Baden-Württemberg „Die Lehrer hatten keine Zeit für uns“
Yannick Werner
Hanna ist 17 und macht gerade in Stuttgart ihr Abitur. Sie hat Yannick von ihrer Enttäuschung erzählt, dass das Ereignis, auf das sie sich seit Jahren freut, so anders abläuft als erwartet – aber auch, warum sie trotzdem stolz darauf ist.
Seit der fünften Klasse habe ich mich auf mein letztes Jahr an der Schule und das Abitur gefreut. Jedes Jahr habe ich mir die aufmunternden Plakate in der Aula angeschaut, über den Abi-Scherz gelacht und mich gefragt, wann ich endlich dort stehen werde. Jetzt ist es soweit, letzte Woche hat das schriftliche Abitur begonnen. Aber irgendwie ist alles anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Meine Prüfungen wurden verschoben, der Abiball abgesagt und mein Unterricht fand bis vor kurzem noch online statt.
Als die Schule geschlossen war
Allerdings kann man von digitalem Unterricht auch nicht gerade sprechen. Zoom-Calls oder persönliche Telefongespräche gab es so gut wie gar nicht, dafür aber regelmäßig neue Aufgaben per Mail. Viele unserer Lehrer waren aber auch durch die Planung der Schulöffnung eingespannt und hatten deswegen weniger Zeit für uns. Ehrlich gesagt war ich auch ganz froh darüber, dass wir nicht mit Aufgaben und Videokonferenzen überschwemmt wurden. So hatte man die Möglichkeit, sich die Zeit besser einzuteilen und sich selbstständig vorzubereiten.
Kleine Gruppen mit anderen Lehrern
Wir haben aktuell in drei Gruppen Unterricht. In welcher Gruppe man ist, hängt von dem gewählten Leistungsfach ab, in dem man auch Abitur schreibt. Aktuell habe ich alle abiturrelevanten Fächer zusammen mit meinem Kunstkurs. Der Gedanke dabei ist, dass durch die festen Gruppen die Schüler sich untereinander weniger durchmischen und die Infektionsgefahr sinkt.
Allerdings wirft die neue Zusammensetzung auch Probleme auf, wir werden zum Beispiel nicht mehr von unseren ursprünglichen Lehrern unterrichtet. Sich so kurz vor dem Abitur noch mal auf neue Lehrer mit anderen Schwerpunkten und Unterrichtsstilen umzugewöhnen, ist nicht optimal, aber besser, als gar keinen Unterricht mehr zu haben.
Die neuen Regeln werden zur Normalität
Zusätzlich zu den festen Gruppen gibt es an der Schule einige neue Regeln, um eine mögliche Ansteckung mit Covid-19 zu verhindern. So müssen wir einen speziellen Eingang nutzen, die Laufrichtung ist auf dem Boden markiert und es darf sich immer nur eine Person im Bereich der Toiletten aufhalten.
Einige Regeln sind aber auch unrealistisch: Es ist zum Beispiel Pflicht, sich jedes Mal die Hände zu waschen, wenn man das Schulgebäude betritt, eine Maske auf- oder abzieht, etwas gegessen hat und jedes Mal, wenn man sich ins Gesicht fasst. Das ist schlicht unmöglich, sonst würde der Unterricht nur noch aus Händewaschen bestehen.
Allgemein merke ich, wie die Regeln immer mehr zur Normalität und dadurch auch weniger ernst genommen werden. Ich habe am Anfang zum Beispiel viel mehr darauf geachtet, Abstand zu halten und Türen nur mit dem Ärmel zu öffnen.
Drei Abi-Prüfungen in einer Woche
Natürlich findet auch das Abitur nicht unter normalen Bedingungen statt. So schreiben wir nicht mehr alle gemeinsam in einem Raum, sondern sind in unseren Gruppen auf insgesamt drei Räume aufgeteilt. Man sitzt dann bei jeder Prüfung an demselben Tisch in demselben Raum, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten.
Ein großer Nachteil, der durch die Verschiebung des Abiturs entsteht, ist die veränderte Reihenfolge der Prüfungen. Normalerweise sind die schriftlichen Abiturprüfungen relativ gut verteilt, jetzt schreibe ich drei davon in einer Woche. Wer will, bekommt allerdings die Möglichkeit, alle Abiturprüfungen ohne Grund am Nachtermin im Juni zu schreiben. Ich persönlich halte das aber für nicht sinnvoll, da wir in diesem Zeitraum auch noch alle ausgefallenen Klausuren nachholen müssen.
Nach dem Abi: Der Stress ist nicht vorbei
Bei einem „normalen“ Abiturablauf stehen nach den schriftlichen Prüfungen dann nur noch einige Klausuren und die mündliche Abiturprüfung an. Jetzt müssen wir viele der verpassten Klausuren nachholen, die wir wegen dem entfallenen Unterricht nicht schreiben konnten. Das Kultusministerium hat zwar erklärt, dass keine Klausuren mehr stattfinden werden, spricht aber stattdessen von „schriftlichen Wiederholungsarbeiten“. Das sind Tests, bei denen nur der Inhalt der letzten Stunden abgefragt werden darf.
Wenn dann auch noch die Präsentationsprüfung vorbei ist, stünde einer feierlichen Zeugnis-Ausgabe und dem Abiball eigentlich nichts mehr im Weg – theoretisch. Denn beide Termine gelten als Großveranstaltungen und dürfen deswegen voraussichtlich nicht stattfinden. Dasselbe gilt für die traditionellen Parties auf dem Schulhof und den Abi-Scherz. Dass das alles dieses Jahr ausfallen muss, ist schon ziemlich schade, denn diese Zeit erlebt man nur einmal im Leben.
Ich bin jedenfalls froh, wenn ich am Ende dieses Schuljahres mein Zeugnis in der Hand halte und mit dem Kapitel Schule abgeschlossen habe. Und irgendwo hat die Situation ja auch etwas Gutes: Wer kann schon von sich behaupten, trotz weltweitem Virus und verschiedener Einschränkungen sein Abitur geschafft zu haben?
Yannick Werner
... ist 20 Jahre alt und studiert Soziologie und Politik. Als Jugendrat interessiert er sich sehr für jugendpolitische Themen und die Beteiligung junger Menschen an politischen Prozessen.