75 Jahre Bundesrepublik Deustchland Mütter und Väter des Grundgesetzes
Jasmin Nimmrich
Eigentlich sollte das Grundgesetz nur ein Provisorium sein. Nun wird es 75 Jahre alt. Der Parlamentarische Rat, der 1948 seine Arbeit am Grundgesetzt für die Bundesrepublik Deutschland aufnahm, hatte 65 Mitglieder. Viele von ihnen beeinflussten auch nach ihrer Arbeit im Parlamentarischen Rat die Politik in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich. Wir stellen euch einige von ihnen vor.
Vier Frauen und 61 Männer bildeten den Parlamentarischen Rat und sie erarbeiteten das Grundgesetz. Gewählt worden waren die 65 von den elf Landesparlamenten der drei Westzonen Deutschlands. Im Parlamentarischen Rat waren damit sieben Parteien vertreten: die Kommunistische Partei (KPD), die Freie Demokratische Partei (F.D.P., heute FDP), die Zentrumspartei (Zentrum), die Deutsche Partei (DP), die Sozialdemokratische Partei (SPD), die Christlich Demokratische Union (CDU) und die bayerische Regionalpartei Christlich Soziale Union (CSU). Neben den 65 stimmberechtigten Mitglieder gab es fünf Vertreter aus Berlin, die nicht abstimmen, aber beratend tätig werden durften. Bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes waren an der Arbeit des Parlamentarischen Rates insgesamt 77 Personen beteiligt. Darunter sieben Nachrücker, die den Platz von verstorbenen oder verhinderten Stimmberechtigten einnahmen.
Wie arbeitete der Parlamentarische Rat?
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes mussten nicht bei Null anfangen. Als sie ihre Arbeit am 1. September 1948 aufnahmen, lag ihnen bereits ein Entwurf für ein Grundgesetz vor. Dieser wurde vom sogenannten Verfassungskonvent, einer Expertengruppe, deren Mitglieder von den Ministerpräsidenten der Bundesländer ausgewählt worden waren, ausgearbeitet. Aus diesem Dokument wurden mehrere Artikel im Wortlaut übernommen und auch der Aufbau unseres heutigen Grundgesetzes geht auf den Entwurf des Verfassungskonvents zurück.
Aufgebaut war der Parlamentarische Rat wie ein Legislativorgan. Es gab also Abgeordnete, ein Präsidium, drei Fraktionen, drei Gruppen und neun Fachausschüsse, die sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu detaillierten Sachfragen berieten. Das finale Grundgesetz wurde am 8. Mai 1949 um 23:55 Uhr verabschiedet. Dieses Datum war von besonderer Bedeutung, da es den vierten Jahrestag des Tages der Befreiung markierte. 53 der 65 stimmberechtigten Mitglieder stimmten für den Grundgesetz-Entwurf, Zwölf dagegen. Am 12. Mai stimmten die drei westlichen Militärgouverneure dem Entwurf zu. Bei der Abstimmung der Bundesländer enthielt sich der Bayerische Landtag zuerst mit der Begründung, dass der Entwurf zu wenig föderalistisch sei. Da jedoch zwei Drittel der anderen Bundesländer das vorgeschlagene Grundgesetz ratifizieren wollten, stimmte schließlich auch der Landtag in München zu.
Verkündet wurde das Grundgesetz schließlich zur letzten Sitzung des Parlamentarischen Rates am 23. Mai 1949. Damit trat der Verfassungstext noch am selben Tag in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Am 5. August 1949 löste sich der Parlamentarische Rat auf.
Wer waren die Mitglieder des Parlamentarischen Rates? Hier kommen zehn Beispiele.
Konrad Adenauer (CDU/CSU)
Am 5. Januar 1867 in Köln geboren, war Konrad Adenauer von 1920 bis 1933 Oberbürgermeister seiner Heimatstadt. 1946 wurde er Fraktionsvorsitzender der CDU im ersten nordrhein-westfälischen Landtag. Von diesem wurde er 1948 für die Arbeit im Parlamentarischen Rat entsandt, dessen Präsident er wurde. Er erfüllte eine repräsentative Funktion und war für die Abwicklung des „Geschäftsverkehrs“ mit den alliierten Machthabern, Militärgouverneuren und ihren Verbindungsoffizieren sowie die Leitung aller Sitzungen verantwortlich. Nach der Wahl zum 1. Deutschen Bundestag am 14. August 1949 zog er in das Parlament ein. Am 15. September 1949 wurde er von den Abgeordneten des Bundestages zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Adenauer wurde weitere drei Mal zum Bundeskanzler gewählt und war mit 91 Jahren und 104 Tagen der bislang älteste Bundestagsabgeordnete. Konrad Adenauer starb am 19. April 1967 in Rhöndorf.
