Annika Klose (SPD) „Ungerechtigkeiten aufdecken“
Im Petitionsausschuss bekommen Abgeordnete sehr direkt mit, was die Bevölkerung beschäftigt. Welche Themen das sind und was Petitionen bewirken können, erklärt Annika Klose (SPD).
Bürger können sich mit Bitten oder Beschwerden an den Bundestag wenden. Wie einflussreich kann so eine Petition sein?
Eine Petition kann einiges bewegen. Natürlich kommt es darauf an, mit welcher Beschwerde sich die Menschen an uns wenden. Oft sind es sehr persönliche Themen.
Ich bin besonders für die Themen zuständig, die den Bereich Arbeit und Soziales betreffen, da ich auch im Ausschuss für Arbeit und Soziales sitze. In diesem Zusammenhang geht es häufig um Anliegen, die das Jobcenter betreffen oder beispielsweise den Rentenbescheid.
Über den Petitionsausschuss kann man beim zuständigen Ministerium nachfragen. Und so kann für die betroffene Person manchmal eine Ungerechtigkeit aufgedeckt und gelöst werden.
Und wie sieht es aus mit Petitionen, die mehr Menschen betreffen?
Auch das große Rad der Politik kann durch eine Petition gedreht werden. Man kann zum Beispiel auf ein großes Thema aufmerksam machen, von dem man findet, dass es zu wenig Aufmerksamkeit bekommt. Zu Petitionen, die von vielen Menschen mitgezeichnet werden, können öffentliche Anhörungen stattfinden.
Wie läuft das ab?
Bei einer öffentlichen Anhörung stellt die Petentin oder der Petent die jeweilige Petition vor. Es wird erklärt, warum die Petition eingereicht wurde und was vom Bundestag erwartet wird. Die Mitglieder des Petitionsausschusses stellen Fragen – an die Petentin oder den Petenten und an die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung. Und die befragte Person antwortet.
Haben Sie ein Beispiel?
Ja. Ich hatte kürzlich zum Beispiel mit einer Petition zu tun, in der es um die Gräueltaten des sogenannten Islamischen Staates (IS) an der jesidischen Bevölkerung im Nordirak ging. Die Êzîdinnen und Êzîden sind eine Religionsgemeinschaft, deren Hauptsiedlungsgebiet im Nordirak liegt. In der Vergangenheit wurden sie häufig von religiösen Gruppen und Organisationen verfolgt. Zuletzt auch von dem IS, der die Êzîden als Ungläubige betrachtet und viele Mitglieder verschleppt, versklavt und ermordet hat.
Der Petent hat sich dafür eingesetzt, dass der Bundestag die Verbrechen des IS als Völkermord anerkennt. Dazu gab es eine Anhörung und danach waren sich alle Fraktionen einig, dass wir dieses Anliegen unterstützt wollen. Wir haben im Anschluss ein internes Gespräch mit der Bundesregierung angefordert und Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen im Menschenrechtsausschuss und im Auswärtigen Ausschuss aufgenommen. So haben wir einiges ins Rollen gebracht und ich hoffe, dass wir im zweiten Halbjahr 2022 eine entsprechende Resolution im Deutschen Bundestag verabschieden können.
Sie haben gerade erklärt, dass eine öffentliche Anhörung stattfindet, wenn eine Petition von mindestens 50.000 Personen unterzeichnet wird. Kommt das denn oft vor?
Im Schnitt finden die öffentlichen Anhörungen einmal im Quartal statt. Und zwar gesammelt: Es werden zwei oder drei Petitionen nacheinander jeweils für eine Stunde besprochen, immer an einem Montag einer Sitzungswoche.
Manchmal kann eine Anhörung zu einem bestimmten Thema auch vorgezogen werden. Zum Beispiel war das im Zusammenhang mit der Corona-Impfpflicht so. Es war klar, dass der Bundestag zeitnah über die Impfpflicht abstimmen würde und es gab eine große Petition dazu. Damit wir uns vor der Befassung mit dem Gesetz im Bundestag mit den Petitionen beschäftigen konnten, wurde dieses Thema also vorgezogen.
