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Praxis statt Hörsaal Gestern gelernt, heute anwenden

Felicitas Junginger

Jobben im Backshop, zwei abgebrochene Studiengänge, Baustellen-Gehilfe – Christopher hat nach dem Abi lange gesucht, um zu finden, was zu ihm passt. Und das war eine klassische Ausbildung.

Junger Mann im Treppenhaus

"Das Studium war zu theoretisch, kaum Praxis. Da bin ich dann richtig ins Loch gefallen", erinnert sich Christopher. © Christopher Zebitz

Vor knapp drei Jahren saß Christopher Zebitz noch verzweifelt in seiner Münchner Studentenwohnung, kurz davor, das zweite Studium abzubrechen. Fragen über Fragen beschäftigten ihn. Was für einen Eindruck hinterlasse ich, wenn ich wieder abbreche? Wie sage ich es meinen Eltern? Was mache ich danach? Fragen, die ihn damals sehr eingeschüchtert haben, seinen richtigen Weg zu finden, wie er erzählt.

Der heute 30-Jährige kann sich noch gut an seine Abiturphase erinnern: Es ging immerzu um die Frage, was er nach der Schule studieren möchte. Über eine Berufsausbildung wurde an Christophers Schule gar nicht gesprochen: "Wir wurden sehr stark zum Studium gepusht. Eine Ausbildung kam gar nicht in Frage", erzählt er rückblickend. Und so begann er wie auch viele andere Abiturienten ein Studium, obwohl die akademische Laufbahn nicht für jeden mit Hochschulreife das Richtige ist.

Hilfe für Studienaussteiger

Das Projekt YOUR TURN der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) möchte genau diesem Problem entgegenwirken und bietet Alternativen für Studienaussteiger. In diesem Programm werden die Studienabbrecher passgenau über duale Berufsausbildungen beraten. Egal, ob verkürzt oder regulär, denn das Projekt YOUR TURN bietet unter Umständen die Möglichkeit, seine erbrachten Studienleistungen anerkennen zu lassen. Die Idee dahinter: Den Studienabbruch für alle Beteiligten in eine Chance zu wenden. Bis Christopher dort ankam, dauerte es aber etwas.

Mit Abitur zum Backshop

Da er nach dem Abitur noch nicht wusste, in welche Richtung es gehen sollte, suchte er sich zunächst einen Aushilfsjob. Eineinhalb Jahre arbeitete Christopher im Backshop bei Kaiser's und merkte schnell, dass dies nicht seine ewige Berufung war: "Es war eine sehr einfache und stupide Arbeit. Das konnte ich nicht tagtäglich den Rest meines Lebens machen".

Erst Business, dann Geografie

Der gebürtige Berliner machte sich nun verstärkt Gedanken, in welche Richtung es gehen sollte. Ein Freund empfahl ihm, sich einmal die Hochschule für Wirtschaft und Recht anzuschauen. Business Administration sprach ihn auf den ersten Blick an. "Ich dachte mir, das passt ganz gut und die Zugangsvoraussetzungen waren recht einfach", erzählt Christopher. Doch das Richtige war es trotzdem nicht. "Ich habe fröhlich vor mich hin studiert, doch mir fehlte jegliche Motivation", erklärt er. Mit Mühe gute Noten schreiben, sei zwar kein Problem gewesen, aber Begeisterung für das Fach kam keine auf.

Also brach Christopher das Studium nach einem Jahr ab und versuchte, sich neu zu orientieren. Dabei dachte er zurück an seine Schulzeit: "Geografie war für mich schon immer ein Selbstläufer. Ich habe alles aufgesaugt im Unterricht und musste nicht mal für Klausuren lernen", erzählt er, "ich habe mich dann an vielen Stellen beworben und wurde letztlich in München angenommen".