Elisabeth Selbert (SPD)
Elisabeth Selbert wurde am 22. September 1896 in Kassel geboren. An den Universitäten Marburg und Göttingen studierte sie von 1926 bis 1930 als einzige Frau Rechts- und Staatswissenschaften. Sie promovierte zum Thema „Ehezerrüttung als Scheidungsgrund“. Zu dieser Zeit galt bei Scheidungen noch das Schuldprinzip, bei dem einem Ehepartner die Schuld am Zerbrechen des eigentlich lebenslangen Bundes zugewiesen wurde. Die finanziellen Ansprüche für den oder die Schuldigen entfielen damit komplett. Erst 1977 kam es zu einer Eherechtsreform, im Rahmen derer man sich unter anderem auf Selberts Ausarbeitungen berief. Dass das Grundgesetz einen Gleichheitsgrundsatz und die Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ enthält, ist vor allem ihr zu verdanken. Elisabeth Selbert starb am 9. Juni 1986 und wurde in einem Ehrengrab auf dem Friedhof in Kassel-Niederzwehren beigesetzt.
Theodor Heuss (FDP)
Theodor Heuss wurde am 31. Januar 1884 in Brackenheim bei Heilbronn geboren. 1948 wurde er vom Landtag Württemberg-Badens, dem heutigen Baden-Württemberg, in den Parlamentarischen Rat gewählt, in dem er den Vorsitz der FDP-Fraktion übernahm. Bei der Wahl zum 1. Deutschen Bundestag am 14. August 1949 wurde Heuss in das Parlament gewählt. Wenig später wurde er durch die Bundesversammlung zum Bundespräsidenten gewählt. 1951 stiftete Theodor Heuss den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. Auch wollte er die Staatssymbole der Bundesrepublik Deutschland erneuern, scheiterte aber mit der Einführung einer neuen Nationalhymne. So erklärte er 1952 das „Deutschlandlied“ zur Nationalhymne, bestimmte jedoch, dass nur die dritte Strophe gesungen werden dürfe, da die ersten beiden von den Nationalsozialisten missbraucht worden seien. Theodor Heuss starb am 12. Dezember 1963 in Stuttgart, wo er auf dem Waldfriedhof begraben liegt.
Paul Löbe (SPD)
Paul Löbe wurde am 14. Dezember 1875 in Liegnitz geboren. Von 1929 bis 1932 war er Präsident des Reichstages und damit der letzte demokratisch gewählte Reichstagspräsident der Weimarer Republik. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten inhaftiert, zwischenzeitlich freigelassen und 1944 erneut inhaftiert. 1945 wurde er aus dem KZ Groß-Rosen in Breslau entlassen. Innerhalb des Parlamentarischen Rates hatte er kein Stimmrecht, da er als Berliner Vertreter aufgrund des Sonderstatus Berlins nur beratend tätig werden durfte. Berlin hatte einen Sonderstatus, da es nicht als eigenständiges Bundesland, sondern als viergeteilte Sonderverwaltungszone galt. Im 1. Deutschen Bundestag wurde Löbe 1949 zum Alterspräsidenten gewählt. Das Paul-Löbe-Haus im Berliner Regierungsviertel, in dem die Ausschüsse des Deutschen Bundestages tagen, ist nach ihm benannt. Paul Löbe verstarb am 3. August 1967 im Alter von 91 Jahren und liegt in einem Ehrengrab der Stadt Berlin auf dem Waldfriedhof Zehlendorf begraben.
Helene Weber (CDU)
Helene Weber wurde am 17. März 1881 in Elberfeld geboren. Sie galt als katholische Frauenrechtlerin und gehörte während der Weimarer Republik der Zentrumspartei an, für die sie auch in der Weimarer Nationalversammlung saß. 1920 wurde sie zur Ministerialrätin im Preußischen Ministerium für Volkswohlfahrt ernannt und sie war damit die erste weibliche Ministerialrätin Preußens. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges beteiligte sie sich am Aufbau der Christlich Demokratischen Union (CDU). Im Parlamentarischen Rat war sie als Schriftführerin Teil des Präsidiums. 1949 zog sie in den 1. Deutschen Bundestag ein, in dem sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1962 den Wahlkreis Aachen-Stadt vertrat. Ihrem Drängen ist es zu verdanken, dass Bundeskanzler Konrad Adenauer 1961 erstmals eine Frau zur Ministerin machte: Elisabeth Schwarzhaupt, Bundesministerin für Gesundheitswesen von 1961 bis 1966. Von 1950 bis 1962 war Helene Weber Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Sie starb am 25. Juli 1962 in Bonn.