Und wie geht es nach so einer Anhörung weiter?
Im Normallfall spricht der Petitionsausschuss ein Votum aus. Wir unterscheiden zwischen verschiedenen Voten. Wenn eine Petition berechtigt ist, kann der Ausschuss beschließen, das Material an die Bundesregierung zu überweisen, das nennt sich Überweisung „als Material“. Dann muss die Bundesregierung innerhalb von einem Jahr dazu tätig werden und eine Stellungnahme abgeben, in der sie erklärt, was sie zu dem Thema unternommen hat.
Außerdem gibt es das Votum „zur Erwägung“: Da muss die Regierung deutlich schneller, innerhalb von sechs Wochen, eine Stellungnahme abgeben.
Das höchstmögliche Votum nennt sich „zur Berücksichtigung“: Das bedeutet, dass wir die Bundesregierung auffordern, innerhalb von sechs Wochen tätig zu werden. In diesem Fall geht es nicht nur darum, das Anliegen anzugucken und eine Stellungnahme abzugeben, sondern darum, dass wirklich etwas passiert. Dieses Votum wird vom Ausschuss ausgesprochen und wird dann vom Bundestag abgestimmt. Wenn es im Plenum durchgeht, bedeutet dies, dass das Parlament die Regierung zum dringenden Handeln auffordert. Diese Maßnahme hat ordentlich Gewicht.
Haben Sie ein Beispiel für eine Petition, bei der der Ausschuss für „zur Berücksichtigung“ gestimmt hat?
Es gab eine Petition zu Beginn der Corona-Pandemie, in der es um die Situation der Geflüchteten in den Camps auf dem Balkan ging. Die Petentinnen und Petenten haben damals gefordert, dass man die Situation vor Ort verbessern muss. Die Lage dort ist hier kaum aufgefallen, weil in Deutschland alle mit Krisenbewältigung beschäftigt waren. Kaum jemand hat mitbekommen, welche Zustände in den Geflüchteten-Camps an den europäischen Außengrenzen herrschen. In diesem Fall haben wir die Petition „zur Berücksichtigung“ übergeben.
Geht es in öffentlichen Anhörungen hoch her oder doch eher geordnet?
Die öffentlichen Anhörungen gehen immer sehr geordnet zu. Der Petent oder die Petentin ist eingeladen und die Abgeordnete stellen Fragen, entweder an die Petentin oder den Petenten oder an die Bundesregierung. Es gibt ein strenges Zeitkontigent: vier Minuten für Frage und Antwort. Wenn die Zeit um ist, ist die nächste Fraktion dran und stellt Fragen.
Die Idee einer öffentlichen Anhörung ist es, erst einmal Informationen einzuholen, um sowohl das Anliegen der Petentinnen und Petenten verstehen zu können als auch die Position der Bundesregierung. Außerdem hört man sich die Einschätzung der Experten und Expertinnen an, die eingeladen sind. Die Informationen werden im Anschluss mit in den Ausschuss genommen und dort diskutiert. Dann wird ein Votum gefällt. Im Normalfall geht es also eher gesittet zu und die Petentin oder der Petent bekommen den Raum, das Anliegen vortragen und in das Thema einführen zu können.
Zur Person
Annika Klose wurde 1992 in Dortmund geboren. Nach der Schule studierte sie Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zur Berlin. Klose arbeitet als Gewerkschaftssekretärin beim DGB Berlin-Brandenburg. 2011 trat sie in die SPD ein und war von 2015 bis 2020 Landesvorsitzende der Jusos Berlin, von 2015 bis 2019 Mitglied im Landesvorstand der SPD Berlin. 2021 wurde sie in den Deutschen Bundestag gewählt. Mehr erfahrt ihr auf ihrem Profil auf bundestag.de.
(Mira Knauf)