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Workshop zur Verfassung Was hat das Grundgesetz mit mir zu tun?

Naomi Webster-Grundl

Würde, Freiheit, Gleichberechtigung - all das schützt das Grundgesetz. Das ist super, aber geht da vielleicht noch mehr? In einem Workshop in Bonn, dem Geburtsort des Grundgesetzes, haben sich Schülerinnen und Schüler Gedanken über den Status Quo und die Zukunft des Grundgesetzes gemacht. Darüber konnten sie sogar mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Bundeskanzler Olaf Scholz sprechen.

Eine große Gruppe Schüler und Schülerinnen steht vor einer Wand, an der man die Wappen der einzelnen Bundesländer und den Bundesadler sieht.

Die Schülerinnen und Schüler im historischen Plenarsaal des Bundesrates in Bonn. © DBT / Werner Schüring

Farbverschmierte Pinsel, zerschnippelte Fotos, Bastelkleber - und ein zerschnittenes Grundgesetz. Das bringt keine Antihaltung der Schülerinnen und Schüler zum Ausdruck, die sich anlässlich des 75. Geburtstag des Grundgesetzes, der im Jahr 2024 gefeiert wird, mit der Verfassung auseinandergesetzt haben. Vielmehr haben sie unter anderem Collagen erstellt, die zeigen sollen, dass das Grundgesetz ein essenzieller Teil unseres alltäglichen Lebens ist. „Meiner Meinung nach ist das Grundgesetz super. Jeder Staat sollte eine Verfassung haben, die die Menschen schützt“, erklärt Lara Khalil, während sie mit einer Mitschülerin an einem Plakat arbeitet, auf dem sie hervorheben wollen, dass auch Frauen am Grundgesetz mitgeschrieben haben, ohne die es den Artikel 3 zur Gleichberechtigung von Mann und Frau wohl nicht gäbe.

Zwei Schülerinnen sitzen an einem Tisch und basteln eine Collage.

Schneiden, Kleben, Zeichnen - Lara Khalil und ihre Mitschülerin bei der Arbeit an ihrer Collage über Gleichberechtigung. © DBT / Werner Schüring

Im Haus der Geschichte in Bonn sind Schülerinnen und Schüler vom Babelsberger Filmgymnasium und der Neuen Gesamtschule Babelsberg sowie der Marienschule Euskirchen zusammengekommen, um sich in Workshops Gedanken darüber zu machen, was das Grundgesetz mit ihnen zu tun hat, welche Auswirkungen es auf ihr Leben hat. Warum ausgerechnet in Bonn? Weil hier 1948 vier Frauen und 61 Männer als Parlamentarischer Rat zusammenkamen, um eine Verfassung zu entwickeln, die eigentlich nur als Übergangslösung bis zur Wiedervereinigung dienen sollte. Diesen Prozess der Entstehung des Grundgesetzes begleitete damals die Fotografin Erna Wagner-Hehmke. Eine Auswahl ihrer Schwarz-Weiß-Fotografien ist im Haus der Geschichte ausgestellt und dient den Schülerinnen und Schülern als Grundlage für ihre Collagen.

Zwei Schülerinnen stehen vor ausgestellten Schwar-Weiß-Fotografien.

Schülerinnen betrachten die Fotografien, die Erna Werner-Hehmke während der Entstehung des Grundgesetzes aufgenommen hat. © DBT / Werner Schüring

Raum zum Wachsen

Neben dem Collagen-Workshop gibt es auch noch die Poetry-Slam-Gruppe. Hier sollen die Jugendlichen einen Brief an das Grundgesetz verfassen. „Liebes Grundgesetz, danke, dass es dich gibt, aber...“, „Liebes Grundgesetz, bitte pass auf dich auf“, „Liebes Grundgesetz, jetzt bist du schon so alt, doch der Raum zum Wachsen bleibt“. Die Ansätze sind unterschiedlich, doch im Kern sind die Schülerinnen und Schüler sich einig: Es ist wahnsinnig toll, dass wir das Grundgesetz haben. Doch man sollte es nicht als selbstverständlich erachten und an der ein oder anderen Stelle sehen sie auch Optimierungsbedarf. Diese Gedanken sollen sie nun zu Papier bringen. Erster Entwurf, zweiter Entwurf. 19 Sätze soll jeder Text haben. Weil die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes die Grundwerte beschreiben: Zum Beispiel, dass jede Person frei ist und man andere respektieren soll.

Eine Schülerin pinnt einen Zettel an eine Wand, an der schon mehrere Zettel hängen.

Die Schülerinnen und Schüler haben sich überlegt, worum es in ihrem Brief an das Grundgesetz gehen soll. © DBT / Werner Schüring

Der Kölner Künstler und Poetry Slammer Mario El Toro leitet den Workshop und bereitet die Schüler darauf vor, ihre Texte abends vor Publikum vorzutragen. „Die jungen Leute haben viele Themen, die sie bewegen. Viele befürchten, dass das Grundgesetz von Demokratie-Feinden angegriffen wird. Und auch das Thema Gleichberechtigung ist sehr stark vertreten“, schildert El Toro seine Eindrücke. Die freischaffende Künstlerin Cornelia Genschow, die den Collagen-Workshop leitet, hat sich mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern über den Artikel 11 des Grundgesetzes, der die freie Wahl des Wohnortes festlegt, ausgetauscht: „Ich wollte, dass sie verstehen, dass es eigentlich etwas Besonderes ist, dass sich Klassen aus unterschiedlichen Bundesländern einfach so treffen können. Ich bin in der DDR groß geworden und weiß noch, wie es ist, wenn das nicht so einfach geht.“

„Liebes Grundgesetz…“

Die Plakate sind fertig beklebt und bemalt, die Texte sind geschrieben und eingeübt. Etwas aufgeregt versammeln sich die Schülerinnen und Schüler im Plenarsaal des alten Bundesrates, dem Ort, an dem das Grundgesetz erdacht und unterzeichnet wurde. Poetry Slam hat dieser Saal bislang wohl nicht zu Ohren bekommen.

