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Woche der Abgeordneten „Montage unter der Kuppel“

Etwa 22 Sitzungswochen verbringen Bundestagsabgeordnete in Berlin – ansonsten arbeiten sie im Wahlkreis. Was die Politiker im Parlament von Montag bis Freitag tun und was ihnen besonders Spaß macht, hat Leo für euch herausgefunden.

Abstimmungen gehören zum Tagesgeschäft der Abgeordneten. © Deutscher Bundestag

Montag

Während der Sitzungswochen herrscht Hochbetrieb im Bundestag. Dann kommen alle Abgeordneten aus ihren Wahlkreisen in ganz Deutschland nach Berlin. Einen der kürzesten Anreisewege hat Annalena Baerbock von der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen. "Ich habe das große Glück, Abgeordnete aus Brandenburg zu sein", sagt die 36-Jährige. Sie pendelt mit dem Regionalexpress und ihrem Fahrrad während der Sitzungswochen jeden Morgen von Potsdam, der Hauptstadt Brandenburgs, in die Bundeshauptstadt Berlin. Nach der – mehr oder weniger langen – Anreise erwartet alle Abgeordneten ein straffes Programm. Zuerst ist etwas Zeit für Büroarbeit, das heißt E-Mails beantworten und Briefpost lesen. Danach besprechen die Abgeordneten gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Termine der Woche und was noch vorbereitet werden muss.

Auch für Maik Beermann von der CDU/CSU Fraktion beginnt die Woche mit einer ganzen Termin-Palette. In einem Gespräch am Montagnachmittag informiert sich Beermann diesmal über die Arbeitsbedingungen von Schornsteinfegern. In einem anderen Termin trifft sich der 35-Jährige mit anderen Fraktionskollegen in der Arbeitsgruppe eHealth, wo es zum Beispiel um die digitale Kommunikation mit Ärzten geht. "In der Sitzungswoche ist es für mich besonders schön, wenn ich konkrete Wünsche und Ideen einbringen kann, die von Menschen aus meinem Wahlkreis stammen", sagt Maik Beermann. Um 19.30 Uhr, wenn viele Menschen in Berlin schon Feierabend haben, trifft sich Beermann noch mit seiner Landesgruppe, zu der alle CDU-Abgeordneten aus Niedersachsen gehören.

Dienstag

Dienstag ist der Tag der Fraktionen. Um acht Uhr früh treffen sich die Abgeordneten in vielen kleinen Arbeitsgruppen und -kreisen zu allen möglichen gesellschaftspolitischen Themen. Niema Movassat von der Fraktion Die Linke geht am Dienstag beispielsweise zuerst in eine Arbeitsgruppe für Entwicklungspolitik und danach in den Arbeitskreis für Internationale Politik. Dort bespricht der 32-Jährige gemeinsam mit anderen Abgeordneten seiner Fraktion Themen, die ihnen allen besonders wichtig sind. Am Nachmittag geht es dann für alle Abgeordneten in die Fraktionssitzungen. Sie gehören zu den Herzstücken der Sitzungswoche.

In den Fraktionssitzungen sagen alle Abgeordneten einer Fraktion, was sie beispielsweise von geplanten Gesetzen halten. "Hier kommt ganz viel Wissen zusammen", sagt Michelle Müntefering von der SPD, "von Rente über Tierschutz, Jugendaustausch und Bildung bis zur Verkehrspolitik. Ich fühle mich dann immer wie ein Schwamm und sauge alles auf." Das sieht auch Maik Beermann so: "Die Fraktionssitzung gehört für mich zu den Terminen, wo alles angesprochen wird und ein großer Meinungsaustausch stattfindet." Dabei diskutieren die Abgeordneten manchmal auch heftig miteinander. Denn nur, weil man in derselben Fraktion ist, hat man nicht automatisch auch die gleiche Meinung.

"Politik lebt vom Meinungsaustausch", erklärt Annalena Baerbock, "bei diesem Austausch lerne ich nicht nur ganz viel; man kommt dadurch auch auf neue Ideen." Da brauchen die Abgeordneten schon mal ein bisschen "Sitzfleisch" – denn die Fraktionssitzungen dauern meistens drei bis vier Stunden. "Ohne seine Gremien könnte das Parlament aber auch nicht arbeiten", fügt Niema Movassat hinzu. Parlamentarier für besonders wichtig und dringend halten. Aktuelle Stunden gab es zum Beispiel zum Krieg in Syrien oder zum Klimawandel.

Mittwoch

Am Mittwoch mischen sich die Parteifarben. Denn jede Fraktion entsendet mehrere Abgeordnete in die verschiedenen Fachausschüsse des Bundestages. Dort beraten sie gemeinsam über geplante Gesetze. Die verschiedenen Ausschüsse von Landwirtschaft über Gesundheit bis Verteidigungspolitik spiegeln die vielfältigen Themen wider, die im Bundestag behandelt werden. Jeder Abgeordnete ist für einen bestimmten Politikbereich als Berichterstatter seiner Fraktion tätig und auf diesem Gebiet Experte. So ist Maik Beermann im Ausschuss Digitale Agenda beispielsweise Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion für moderne Informationstechnologie in der Landwirtschaft. "Meine Kollegen zu informieren und Themen dadurch voranzubringen, das macht mir in der Sitzungswoche am meisten Spaß", sagt Beermann.