Carlo Schmid (SPD)
Carlo Schmid wurde am 3. Dezember 1896 im französischen Perpignan geboren. Er wirkte bereits im August 1948 bei dem Verfassungsentwurf mit, der beim Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee entstand. In den Parlamentarischen Rat, in dem er Vorsitzender der SPD-Fraktion war, wurde er entsandt durch den Landtag Württemberg-Hohenzollerns (heute Teil Baden-Württembergs). Maßgeblichen Einfluss hatte er auf Artikel 16 des Grundgesetzes, der sich mit dem Recht auf Asyl befasst und bis zur Grundgesetzänderung 1993 „allen auf der Welt politisch Verfolgten ein Recht auf Asyl“ versprach. Außerdem war es seiner Initiative zu verdanken, dass sowohl das konstruktive Misstrauensvotum, als auch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung einen Platz im Grundgesetz fanden. Schmid wurde 1949 in den Deutschen Bundestag und zu dessen Vizepräsidenten gewählt. Am 11. Dezember 1979 starb Schmid in Bad Honnef bei Bonn.
Ernst Reuter (SPD)
Ernst Reuter wurde am 29. Juli 1889 im schleswig-holsteinischen Apenrade geboren. 1926 zog er für die SPD als Stadtrat für Verkehr und Versorgungsbetriebe in den Berliner Senat ein. 1935 verlies er Deutschland und ging ins türkische Exil, dort unterrichtete er Stadtplanung an der Universität Ankara. 1946 kehrte er nach Berlin zurück und bekleidete erneut das Amt des Stadtrates für Verkehr und Versorgungsbetriebe. Ab 1948 vertrat er als einer von fünf nicht-stimmberechtigten Vertretern die Berliner Sonderverwaltungszone im Parlamentarischen Rat. 1948 zum wurde er zum Oberbürgermeister der Berliner Westsektoren, 1950 zum ersten Regierenden Bürgermeister von Berlin. In diesem Amt prägte er das Berlin der Nachkriegszeit: Ihm gelang unter anderem eine Währungsreform in den Westsektoren und er setzte eine Rechtsangleichung zwischen dem Bund und Berlin durch. Er starb am 29. September 1953 und wurde in einem Ehrengrab des Landes Berlin beigesetzt.
Helene Wessel (Zentrum)
Helene Wessel wurde am 6. Juli 1898 in Dortmund geboren. Ab Mai 1928 saß sie für die Zentrumspartei als Abgeordnete im Preußischen Landtag. Im März 1946 wurde sie auf dem ersten Parteitag der Zentrumspartei nach der nationalsozialistischen Diktatur zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. 1948 wurde sie gemeinsam mit Johannes Brockmann als Vertreterin der Zentrumspartei in den Parlamentarischen Rat gewählt. Sie war Schriftführerin und Mitglied im Ausschuss für Zuständigkeitsabgrenzung sowie im Geschäftsordnungsausschuss. Sie verweigerte 1949 die Zustimmung zu dem Grundgesetzentwurf, da dieser ihrer Auffassung nach zu wenig demokratische und soziale Grundrechte enthielt. 1949 wurde sie für die Zentrumspartei in den Deutschen Bundestag gewählt und übernahm für diese auch den Fraktionsvorsitz. Sie war die erste weibliche Fraktionsvorsitzende des deutschen Parlamentes. Helene Wessel verstarb mit 71 Jahren am 13. Oktober 1969 in Bonn.
Jakob Kaiser (CDU)
Jakob Kaiser wurde am 8. Februar 1888 in Hammelburg geboren. Gemeinsam mit Andreas Hermes und Joseph Ersing gründete er nach dem Zweiten Weltkrieg die CDU in der sowjetischen Besatzungszone. 1948 wurde er als Vertreter der Berliner Stadtverordnetenversammlung als beratendes Mitglied in den Parlamentarischen Rat entsandt. 1949 wurde er für seinen Wahlkreis Essen in den 1. Deutschen Bundestag gewählt. Bis 1957 bekleidete er das Amt des Ministers für gesamtdeutsche Fragen. In dieser Funktion erreichte er 1957 die Auflösung des Saarstatuts, wodurch das Saarland als Bundesland in die Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurde. Das größte Parlamentsgebäude, das Jakob-Kaiser-Haus, ist nach ihm benannt. Er starb am 7. Mai 1961 in West-Berlin.
Friederike Nadig (SPD)
Friederike Nadig wurde am 11. Dezember 1897 in Herford geboren. Im Parlamentarischen Rat war Nadig Mitglied im Ausschuss für Grundsatzfragen. Sie beschäftigte sich besonders mit verfassungsrechtlichen Fragen, die sich auf den Alltag einer jeden Person auswirken. Wie auch Elisabeth Selbert setzte sie sich bei der Arbeit am Grundgesetz stark für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ein. Mit ihren Forderungen nach „gleichem Lohn für gleiche Arbeit“ sowie der Gleichstellung von unehelichen und ehelichen Kindern scheiterte sie. Von 1949 bis 1961 saß sie für den Wahlkreis Bielefeld-Stadt und später Bielefeld-Halle im Deutschen Bundestag. Sie starb am 14. August 1970 in Bad Oeynhausen.