Ein Schüler mit blauen Haaren steht an einem Mikrofon und liest einen Text vor. Seitlich hinter ihm steht eine blonde Mitschülerin.

Freya Knees hat ihren Vortrag schon hinter sich, während Gregor Bigalke am Mikrofon steht. © DBT / Werner Schüring

„Liebes Grundgesetz, [...] Ich erwarte, dass du den Menschen Mut gibst und die Gleichberechtigung noch mehr unterstützt. [...] Ich frage mich eh, wie manche anderen das Freisein verbieten können. Ich fände es schön, wenn mehr Menschen deinen Sinn verstehen“, trägt zum Beispiel Fenja Knees vor. Im Text von Gregor Bigalke heißt es: „Liebes Grundgesetz, schön, dass du so lange durchgehalten hast. Über die Jahre hast du dich immer wieder verändert. Das war auch wirklich nötig, dennoch bist du noch lange nicht perfekt. Unsere Gesellschaft ändert sich stetig, Normen und Werte, welche vor 75 Jahren als ganz normal angesehen wurden, gelten heute als total veraltet und diskriminierend. [...]Deine Gegner wissen wahrscheinlich gar nicht, was du ihnen alles ermöglichst und welche Freiheiten sie nur durch dich genießen. [...] Genau deswegen ist Politik-Unterricht in der Schule so wichtig.“

Nicht nur zuschauen

Auch bei der Podiumsdiskussion mit Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) und dem Präsidenten des Hauses der Geschichte, Harald Biermann, betonen die teilnehmenden Schüler, für wie wichtig sie politische Bildung halten - einerseits, um jungen Menschen Demokratieverständnis mitzugeben und Demokratiefeindlichkeit vorzubeugen, und andererseits, damit man ein Gefühl für die Möglichkeiten von Selbstwirksamkeit in einer Demokratie bekommt. Der Schüler Jean-Luc Charlé formuliert einen Appell an seine Mitschüler: „Überlegt euch, wie Politik-Unterricht für euch attraktiver werden würde und geht auf eure Lehrer zu und fordert das ein. Da können wir alle nur gewinnen.“ Außerdem zitiert er die Punkrock-Band Die Ärzte: „Demokratie ist kein Fußballspiel, bei dem du nur Zuschauer bist.“ Auch Vizepräsidentin Pau erklärt, dass eine Demokratie nicht allein von der Verfassung geschützt werden könne, sondern es eine Mehrzahl von aktiven Demokratinnen und Demokraten in einem Land bräuchte.

Podiumsdiskussion mit Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke). © DBT / Werner Schüring

Entspannt mit dem Kanzler reden

Die Schüler nutzen auch die Chance, Themen wie Klimaschutz und Asylrecht anzusprechen und erklären, dass sie sich einen viel regelmäßigeren Austausch zwischen Jugendlichen und Politikerinnen und Politikern wünschen. Eine solche Gelegenheit gibt es direkt am nächsten Tag nach dem Festakt zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes im Museum Koenig: Einige der Schülerinnen und Schüler können sich mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundesratspräsident Peter Tschentscher (SPD), dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth, dem ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck sowie der Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner (Bündnis 90/Die Grünen) austauschen. Abgesehen von den vielen Fotografen, die sich hinter einer Absperrung drängeln, um möglichst gute Fotos von den Unterhaltungen zu schießen, können die Jugendlichen den Spitzenpolitikern so ihre Fragen in einem fast privaten Rahmen stellen.

Der Bundeskanzler Olaf Scholz und der Bundesratspräsident Peter Tschentscher im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern.

Schülerinnen und Schüler im Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesratspräsidenten Peter Tschentscher. © DBT / Werner Schüring

Gregor Bigalke erklärt nach dem Gespräch, dass er die Themen aus seinem Poetry Slam ansprechen konnte: „Erst war ich ein bisschen aufgeregt, mit Frau Bas und Herrn Gauck zu sprechen, aber es war dann ein ganz lockeres Gespräch. Zunächst haben wir über das Grundgesetz geredet, aber schnell ging es dann um die Gefahren des Rechtsextremismus und was man dagegen tun kann, wie man mit Bildung dagegen ankämpfen kann.“ Freya Knees konnte sich mit Olaf Scholz unterhalten und fand es auch sehr viel entspannter, als sie es sich vorher vorgestellt hatte: „Er hat uns direkt am Anfang gefragt, was wir in den Workshops gemacht haben, und er hat sich gefreut, dass wir uns so engagiert haben. Es war ziemlich cool, ihm ein paar Fragen stellen zu können. Ich würde mir wünschen, dass wir öfter mit Politikern sprechen könnten, weil wir dann auch mehr Bezug zur Politik hätten.“

Zum Ende dieser zwei spannenden Tage stehen die Schülerinnen und Schüler zwischen den Gästen beim Abschlussempfang des Festaktes, verputzen Häppchen, manche nutzen die Gelegenheit für ein Selfie mit dem Kanzler. Auf dem Weg nach draußen kommt man an den ausgestellten Collagen vorbei. Die Jugendlichen sind stolz auf das, was sie in so kurzer Zeit erarbeitet haben.

Ein Film von den Schülerinnen und Schülern des Babelsberger Filmgymnasiums

Video zum Workshop und Festakt

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