Viel Theorie, kaum Praxis

Mit großer Vorfreude auf das neue Studium zog er in die neue Stadt. Doch seine Begeisterung schwand relativ schnell. "Dieses Studium war noch theoretischer als in Berlin. Kaum Praxis. Da bin ich dann richtig ins Loch gefallen", gibt Christopher zu. Zu viel Selbstorganisation beim Lernen sei nicht für jeden etwas, doch die Erkenntnis kam erst später. "Ich war auch nicht ehrlich zu mir selbst. Bis ich mir endlich gesagt habe: Stopp! Ich habe keine Zeit mehr zu vertrödeln".

"Ich saß im Loch"

Doch der härteste Teil kam laut Christopher erst später. Ein halbes Jahr habe er die Erkenntnis in sich hineingefressen und vor seinen Eltern geheim gehalten, dass er wieder sein Studium abbrechen wollte. Rückblickend ein Fehler. "Meine Eltern haben gesehen, dass ich in einem echt tiefen Loch mit mir selbst saß und keine Ahnung hatte, wie es weiter gehen sollte", gibt er zu, "beide haben damals sehr verständnisvoll reagiert. Also bin ich zurück nach Berlin."

Auf der Baustelle

Dort hieß es erst einmal, etwas Geld verdienen. Ein halbes Jahr arbeitete Christopher auf der Baustelle, machte nebenbei seinen LKW-Führerschein und hat sich dabei erstmalig seit sechs Monaten in einer Lage wiedergefunden, in der er etwas lernen konnte. "Alleine das Gefühl, gestern etwas gelernt zu haben, das ich heute anwenden kann, war die pure Ermutigung!", meint Christopher, doch merkte er auch hier schnell, dass er sich unterfordert fühlte.

Christophers Turn

Dem YOUR-TURN-Projekt begegnete Christopher zufällig. In der Berliner U-Bahn sah er ein Banner des Programms, der sein Interesse erweckte. Er meldete sich bei der IHK Berlin, bekam von der Ausbildungsvermittlung eine ausführliche Beratung und Matchings mit für ihn passenden Ausbildungsunternehmen. Einer der Vorschläge war eine Berufsausbildung zum Immobilienmakler.

Kein fremdes Thema für ihn. "Meine Eltern sind seit 25 Jahren selbstständig in der Immobilienbranche. Ich hatte also die Möglichkeit, etwas zu machen, womit ich mich indirekt schon mein ganzes Leben beschäftigt habe", erklärt Christopher. "Auf der anderen Seite hatte ich die Chance, komplett neu anzufangen", fügt er hinzu.

Der Turbo-Azubi

Nach längerem Nachdenken und intensiver Beratung ergriff Christopher die Chance – und beendete seine Ausbildung zum Immobilienkaufmann dann nach bereits eineinhalb Jahren. Auch wenn es nicht immer ganz leicht war, doch der Ehrgeiz hatte ihn gepackt – ein für Christopher bis zu diesem Zeitpunkt ganz neues Gefühl. "Diese Ausbildung oder eher dieser Weg holt ungeahnte Möglichkeiten aus einem heraus. Eine Ausbildung ist wie ein schulisches System. Man bekommt die fantastische Möglichkeit, alles in der Schule erlernte auf die Arbeit zu übertragen", erläutert Christopher. "Letztendlich habe ich mich für die Ausbildung entschieden, weil ich darin eine langfristige Zukunft gesehen habe!".

Studium kein Garant für Glück

Im Rückblick hält Christopfer eine Orientierungspause nach dem Abitur für hilfreich. "Ein, vielleicht sogar zwei Jahre Pause nach der Schulzeit können eine große Bereicherung sein, um seinen Horizont zu erweitern und auch mal über den Tellerrand zu schauen", so Christopher. Sich selbst die Frage zu stellen, was man für sich persönlich im Leben möchte, wie viel man vielleicht mal verdienen will oder auch für welche Bereiche man sich interessiert, von denen man vorher noch nichts wusste.

Auf die Frage "Was ist der richtige Beruf für mich?" gibt es nicht immer eine eindeutige Antwort. In einer Sache ist sich Christopher heute aber sicher: "Ein Studium ist nicht immer der Garant dafür, dass alles so läuft, wie es soll."

Felicitas Junginger

Mitmischen-Autorin

Felicitas Junginger

studiert Philosophie und Geschichte

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