Übrigens: Die Ausschüsse sind meist thematisch an die verschiedenen Ministerien der Bundesregierung angelehnt. So können sich die Abgeordneten ganz gezielt mit einzelnen Gesetzesvorschlägen der Regierung beschäftigen.

Die Bundesregierung trifft sich am Mittwochvormittag im Kanzleramt zu sogenannten Kabinettssitzungen. Unmittelbar danach können die Abgeordneten sie zu Beginn der Plenarsitzung am Mittwoch zu aktuellen Themen befragen. Manchmal gibt es im Plenum auch sogenannte Aktuelle Stunden, in denen Themen besprochen werden, die die Parlamentarier für besonders wichtig und dringend halten. Aktuelle Stunden gab es zum Beispiel zum Krieg in Syrien oder zum Klimawandel.

Donnerstag

Donnerstag ist Plenarsitzungstag. Das Plenum des Bundestages ist das größte politische Forum Deutschlands. Die Plenardebatten sind öffentlich; wichtige Debatten laufen auch in den Fernsehnachrichten. Oft sitzt nur ein kleinerer Teil der Abgeordneten im Plenum, nämlich die, die sich intensiv um das Thema kümmern. Die anderen Abgeordneten arbeiten in der Zeit in ihren Ausschüssen oder sind in Fachgesprächen zu ihren speziellen Themen.

Neben den Abgeordneten haben auch die Mitglieder der Bundesregierung und des Bundesrats einen Platz im Plenarsaal. Sie sitzen auf der Regierungsbank und auf der Bundesratsbank rechts und links vom Bundestagspräsidenten.

Für Abgeordnete ist es eine besondere Ehre, wenn sie im Plenum eine Rede halten dürfen. Heute ist Michelle Müntefering mit ihrer Rede dran. Sie spricht über die politische Lage in der Türkei, die sie als Politikerin schon oft besucht hat. Die 36-Jährige spricht frei, ihre Worte sind wohlüberlegt. Doch obwohl die Abgeordneten bei ihren Reden so souverän wirken, haben viele vorher Lampenfieber – auch wenn das nicht alle zugeben würden. Reden machen viel Arbeit. "Gleichzeitig beschäftigt man sich noch einmal sehr intensiv mit allen Argumenten, kann seinen Standpunkt benennen und die Öffentlichkeit erreichen", sagt Niema Movassat.

Aber Parlamentarier reden nicht nur vor Kollegen und Fernsehkameras, sondern auch mit jungen Besuchern: Viele Abgeordnete laden Schulklassen aus ihrem Wahlkreis nach Berlin ein und zeigen ihnen ihren Arbeitsplatz. Mit Schulklassen zu diskutieren macht Annalena Baerbock großen Spaß, es ist aber auch eine Herausforderung. "Die Schüler nehmen oft kein Blatt vor den Mund. Aber nur so können sie jedem Politiker auf den Zahn fühlen. Und das sollen sie ja", findet Baerbock.

Das sieht auch Niema Movassat so: "Die Diskussionen mit Jugendlichen sind häufig spannend, und man wird immer wieder mit neuen Fragen und Argumenten konfrontiert." Politik sei "manchmal wie Sport: Saumäßig anstrengend, aber es macht einen auch ganz glücklich, wenn wieder etwas geschafft ist – also etwas beschlossen und erreicht wurde", fasst Michelle Müntefering ihre Arbeit zusammen. Wirklich verzichten könnte sie allerdings auf die vielen Hundert E-Mails, auf stapelweise Akten und Berge von Wiedervorlagemappen. "Da bin ich froh über mein tolles Team, das mich kräftig unterstützt", fügt sie hinzu.

Freitag

Auch am Freitag haben die Abgeordneten noch allerhand zu tun. Niema Movassat ist morgens zum Beispiel noch bei der Plenarsitzung und trifft sich danach mit seinen Mitarbeitern zum Abschlussgespräch. Anschließend gibt er einem Journalisten ein Interview. Und nachmittags fährt Movassat nicht etwa nach Hause in seinen Wahlkreis nach Nordrhein-Westfalen, sondern nach Hamburg zu einer Wochenendveranstaltung der Linken-Parteijugend. Dort wird er eine Rede halten. Hat der Politiker gar kein Heimweh? "Dafür habe ich gar keine Zeit", sagt Movassat. Aber er freut sich, wenn er nach einer Sitzungswoche ab und zu mal ein bisschen durchatmen kann.

So geht es auch der Pendlerin Annalena Baerbock. "Meine Kinder sehe ich in den Sitzungswochen zu selten. Es schmerzt schon, wenn die Kleinste laufen lernt und ich davon so wenig mitbekomme", erzählt sie. Was die junge Mutter dann aufheitert, sind die Handyfotos, die ihr Mann schickt: "Das hilft oft schon ganz gut gegen den Stress", sagt Baerbock.

Auch Maik Beermann hätte seine Familie gern öfter bei sich, echtes Heimweh hat er jedoch nicht. "Ein Arbeiter auf Montage ist jede Woche unterwegs und nur am Wochenende zu Hause. Da haben wir Parlamentarier es besser. Wir können in den Wahlkreiswochen bei unseren Familien sein", findet Beermann. Den Vergleich zur Arbeit auf Montage zieht auch Müntefering. Sie kommt aus dem Ruhrgebiet, wo viele Arbeiter wohnen. Sie sagt immer: "Während der Sitzungswoche bin ich auf Montage unter der Kuppel." Damit meint sie die Kuppel des Bundestages.

(DBT)

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