die Alterssicherung gelten.
Union: Angst vor der Transferunion
Laut Katja Leikert (CDU/CSU) ebnen die Vorschläge den Weg in eine Transferunion. Das bedeutet: Die reicheren EU-Staaten finanzieren über ihre EU-Beiträge die Sozialleistungen in den ärmeren Staaten. Für sozialen Ausgleich gebe es aber schon jetzt den mit 90 Milliarden Euro ausgestatteten "Europäischen Sozialfonds". Auch Leikerts Fraktionskollege Philipp Amthor sagte, dass die Staaten im sozialen Bereich für alles selbst verantwortlich sein sollten. Gute Sozialpolitik verteile keine "Sozialgeschenke", sondern fördere Investitionen und Beschäftigung.
FDP: Besserwisserei und Bevormundung
Carl-Julius Cronenberg (FDP) sieht in den Vorschlägen der Grünen "Besserwisserei" und Bevormundung, das würde den Zusammenhalt in Europa gefährden. Außerdem: Da die EU selbst keine Steuern eintreibe, dürfe sie auch nicht in die nationalen Sozialsysteme eingreifen. Der Markt solle es richten.
AfD: "apokalyptische Vorschläge"
Martin Hebner (AfD) nannte die Vorschläge der Grünen "apokalyptisch". Ökonomisch stärkere Mitgliedstaaten sollen schwächere Staaten unterstützen? Von dieser "sozialistischen Verteilungsidee" wolle er nichts wissen. Auch nicht davon, dass dafür das Geld der "deutschen Arbeitnehmer" in der EU "an alle" verteilt werde.
Linke: Finanzierung über Reichensteuer
Alexander Ulrich (Die Linke) meinte, das müsse man ja gar nicht tun. Eher sollten diejenigen mit hohem Einkommen und Vermögen davon etwas abgeben, deswegen sollten sie mehr Steuern bezahlen. Ulrich wünschte sich, dass die Grünen diese Forderung in ihren ansonsten guten Antrag mit aufnehmen sollten. Mit Blick auf die bevorstehende Europawahl meinte er, dass dieses Europa sozialer werden müsse, das sei seine "letzte Chance".
SPD würde ja gern, aber ...
Angelika Glöckner (SPD) sprach viel über Gerechtigkeit und meinte "Armut und Ausbeutung entgegenzuwirken, das macht die Akzeptanz bei den Menschen in der Europäischen Union größer, das verstärkt das Vertrauen, weil sie die Vorteile einer Europäischen Union spüren". Auf den Antrag der Grünen ging sie nicht ein. Bettina Hagedorn (SPD), die als Staatssekretärin für die Regierung sprach, ergänzte: Einige Reformideen, die in die gleiche Richtung gehen wie die der Grünen, stünden bereits im Koalitionsvertrag. Sie seien aber "im Moment nicht Gegenstand von Regierungshandeln". Sie selbst wünschte, dass sich das ändern würde, aber "die Kollegen von der Union vielleicht nicht".
(DBT/ah)